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"Brecht in Jubel aus, ihr Trümmer Jerusalems!"

Bischof Feige am ersten Festtag

Bischof Dr. Gerhard FeigeBei den antiken Theateraufführungen gab es eine sehr interessante Regiemaßnahme: den so genannten „deus ex machina“, den Gott aus der Maschine. Dabei handelte es sich um eine Göttergestalt, die an einer Art Flaschenzug von oben auf die Bühne herabgelassen wurde. Dieser „deus ex machina“ hatte stets gegen Ende des Schauspiels seinen Kurzeinsatz. Er musste alle Verwicklungen, Streitigkeiten und Ungeklärtheiten der Spielhandlung mit einem Machtwort beseitigen. Danach entfernte er sich wieder  – und das Theaterstück konnte mit einem „happy end“ abschließen.

Wäre es manchmal nicht wunderbar, wenn so ein „deus ex machina“ auch in unserem Leben auftauchen würde? Einer, der mit einem Schlag alle Missverständnisse und Ärgernisse in Ordnung bringen würde? Einer, durch den alles wieder gut wird?

In unserem Glaubensbekenntnis steht ein Satz, der fast so klingt, als würde uns dieser Wunsch erfüllt. Da heißt es nämlich: Jesus Christus ist „für uns Menschen und zu unserem Heil vom Himmel gekommen“. Jesus Christus also ein „deus ex machina“? Auf den ersten Blick könnte es fast so scheinen. Wenn wir genauer hinschauen, zeigen sich aber doch gewaltige Unterschiede zu dieser antiken Göttergestalt. Jesus Christus schwebt nicht spektakulär in unsere Welt hinein – und er stattet dieser Welt auch nicht nur eine kurze Visite ab und verschwindet dann wieder im Götterhimmel.

Incarnatus est

Nein, im Glaubensbekenntnis heißt es weiter: Er „hat Fleisch angenommen“. Auf Lateinisch: „Incarnatus est.“ Das heißt, er hat sich voll und ganz auf unsere menschliche Wirklichkeit eingelassen: auf Geburt und Tod, auf Armut, Hunger und Schmerzen, auf Freuden und Leiden. Die Weihnachtsgeschichte, die wir heute Nacht gehört haben, erzählt von den Alltäglichkeiten des menschlichen Lebens: von Herbergssuche, von einer Krippe, vom Wickeln eines Kindes, und dann später von Flucht. Das ist alles andere als spektakulär. Unser Gott ist in Jesus Christus einen Weg der „Karriere nach unten“ gegangen. Dieser ist nicht nur selbst unter ärmlichsten Bedingungen zur Welt gekommen. Er hat sich in seinem kurzen Leben auch vor allem mit denen umgeben, die arm, verachtet und ausgegrenzt waren. „Incarnatus est“: hautnaher geht es nicht – und erniedrigender geht es nicht. Wenn sich Gott nun aber so sehr auf uns Menschen eingelassen hat, dann heißt das, dass er damit auch in die Dimension der Zeit eingetreten ist. Das bedeutet, er berührt unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Er kam – er kommt – und er wird einst wiederkommen.

 „Er kam in sein Eigentum“ – so ist es im Prolog des Johannesevangeliums formuliert. Der Evangelist Johannes reduziert die Weihnachtsgeschichte damit auf das Wesentliche. Da hören wir nichts von Maria und Josef, nichts von einem Stall in Bethlehem, auch nichts von Engeln und Hirten. Nein das Wesentliche besagt: Es ist tatsächlich geschehen. Er kam. „Das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). Gott ist nicht irgendwie vom Himmel herabgeschwebt; sein Erscheinen ist weder Traum noch Mythos. Er ist vor 2000 Jahren in diesem Menschen Jesus Christus wahrhaft in unsere Geschichte eingetreten.

Er kommt

Und da ist noch ein weiterer Unterschied zu einem antiken „deus ex machina“: Sein Kommen ist nicht nur ein Wunder, das vor 2000 Jahren einmal stattgefunden hat. Jesus ist nicht eine Lichtgestalt, die damals wie in einem Feuerwerk am Himmel erschienen ist und dann wieder spurlos verglühte. Nein, wenn Gott Mensch geworden ist, so ist das der Beginn einer unendlichen Geschichte. Denn der, der kam, bleibt auch der Kommende.

„Wär’ Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst doch ewiglich verloren.“ In diesem bekannten Vers von Angelus Silesius ist das zum Ausdruck gebracht. Weihnachten ist nichts für Zuschauer. Es ist auch nicht einfach die stimmungsvolle Erinnerung an ein Geschehen vor 2000 Jahren. Wir selbst stehen sozusagen mitten auf der Bühne des Geschehens. Es geht um uns! Gott kommt von innen, pocht an unsere Tür, meldet sich in unseren persönlichen Empfindungen, in den Fügungen unseres Lebens. Er meldet sich vor allem in jedem Menschen, dem wir begegnen. Seit seiner Menschwerdung kommt Gott in jedem Bruder und in jeder Schwester auf uns zu. Seine Herbergssuche fordert uns ganz konkret heraus: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“, heißt es in dem bekannten Gerichtsgleichnis von Matthäus (Mt 25, 35). So manche, die ihr Herz öffnen, werden vielleicht einmal erstaunt sein, wie oft sie Christus in anderen begegnet sind! Deshalb gibt es z.B. bei alten russischen Bauern noch die Sitte, am Tisch ein Gedeck frei zu halten für Christus, der als Gast kommen könnte.

Dass er immer neu kommt, immer neu Mensch werden will in uns – das feiern wir in jedem Gottesdienst. Wenn wir sein Wort hören und miteinander Eucharistie feiern, ist das eine intensive Vergegenwärtigung dessen, was einmal geschehen ist. Das, was geschehen ist, betrifftt unsere Gegenwart.

Er wird kommen

Und nicht nur unsere Gegenwart, sondern auch unsere Zukunft. Denn so sehr wir auch glauben und erfahren, dass mit Jesus Christus das Heil in die Welt gekommen ist, so sehr erfahren wir auch, dass da auch noch so viel aussteht. Da ist noch eine Wunde offen. Wo ist Gott im Leiden unschuldiger Kinder? Wo ist Gott in all dem, was Menschen einander antun? Wo ist er in den Naturkatastrophen, die unsere Erde immer erschreckender heimsuchen? Solche Fragen wiegen schwer. Sie werden uns Christen von anderen gestellt. Aber, wenn wir ehrlich sind – lasten solche Fragen nicht immer wieder auch auf uns selbst? Und wer von uns hätte da eine wirklich befriedigende Antwort?

An dieser Stelle stimmen wir mit den gläubigen Juden überein, die uns darauf hinweisen, dass der Messias erst dann endgültig gekommen ist, wenn es keine Bosheit, kein Leiden und keine Sinnlosigkeit mehr gibt. Mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern dürfen wir deshalb voll Sehnsucht rufen: „Komm Herr, komme bald!“ Doch wir wissen, wen wir erwarten. Wir kennen seinen Namen und sein menschliches Gesicht. Wir haben seine Stimme bereits gehört – und wir kosten immer wieder seine Gegenwart aus. Wir haben allen Grund zu glauben, dass er wiederkommen wird, endgültig. Ein neuer Himmel und eine neue Erde sind uns verheißen.

Wir feiern Weihnachten. Damit haben wir jedes Jahr die Möglichkeit, einen zentralen Satz unseres Glaubensbekenntnisses tiefer bei uns ankommen zu lassen: „Incarnatus est – er hat Fleisch angenommen“. Wir feiern, dass Gott in unserer Welt angekommen ist  – damals in Palästina. Wir vergewissern uns, dass er mitten unter uns ist – hier und heute, in diesem Gottesdienst, in jedem und jeder von uns. Und wir strecken uns sehnsüchtig aus nach seiner endgültigen Ankunft, von der wir aber wissen, dass sie sicher kommen wird. Das kann uns helfen, auch jetzt schon voll Freude in dieser Welt zu leben.

„Brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen, ihr Trümmer Jerusalems!“ - so haben wir in der ersten Lesung aus Jesaja gehört. „Denn der Herr tröstet sein Volk, er erlöst Jerusalem… Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes“ (Jes 52, 9f.).

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