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„Wie oft wird auch da blindlings vertraut“

Bischof Feige für die Magdeburger Volksstimme am 22. Dezember


Was wäre ein Bilderrahmen ohne Bild? Vielleicht aufwendig gestaltet und nett anzuschauen, aber inhaltsleer und fragwürdig.

Manchmal erweckt das Weihnachtsfest heutzutage in unseren Breiten den Eindruck, nur noch ein großartiger oder verschnörkelter goldener Rahmen zu sein; das Bild aber, dessentwegen man ihn angefertigt hat, ist inzwischen verblasst, übertüncht oder ersetzt. Wer feiert Weihnachten noch bewusst als Geburtsfest Jesu von Nazareth, als Ankunft des Sohnes Gottes auf Erden?

Dazu müsste man glauben können, aber damit tun sich viele schwer. Glaube erscheint als ein Relikt der Vergangenheit, eine infantile Verhaltensweise – aufgeklärter Menschen des 21. Jahrhunderts unwürdig. Und die mit Glauben in Verbindung gebrachten Kirchen gelten – im Sinne früherer Marxisten und ihrer geistigen Nachfolger – wenigstens unbewusst noch immer als „bürgerlich-kapitalistische Verdummungsanstalten“.

Wozu soll Glaube überhaupt gut sein? Gilt es für einen modernen Menschen nicht, voll und ganz auf Wissen zu setzen?

Nur ein Zugang zur Wirklichkeit

„Woran glaubt, wer nicht glaubt?, so lautet der Titel eines veröffentlichten Briefwechsels zwischen Carlo Martini, dem früheren Mailänder Kardinal, und Umberto Eco, der durch seinen Roman „Im Namen der Rose“ berühmt geworden ist. Ein Christ und ein Nichtchrist spüren darin von unterschiedlichen Positionen her der Frage nach, was das Leben sinnvoll macht, wovon man – auch in Krisen – getragen werden kann, woher Werte kommen und wofür es sich einzusetzen lohnt.

Ohne jeglichen Glauben würden wir Menschen verkümmern. Wer meint, für ihn gelte allein exaktes Wissen, macht sich etwas vor. Wie oft wird auch da blindlings vertraut! Niemand hat die Zeit und macht sich die Mühe, jeden angeblichen Beweis selbst zu überprüfen. Treffend hat dazu Christa Nickels bemerkt: „Wenn man sieht, was die Politiker den Wissenschaftlern alles glauben, dann sind die Teilnehmer an einer Marienprozession staubtrockene Realisten.“ Doch je mehr wir zu wissen glauben, desto größer wird auch die Skepsis, ob all diese Erkenntnisse uns tatsächlich nützen oder glücklicher und menschlicher machen.

Die Welt mathematisch-naturwissenschaftlich zu erfassen, ist eine Zugangsweise zur Wirklichkeit; sich ihr ganzheitlich – das heißt im Glauben – zuzuwenden, eine andere. Schon im Verhältnis zu anderen Menschen spielen nicht nur deren Größe, Gewicht oder Nutzen eine Rolle. Sympathie oder Liebe zum Beispiel lassen sich zwar aufgrund gewisser Anzeichen oder ausdrücklicher Bekundungen erahnen – aber letztlich nicht beweisen. Man kann auch belogen und betrogen werden und raffinierten Täuschungen erliegen. Wer aber anderen nicht dauernd misstrauisch begegnen will, kommt nicht umhin, es mit Vertrauen und Glauben zu probieren. Das ist ein Wagnis, eröffnet aber neue Horizonte und neue Lebensmöglichkeiten.

Prototyp des Menschen

Noch spannender, radikaler und folgenreicher wird es, wenn jemand anfängt, tiefer über sich, das Leben und die Welt nachzudenken, wenn sich die Ahnung einstellt, dass da wohl doch noch etwas mehr ist als nur eine oberflächliche und berechenbare Welt, wenn Gott ins Spiel kommt.

Für Christen ist er nicht etwa nur ein höchstes Prinzip, irgendein absolutes Sein oder eine unpersönliche Schicksalsmacht, sondern jemand, zu dem man trotz seiner Unbegreiflichkeit „Du“ sagen kann. Und mit der Person des Juden Jesus, der vor etwa 2000 Jahren in Palästina gelebt hat, verbindet sich der Glaube, dass in ihm Gott selbst in die Weltgeschichte eingegangen ist und anfassbar wurde, ja dass er gewissermaßen das authentische Bild des unsichtbaren Gottes, aber auch der Inbegriff des exemplarischen Menschen sei, quasi sein Prototyp.

Das lässt sich nicht naturwissenschaftlich beweisen, wird aber seitdem von Unzähligen geglaubt und hat deren Leben positiv verändert.

Ein solcher Glaube versteht sich nicht als irrationale Träumerei, sondern stellt sich der Vernunft und der Welt, wie sie ist, mit ihren Möglichkeiten und Bedrohungen, Faszinationen und Grausamkeiten, Freuden und Leiden. Er ist kein Opium für Arme oder Luxus für Betuchte. Auch wenn er oftmals in der Geschichte politisch instrumentalisiert oder anderweitig missbraucht wurde, ist er keine militante Ideologie, die Hass und Gewalt rechtfertigen kann oder darf.

Christlicher Glaube ist auf Gemeinschaft angelegt und erschöpft sich nicht in religiösen Gefühlen. Gegen allen Egoismus und alle Gleichgültigkeit drängt er zum Handeln: zum Einsatz für die Menschenwürde und das Gemeinwohl, für soziale Gerechtigkeit und einen barmherzigen Umgang miteinander. Dabei erliegt er aber nicht der Illusion, das Paradies auf Erden errichten zu können. Er kennt auch eigenes Versagen, weiß um alle Unvollkommenheit und Sünde und hofft doch immer wieder auf Gnade, Umkehr und Versöhnung.

Das alles hat durchaus mit Weihnachten zu tun. Darum verdient dieses Fest auch nicht nur einen goldenen Rahmen. Noch mehr ist seine Botschaft – das eigentliche Bild – es wert, beachtet zu werden: als Ermutigung zum Leben, zu Freude und Zuversicht.

Dr. Gerhard Feige
Bischof von Magdeburg

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