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Predigt zur Bistumswallfahrt

Von Christus gestärkt für das Leben der Welt

Anstehende Veränderungen: „Die ganze Gemeinde der Israeliten murrte in der Wüste gegen Mose und Aaron“: so haben wir gerade in der ersten Lesung gehört. Das Volk murrt, weil es in der Wüste hungert – und weil es deshalb nicht mehr erkennen kann, wozu dieser Auszug aus Ägypten überhaupt gut gewesen sein soll. „Warum haben wir uns übehristus gestärkt für das Leben der Weltrhaupt auf so etwas Unsicheres eingelassen?“ so fragen die Israeliten. „Warum sind wir nicht lieber in Ägypten geblieben? Da hatten wir wenigstens immer genug zu essen.“

Klingt ein solcher Text nicht hoch aktuell? Trifft er nicht das Empfinden vieler Menschen in unserem Land? Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten, die uns täglich vor Augen geführt werden, kann schnell so etwas wie Nostalgie oder „Ostalgie“ aufkommen. „Warum haben wir uns überhaupt auf so ein System eingelassen?! Was haben wir jetzt davon?!“

Ähnliche Zweifel bewegen manche auch in unserem Bistum, in unseren Gemeinden. Die anstehenden Strukturveränderungen lösen Fragen aus, die notwendigen Sparmaßnahmen machen Angst. Für die einen ist das Wort „Gemeindeverbund“ vielleicht schon eine ganz selbstverständliche Realität, andere reagieren allergisch darauf.

• „Ist das alles denn überhaupt nötig und richtig? Es hat doch bisher auch funktioniert! Müssen wir denn alles nachmachen, was der Westen macht?“, so werden manche vielleicht denken.

• Kleinere Gemeinden machen sich Sorgen, im Gemeindeverbund unterzugehen und von den Größeren geschluckt zu werden.

• Andere fragen sich, ob denn in Zukunft überhaupt noch jemand für sie da sein wird.

• Und wieder andere sind nicht gerade begeistert davon, ihr Vermögen nun womöglich mit anderen teilen zu müssen und dabei vielleicht schlecht wegzukommen.

Hoffen und Zweifeln, Wagnis und Angst, Aufbrechen und lieber doch Beharren-Wollen – das gehört menschlich offenbar dazu, wenn große Veränderungen anstehen. Die Bibel spricht ganz deutlich von dem immer neuen Murren des Volkes Gottes, wenn es darum geht, einen Aufbruch zu wagen und dabei eine Durst- oder Hungerstrecke zu überwinden.

Der tägliche Durst und der tägliche Hunger können sich dabei so in den Vordergrund drängen, dass das Volk den Eindruck bekommt, in die Irre geführt und „von allen guten Geistern verlassen“ zu werden. In unserem Bistum drückt sich das oft so aus: „Was haben die da oben bzw. die da in Magdeburg sich schon wieder ausgedacht!“
Leicht kann dann aus dem Blick geraten, dass Mose das Volk nicht aus Willkür, sondern auf Grund einer unerträglichen Notlage auf den Weg gebracht hat, und dass Gott es war, der sozusagen die eigentliche Idee zu diesem Aufbruch hatte – mit dem Versprechen, sein Volk auch dann zu begleiten, wenn es unterwegs schwierig wird.

Auf unsere Situation im Bistum Magdeburg übertragen heißt das: Es ist nicht Willkür oder Leichtsinn, was uns veranlasst hätte, auf gut Glück eine so gravierende Veränderung herbeizuführen, wie sie sich jetzt als erstes in der Errichtung der Gemeindeverbünde zeigt. Angesichts der bedrängenden Situation, in der sich unsere Kirche befindet, ist es vielmehr der Versuch, Bedingungen dafür zu schaffen, dass unsere Gemeinden auch in Zukunft lebensfähig und lebendig bleiben.

Das aber kann nur gelingen, wenn wir uns immer neu daran erinnern, dass Gott tatsächlich diesen Weg begleitet und in unserer Mitte ist. Dabei sind Strukturen wichtig, aber kein Allheilmittel – sie können nur den Rahmen dafür schaffen, dass die Besinnung auf Gott in unserer Mitte immer wieder möglich wird.

Lebensmitte(l) Jesus Christus: Was heißt dann aber, sich auf Gott als die Mitte unseres Lebens einzulassen, oder mit den Worten unseres Wallfahrtsmottos formuliert: Jesus Christus als Lebensmitte und Lebensmittel zu erkennen und sich ihm anzuvertrauen?

Wenn wir die Schrifttexte des heutigen Tages genauer lesen, finden wir darin eine erste Antwort. Sowohl im Buch Exodus als auch im Lukasevangelium ist von einem Gott die Rede, dem die Angst, die Sehnsucht und das Murren der Menschen ans Herz gehen. Es heißt da von Gott: „Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sag ihnen: …ihr werdet satt sein von Brot.“
Und das Evangelium beginnt damit, dass sich Jesus den Menschen zuwendet, die ihn aufsuchen, obwohl er eigentlich vorgehabt hatte, sich zurückzuziehen: „Er empfing sie freundlich, redete zu ihnen vom Reich Gottes und heilte alle, die seine Hilfe brauchten“, heißt es da.

Unser Gott ist ein Gott, der uns sieht und hört und sich uns freundlich zuwendet. Das klingt so selbstverständlich – aber wer das einmal wirklich für sich und auch für die Gemeinschaft, in der er oder sie lebt, annimmt, der wird die revolutionäre Kraft dieses Vertrauens erfahren.

Wenn wir wirklich glauben und es zulassen, dass Jesus uns freundlich empfängt, auch und gerade jetzt, wo wir uns ins Neuland begeben: könnte es dann nicht sein, dass sich unter dem Blick dieser Liebe die Frage nach den Strukturen, nach den Finanzen, nach „Mein und Dein“ beim Streit um die Gemeindeverbünde ein wenig relativieren lässt, dass stattdessen der eigene Blick freier wird für das, was wirklich in all diesen Veränderungen wichtig ist?
Ist die eigentliche Sorge, die eigentliche Angst in diesen Umbrüchen nicht hauptsächlich die, in irgendeiner Weise zu kurz zu kommen, zu wenig beachtet zu werden, zu wenig anerkannt zu werden, zu wenig versorgt zu werden, oder im Bild des Buches Exodus gesprochen: in irgendeiner Weise Hunger und Durst leiden zu müssen?
Könnte es nicht unter dem freundlichen Blick Jesu möglich sein, diese Angst überhaupt erst einmal wahrzunehmen, sie freilegen zu lassen, um sie dann diesem Jesus anzuvertrauen und zu sehen, was er daraus machen wird?

Und dann kann es uns so gehen, wie den Israeliten auf ihrer Wüstenwanderung – oder den vielen Menschen am Seeufer, von denen Lukas spricht: Auf einmal machen wir die Erfahrung: es gibt genug zu essen, es reicht für alle, niemand kommt zu kurz. Es bleibt sogar noch ganz viel übrig. Gott schenkt das Lebensnotwendige in Hülle und Fülle, jeden Tag – so ist es uns zugesagt, so dürfen wir es auch erfahren. Jesus selbst verbürgt sich dafür mit seinem Leben – mit seinem Fleisch und Blut. Jede Eucharistiefeier ist das Fest dieser Zusage, dass wir nicht zu kurz kommen, dass wir genau das geschenkt bekommen, was wir so nötig brauchen. Jede Eucharistiefeier ist somit eine Feier des Lebens.

Liebe Schwestern und Brüder, den Aufbruch wagen, das können wir nur riskieren, wenn wir uns auf diese Zusage Jesu verlassen; wenn wir so über unseren Schatten springen, über die Grenzen unserer Angst, unserer Trauer und vielleicht mancher Wut über das, was uns da zugemutet wird; wenn wir Jesus in unseren Gemeinden und Gemeindeverbünden den Platz geben, der ihm gebührt: in unserer Mitte.

Ein Gemeindeverbund kann – so glaube ich – nur wachsen und lebendig sein, wenn die Menschen sich um Jesus Christus scharen und sich von ihm die Nahrung schenken lassen, die sie brauchen, die Nahrung der Seele und des Leibes.

Dann werden wir in unserem Bistum auch erfinderisch dafür werden, wie wir mit den Bedingungen umgehen, die uns gegeben sind; dann müssen wir nicht ängstlich unseren Besitzstand wahren, sondern werden frei dafür, der Liebe und der Hoffnung Raum zu geben.


Für das Leben der Welt: Dabei geht es nicht nur darum, dass wir als Gemeinden oder Gemeindeverbund selbst essen und satt werden.
In einem bekannten Segenslied heißt es in der zweiten Strophe:

„Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen.
Leben kann gedeihn, wo wir alles teilen,
schlimmen Schaden heilen, lieben und verzeihn.“


Jesus Christus beauftragt und befähigt uns dazu, auch andere satt zu machen: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ – so fordert er seine Jünger auf.

Meint das oft gebrauchte Wort „missionarisch“ nicht in erster Linie, dass wir als Beschenkte freigebig sein dürfen und können mit dem, was uns selbst satt macht; dass wir andere einbeziehen in dieses Fest des Lebens, das wir immer wieder feiern; dass wir andere Menschen wie Jesus freundlich empfangen, dass wir teilen und schlimmen Schaden zu heilen versuchen?

Meint, gesendet zu sein, nicht in erster Linie,
zu lieben, wo man hasst,
zu verzeihen, wo man beleidigt,
zu verbinden, wo Streit ist,
Hoffnung zu wecken, wo Verzweiflung quält,
Freude zu bringen, wo der Kummer wohnt?

Nach dem Fest der Nationen, das im Vorfeld des Kölner Weltjugendtages in Magdeburg mit über 4000 Teilnehmern gefeiert worden war, konnte man in einer Zeitung lesen: Auf dem Domplatz hätte eine „seltsam positive Atmosphäre“ geherrscht. Hatte man etwas anderes erwartet? Oder ist dies in unserer Zeit so außergewöhnlich geworden, wenn junge Menschen in großer Zahl nicht randalieren oder protestieren, sondern sich aufgeschlossen begegnen, geistvoll miteinander feiern und dabei unverkrampft ihren Glauben bezeugen?

Erstaunlicherweise ist kürzlich eine seriöse Studie über Jugendliche in Deutschland aufgrund einer repräsentativen Umfrage auch zu der Feststellung gelangt, dass katholische Jugendliche – vor allem diejenigen, die der Kirche nahe stehen und oft am Gottesdienst teilnehmen – zufriedener, optimistischer und engagierter seien. Sind das nicht Haltungen, die unsere Gesellschaft bitter nötig hat, die offensichtlich entscheidend mit unserem christlichen Glauben zu tun haben und die auch anderen gut tun könnten?

Gestärkt von Jesus Christus sich für das Leben der Welt zu engagieren, erschöpft sich jedoch nicht nur darin, Freundlichkeiten zu verbreiten; es kann unter Umständen auch bedeuten, sich massiv einzumischen und „Nein“ zu sagen, wenn wir sehen, dass Leben bedroht ist, dass Freiheit und Würde des Menschen auf dem Spiel stehen, dass seine Rechte mit Füßen getreten oder dass menschenverachtendes Denken und Handeln salonfähig werden. Es ist auch unser Auftrag, Ungeist mutig zu entlarven, einer sich verbreitenden Gleichgültigkeit und Resignation entschieden zu widerstehen und tatkräftig für mehr Solidarität einzutreten.

Als Christen haben wir viele Möglichkeiten, unseren Glauben ansteckend zu leben und zu bezeugen: entgegenkommend und sympathisch oder aber auch herausfordernd und wider-ständig.

Unser Ideal sind dabei weder Hardliner noch Warmduscher, weder Marktschreier noch Leisetreter! Und die Vergleiche mit dem Salz der Erde, Licht der Welt oder Sauerteig und dem Mehl haben wir schon so oft gehört, dass eine Verfremdung – ein anderes Beispiel – das Gemeinte vielleicht wieder einmal deutlicher ins Bewusstsein hebt. Mir ist da vor einiger Zeit der italienische Begriff „al dente“ eingefallen. Nudeln schmecken weder trocken noch zerkocht, sondern – wie es heißt – am besten „al dente“, frei übersetzt: „mit Biss“. Trifft das nicht auch auf unseren christlichen Auftrag in dieser Welt zu? Wir sollen andere satt machen und bekömmlich sein, verfehlen unsere Bestimmung aber, wenn wir zu trocken, zu abgebrüht, zu schleimig oder zu verweichlicht sind. Man muss uns schon spüren. Haben wir den Mut, unseren Glauben nicht bissig, aber „al dente“ – „mit Biss“ in unsere Gesellschaft einzu-bringen, mittels Herz und Verstand durch Wort und Tat.

Dazu sind wir unterwegs, dazu werden wir in jeder Eucharistiefeier gestärkt, dazu erbitten wir Gottes reichen Segen.

Gerhard Feige

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