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Was ist eine gute Weihnachtsgeschichte?

Predigt von Bischof Gerhard Feige in der Christmette


Kennen Sie eine gute Weihnachtsgeschichte – eine, die sich wirklich zu lesen lohnt, die man weitererzählen, verschenken oder empfehlen kann? Sicher sind manche von Ihnen dieser Gattung von Literatur in den letzten Wochen und Tagen mindestens gelegentlich begegnet. Und vielleicht haben Sie auch ein entsprechendes Buch geschenkt bekommen, dem Sie sich nach dem Fest noch widmen wollen. Doch, was ist überhaupt eine gute Weihnachtsgeschichte? Im Angebot ist vieles.

  • Da gibt es die Erzählungen amerikanischen Stils: mit Schneeflocken, Schlitten, Glöckchen, Rentieren und dem Weihnachtsmann; auf eigene Art stimmungsvoll, aber fern jeder christlicher Sinngebung.

  • In anderen Texten werden Kindheitserinnerungen wachgerufen, die oft sentimental vor Augen stellen, wie glücklich man doch damals am Heiligabend noch war. Zugleich lassen sie die Ernüchterung oder Unfähigkeit ahnen, als Erwachsene angeblich nicht mehr so richtig Weihnachten feiern zu können.

  • Es gibt auch moralisierende Bekehrungsgeschichten, in denen brutale Menschen durch Weihnachten auf einmal herzlich werden, oder fromme Meditationen, die jedoch zumeist nur binnenchristliche Selbstbesinnungsversuche sind.

  • Und schließlich gehen manche Texte auch recht kritisch mit Weihnachten um, zum Teil sogar sarkastisch und zynisch. Die einen wenden sich gegen den ganzen Kitsch und Trubel, die anderen stellen grundsätzlich die Frage, ob es nicht angesichts der Härte und Nöte des Lebens, der Kriege und Katastrophen wirklichkeitsfremd und verlogen sei, ein solches Fest noch zu feiern.


  • Dieser Befund ist – jedenfalls für mich – nicht sehr erquicklich. Gibt es aber Alternativen? Und nach welchen Kriterien könnte man dies beurteilen?

    Sicher müsste ein solcher Text mehr können als nur eine weihnachtliche Stimmung hervorzurufen; mehr aber auch als sich einfach nur sozialkritisch gegen die bürgerliche Feierkultur zu wenden. Wesentlicher müsste er sein, sich deutlicher dem Geheimnis des Festes nähern, ja spirituell wie theologisch zum Kern von Weihnachten führen.

    Gott ist wirklich Mensch geworden

    Ein Gedicht, das sich dieser Herausforderung zu stellen scheint, stammt von Kurt Marti, einem Schweizer Theologen. Unter dem schlichten Titel „weihnacht“ beginnt es poetisch-lyrisch mit den Worten:

    damals

    als gott
    im schrei der geburt
    die gottesbilder zerschlug


    Und dann wird sehr realistisch von einer menschlichen Geburt gesprochen, von einem Kind, das da runzlig rot vor Maria lag.

    Beim ersten Hören klingt das sicher befremdlich, ungewohnt nüchtern, fast provozierend. Das soll ein guter Weihnachtstext sein? Warum nicht? Schauen wir doch einmal genauer hin.

    „Damals“ - so heißt es am Anfang. Das bedeutet: Gott ist tatsächlich gekommen. Und dieses Ereignis ist festzumachen in der Person des Juden Jesus von Nazareth in Palästina. Der Evangelist Lukas legt großen Wert auf die historische Genauigkeit. Dies geschah, so schreibt er, zur Zeit des Kaisers Augustus, als Quirinius Statthalter von Syrien war (vgl. Lk 2, 1-2).

    Unser Glaube ist also in der Geschichte verankert; er entspringt nicht menschlicher Phantasie und hängt auch keinem Mythos an. Gott ist wirklich Mensch geworden, nicht nur etwa zum Schein oder unter privilegierten Bedingungen, sondern ganz und gar. Wie real das zu verstehen ist, deuten die weiteren Zeilen des Gedichts an. Geradezu drastisch wird hier eine Geburt vor Augen gestellt: Von einem „Schrei“ ist die Rede und von einem „runzlig roten“ Neugeborenen. Wenn es stimmt, dass Gott Mensch geworden ist, dann kann es nur so gewesen sein. Er, der Retter der Welt „liegt dort“ in der Krippe – wie es auch ein Weihnachtslied aus dem 16. Jahrhundert recht schonungslos zum Ausdruck bringt – „elend, nackt und bloß; … entäußert sich all seiner Gestalt, wird niedrig und gering“.

    Eine solche Menschwerdung Gottes ist durchaus nicht selbstverständlich und stellt viele religiöse Wunschvorstellungen in Frage. Es wäre sicher einfacher, an einen Gott zu glauben, der nicht Mensch geworden ist: an ein höchstes Prinzip, einen Ursprung oder Verursacher von allem, ein letztes Ziel, eine unpersönliche Schicksalsmacht oder irgendein absolutes Sein. Dann aber hätten wir eigentlich keinen Grund, Weihnachten zu feiern; denn das ist sein Geheimnis und seine Botschaft. Hier scheiden sich durchaus die Geister. Hier sind wir existentiell gefragt. Hier zeigt sich, ob unser Glaube tatsächlich christlich ist.

    Das Kind in der Krippe bringt wirklich die Rettung

    Was aber gehört außer dieser herausfordernden Konzentration noch zu einem guten Weihnachtstext?

    „Auf Hoffnung hin sind wir gerettet“ (Röm 8,24). Mit diesen Worten des Apostels Paulus beginnt die neue Enzyklika von Papst Benedikt. Hoffnung ist auch ein Thema, das sich unweigerlich mit Weihnachten verbindet.

    Woher nehmen wir Christen jedoch angesichts der Welt, in der wir leben, den Mut, von Hoffnung zu sprechen? Machen uns die Anzeichen einer drohenden Klimakatastrophe nicht zu schaffen, oder die zunehmende Gewalt und die erschreckenden Nachrichten vom Ausmaß der Armut? Sind wir da im Grunde nichts anderes als weltfremde Idealisten, die die Erde nicht ernst nehmen und sich aufs Jenseits vertrösten?

    In der Tat, aus uns selbst heraus können wir keine Hoffnung für diese Welt hervorbringen. Doch das ist ja gerade das Wunder der Weihnacht: Ein schwaches, armseliges Kind nimmt teil an dieser Wirklichkeit und durchbricht sie. Wer sich auf dieses Kind einlässt, empfängt eine nie geahnte Hoffnung. Sie ist stärker als das Leiden und kann das Leben und die Welt von innen her umgestalten (vgl. die Enzyklika „Spe Salvi“, Nr.4)

    An die Menschwerdung Gottes zu glauben heißt dann: gerade im Angesicht von Chaos und Unheil an dieser Hoffnung festzuhalten. An die Menschwerdung Gottes zu glauben heißt: trotz aller schlimmen Erfahrungen auf dieses Kind zu vertrauen. Der Prophet Jesaja nennt es vorausschauend schon „Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens“ (Jes 9, 5); andere Texte der Heiligen Schrift bezeichnen es als Retter. Und wir selbst singen in unseren Liedern vom Licht, das uns in der Finsternis erschienen ist, und von einer Rose, die mitten im kalten Winter blüht.

    Uns wird etwas geschenkt, was wir selbst nicht produzieren können oder verdient haben: die Zusage von Erlösung, Vollendung und ewigem Leben. Wir haben Zukunft, auch wenn uns manchmal Probleme und Schwierigkeiten niederdrücken. Aus dieser tiefen Hoffnung heraus konnten und können Christen sogar in notvollen Situationen Weihnachten feiern: auch in Krankenhäusern und Gefängnissen, im Krieg und auf der Flucht, fern der Heimat oder angesichts des Todes lieber Mitmenschen. Wer sich von einem Sinn getragen weiß und ein Ziel sieht, vermag manches Unverständliche zu verkraften und den Mut nicht zu verlieren.

    „Und wo bist du heute, Gott?“

    Und schließlich gehört zu einem guten Weihnachtstext auch: dass er eine Antwort auf die uralte Frage gibt, wo Gott eigentlich zu finden ist. Denn niemand hat Gott je gesehen – und niemand kann ihn fassen. Je mehr man glaubt, sich ihm zu nähern, desto mehr scheint er sich zu entziehen. Gerade die großen Heiligen, die Mystiker und Mystikerinnen haben immer wieder auch erfahren, dass Gott nah und fern zugleich ist. „Wo bist du, Gott?“ Dieser Schrei hallt durch die Jahrhunderte. „Wo warst du, Gott?“, haben viele besonders leidenschaftlich in und nach den furchtbaren Weltkriegen des letzten Jahrhunderts gefragt, nach den Konzentrationslagern und dem Völkermord an den Juden. „Wo bist du, Gott?“ Dieser Ruf ist auch in unserer Zeit zu hören: sehnsüchtig und erwartungsvoll oder enttäuscht, verzweifelt und anklagend.

    „Abwesenheit ist dein Wesen“ – so schreibt die Dichterin und Ordensschwester Silja Walter. Und Kälte macht die Beziehungen der Menschen untereinander oft aus. Doch „seit das Kind schrie bei den Schafen“ – so Silja Walter – ist Gott mitten drin in unserer Welt, mitten in unserem wirklichen Leben mit seinen Freuden und Leiden. „Da bist du, Gott“: so lässt er sich nun unwiderruflich ansprechen.

    Den Hirten war das Kind in der Krippe das Zeichen dafür, dass Gott nahe gekommen ist. Und wir? Wo sind unsere Möglichkeiten, ihn zu erahnen, zu erspüren oder ihm gar zu begegnen?

    Seit Erschaffung der Welt, so sagt Paulus im Brief an die Römer (vgl. 1,20), kann Gottes „unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen“ werden. Die Welt, in der wir leben, ist Gottes gute Gabe, weder zu verteufeln noch zu vergöttern, und bietet unzählige Hinweise auf ihn. Selbst nüchterne Naturwissenschaftler kommen bei der Erforschung des Mikro- und Makrokosmos ins Staunen. So bekennt auch der diesjährige Nobelpreisträger in Chemie (Gerhard Ertl), dass er das Leben für ein gewaltiges Wunder hält, das ihn zum Glauben an Gott führt.

    Vor allem sind es unter den Geschöpfen aber wohl die Menschen, in denen Gott erkannt und gefunden werden könnte. Ohne Einschränkung gilt jede und jeder als „Ebenbild Gottes“, tragen alle göttliche Würde in sich und haben darauf Anspruch, ehrfürchtig behandelt zu werden. Gerade im Nächsten will Gott uns begegnen, besonders sogar in den Geringsten unserer Schwestern und Brüder: den Not leidenden Kindern und vereinsamten Alten, den Gescheiterten und Ausgegrenzten, den Heimatlosen und Fremden.

    Und sind nicht das Wort der Heiligen Schrift, das Brot auf dem Altar, die Sakramente der Kirche und die Gemeinschaft der Glaubenden Zeichen, in denen Gott erfahren werden kann? Wer mit dem Herzen sieht, wird mindestens einiges begreifen.


    Was ist eine gute Weihnachtsgeschichte? Ganz einfach: die Geschichte Gottes mit den Menschen, wie wir sie in der Bibel finden: nüchtern und wirklichkeitsnah, hoffnungsvoll und menschenfreundlich. Das ist auch der Maßstab für alle anderen Geschichten, nicht zuletzt für unsere eigene Lebensgeschichte. Von Leo Tolstoi stammt die Ermunterung: „Liebe dein Geschichte, denn sie ist der Weg, den Gott mit dir gegangen ist.“ Weihnachten ist die Zusage, dass Gott uns auch weiterhin nahe bleiben will.

    Bischof Gerhard Feige

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