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Mut, um der Wehleidigkeit zu widerstehen

Predigt zum Pastoraltag am 5. Oktober

Zum heutigen Pastoraltag sind manche von euch und Ihnen vielleicht mit gemischten Gefühlen gekommen.
Was wird man uns da wohl im Zusammenhang mit den Gemeindeverbünden eröffnen? So mögen die einen fragen. Andere kommen mit Fragen, die sie schon seit einiger Zeit mit sich herumtragen: Was wird aus mir, wenn sich nun die Gemeindeverbünde zusammenfinden? Werde ich versetzt werden oder bleiben? Welche Aufgaben kommen da auf mich zu? Diejenigen, deren nächste Schritte sich bereits geklärt haben, machen sich vielleicht Gedanken darüber, ob sie den Veränderungen menschlich und geistlich gewachsen sein werden, die ein Gemeindeverbund notgedrungen mit sich bringt. Wieder andere sind ratlos, besorgt oder auch frustriert. Und schließlich mag es auch einige geben, die gelassen in die Zukunft blicken – vielleicht auch, weil sich für sie in der nächsten Zeit vermutlich kaum etwas verändern wird.

All diese unterschiedlichen Gefühle haben ihren Grund und sind menschlich nachvollziehbar. Es wäre fatal, sie zu ignorieren oder zu überspringen. Als Bischof kann und möchte ich deshalb nichts anderes, als euch und Sie darin ernst zu nehmen und mit euch nach Wegen zu suchen, wie wir miteinander diese bestimmt schwierige Wegstrecke bewältigen können.

Dabei gehen wir sicher nicht fehl, wenn wir uns an den Wegweisern orientieren, die uns in den Worten der Heiligen Schrift von Gott selbst gegeben sind. Solche Wegweiser sind nicht immer leicht zu entziffern – und die Worte des lebendigen Gottes, die in ihnen enthalten sind, sind nicht immer „leicht verdaulich“.

Beide Texte, die wir vorhin gehört haben – die Lesung aus dem Buch Jona und die Perikope aus dem Lukasevangelium (Jona 3, 10b. 4,1-11; Lk 9, 57-62) - gehören zu der eher anspruchsvollen Kost. Der Schluss der Jona-Geschichte mag da noch ein Schmunzeln auslösen, wenn vom „gerechten Zorn“ Jonas über den verdorrten Rizinusstrauch und über Gottes Barmherzigkeit die Rede ist. Bei den Worten Jesu über die Bedingungen der Nachfolge kann von einer solchen Leichtigkeit nicht mehr die Rede sein. Hier wird es auf einmal bitter ernst.

Dieser Text steht im Zusammenhang mit dem Entschluss Jesu, nach Jerusalem zu gehen. Das heißt, dass er bewusst auf den letzten und schwersten Abschnitt seiner Sendung zuging. Im griechischen Originaltext steht hier: „Er machte sein Angesicht hart“ (to prósopon estérisen, Lk 9, 51). Bis dahin hatten die Jünger Jesus als einen Menschen kennen gelernt, der sie durch seine unwiderstehliche Güte, seine Demut und seine Heilkraft anzog. Jetzt macht er sein Angesicht hart und verweist damit auf eine neue Qualität seines Auftrags, die auch für diejenigen gilt, die ihm nachfolgen wollen.

So erklären sich auch die befremdlich erscheinenden Zurechtweisungen, die die drei Männer erfahren, die Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem begegnen und ihm folgen wollen oder sollen. Befremdlich sind die Antworten Jesu deshalb, weil es sich jedes Mal um verständliche und ehrenwerte Gründe und Motive handelt, die die Männer vorbringen. Was ist schlecht daran, seinen Familienpflichten nachzukommen und den eigenen Vater zu bestatten? Oder warum soll es verwerflich sein, wenn sich jemand noch einmal von seinen Verwandten und Freunden verabschieden will, bevor er einen neuen Lebensabschnitt beginnt?

Der erklärte Wunsch und Wille, Jesus nachzufolgen, reicht offenbar noch nicht. Hinter diesem Wunsch können die verschiedensten Motive liegen; dieser Wunsch kann mit den unterschiedlichsten Erwartungen gekoppelt sein. Wenn es ernst wird, kann dies dann hinderlich werden, weil es den Menschen an sich selbst und an seine Vergangenheit bindet. Jesus geht es aber um ein bedingungsloses Ja zu ihm – auch dann, wenn es weh tut, auch dann, wenn der Weg undurchsichtig wird. Diese Erwartung Jesu ist – so hart sie klingen mag – letztlich nichts anderes als ein Zeichen seines Zutrauens, ein Zeichen seiner Liebe, die den ganzen Menschen mit all seinen Kräften in Anspruch nehmen will.

In drei Beispielen deckt Jesus die verborgenen Motive derer auf, die ihm nachfolgen wollen, um ihnen so die Möglichkeit zu einem tieferen Ja zu geben. Ich lade Sie und euch ein, dies einmal auf dem Hintergrund unserer aktuellen Situation zu hören.

1. Auszug aus Ruhe und Geborgenheit

Das erste Beispiel, das Jesus nennt, weckt Assoziationen, die mit Wärme, Schutz und Geborgenheit zu tun haben: „Die Füchse haben ihre Höhlen, und die Vögel ihre Nester“ (Lk 9,58). Das sind natürliche Bedürfnisse, die auch ihr Recht haben. Ohne Geborgenheit kann ein Kind nicht gesund heranwachsen, und ohne Verwurzelung und Beheimatung kann auch der Erwachsene nicht leben. Und dennoch versichert uns Jesus, dass das Reich Gottes mit der Erfüllung solcher Bedürfnisse nicht deckungsgleich ist. Er provoziert uns dazu, genauer hinzuschauen, wenn wir uns nach Ruhe und Geborgenheit sehnen; wenn wir uns danach sehnen, an einem gewohnten Ort – sprich: einer Gemeinde – bleiben zu dürfen, alles beim Alten lassen zu dürfen. Dahinter kann das berechtigte Anliegen stehen, mit den eigenen Kräften und Möglichkeiten realistisch umzugehen. Es kann sich dahinter aber auch eine Angst und Abwehr verbergen, die dem Ruf Jesu in die je größere Freiheit zuwiderläuft. Kardinal Martini geht sogar soweit zu sagen: „dass der heimatliche Geruch des Nestes oder der Höhle genau das ist, was der vorbehaltlosen Nachfolge entgegensteht“.

2. Abschied von Bindungen und von familiären Traditionen

Im zweiten Beispiel will jemand zwar Jesus nachfolgen, aber zuerst noch seinen Vater begraben. Die Metapher „Vater“ steht hier wohl nicht nur für die reale Person, sondern umfasst die ganze überkommende Tradition der Familie und der Gemeinschaft, zu der man gehört. Den Vater begraben, das hieß im damaligen Kontext auch: Das Erbe entgegennehmen und nutzen. Die harte Zurückweisung Jesu weist hier auf einen sensiblen Punkt hin: das Erbe antreten, kann auch heißen, bestimmte Grundsätze und Überzeugungen so zu verinnerlichen, dass sie dem Reich Gottes im Wege stehen können. Ein solcher „vererbter“ Grundsatz kann sich in unseren Gemeinden und in uns selbst z. B. so äußern: „Das haben wir schon immer so gemacht!“ Oder er geht mit der starren Fixierung auf einen bestimmten Pastoralstil einher, der uns in unserer Situation nicht weiterhilft, weil sich die Menschen und die Umstände im Lauf der letzten Jahre und Jahrzehnte geändert haben. Wir tun also gut daran, uns in unseren Grundsätzen und Bindungen von Jesus immer wieder anfragen und provozieren zu lassen: „Lass die toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!“ (Lk 9, 60)

3. Abschied vom eigenen Ich, von der eigenen Geschichte

Das dritte Beispiel ist von den Verwandten und Freunden bestimmt. In menschlichen Beziehungen verankert zu sein, darin auch eine persönliche Geschichte zu haben, ist notwendig und durchaus berechtigt. Was ist es dann, was Jesus hier zurückweist? Könnte es sein, dass er den Finger auf eine Gefahr legt, der wir mit zunehmendem Alter immer mehr ausgesetzt sind: die Gefahr, mit der eigenen Geschichte und darin mit dem eigenen Ich einen Kult zu treiben? Dazu können bestimmte Angewohnheiten und Verhaltensweisen gehören; bestimmte Vorlieben und Abneigungen und ein bestimmter Lebensstil, der mit dem Milieu der eigenen Familie, mit Freunden und Bekannten zu tun hat. All das kann die liebenswerte Individualität eines Menschen ausmachen – es kann aber auch dazu führen, dass jemand sich dauernd mit sich selbst beschäftigt, mit der eigenen Vergangenheit, mit den zugefügten Kränkungen und mit dem, worauf er oder sie verzichtet hat. Eine solche Haltung ist, so sagt Jesus, rückwärtsgewandt und taugt nicht für das Reich Gottes.

Wenn wir all das nun tatsächlich auf dem Hintergrund dessen hören, was uns derzeit beschäftigt: sollen wir dann daraus folgern, dass es im Bistum eine Art „Massen-Exodus“ geben muss, wo kein Stein mehr auf dem anderen bleibt? Wo jeder und jede an einen anderen Ort gehen und neu anfangen soll? Ich könnte mir vorstellen, dass einige von Ihnen manchmal schon solche Befürchtungen hatten.

Wenn wir den Ruf Jesu zur Nachfolge ernst nehmen, dann kann es aber nicht um einheitliche Radikallösungen gehen. Das wäre nichts anderes als eine lebensfeindliche Ideologie. Es geht vielmehr darum, miteinander zu schauen, was die Gemeinden brauchen, um den Weg in die Zukunft gehen zu können – vor allem auch, welchen Einsatz und Dienst sie von euch und Ihnen brauchen. Das lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Sicher ist nur – so verstehe ich das heutige Evangelium – dass es um einen Weg der Nachfolge geht, der den Einsatz der ganzen Person verlangt und diese genau da herausfordert, wo sie am liebsten flüchten oder den Kopf in den Sand stecken würde. Das kann für viele tatsächlich heißen, auch äußerlich aufzubrechen; andere werden eher in ihren Gewohnheiten und Mentalitäten angefragt sein. Und wieder andere wird der Ruf Jesu dazu bringen, ihren Platz gerade nicht zu verlassen, sondern da auszuharren, wo sie begonnen haben. So ein Bleiben und Aushalten-Müssen kann unter Umständen – je nach Temperament – mindestens genauso schwer und anfordernd sein wie eine äußere Veränderung.

Liebe Schwestern und Brüder,
die Umbrüche, in denen wir leben, fordern unseren ganzen Einsatz, unser bedingungsloses Ja zu dem, der uns in Dienst genommen hat. Kardinal Lehmann schrieb vor vielen Jahren einmal über den Mut im Dienst am Evangelium, dass immer wieder dies vor allem von den Hauptamtlichen verlangt werde: „Aktiver Einsatz, Sichbemühen, Verzicht auf Zerstreuung der Kräfte, Überwindung des Widrigen und Standhaftigkeit“. Zusammengefasst nennt er dies auch den Mut, der Wehleidigkeit zu widerstehen.

Möge es uns geschenkt werden und gelingen, von der Nachfolge Jesu nicht nur zu reden, sondern sie auch immer wieder neu für uns zu buchstabieren und in unserem Leben konkret umzusetzen – nicht wehleidig, sondern tapfer und voller Zuversicht auf die Vollendung durch Gott.

Gerhard Feige

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