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„Vor allem Dankbarkeit!“

Bischof Feige zum 25. Jahrestag des Mauerfalls

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Was bewegt Sie, wenn Sie heute an den Mauerfall vor 25 Jahren denken?

Zunächst einmal die Erinnerung an die Zeit davor. Zwei Daten hatten sich mir besonders „eingebrannt“: der 13. August 1961, an dem die Mauer gebaut wurde, der sogenannte „antifaschistische Schutzwall“, der sich in Wirklichkeit gegen die eigene Bevölkerung richtete, und der 21. August 1968, an dem der „Prager Frühling“ durch die Truppen des Warschauer Paktes niedergewalzt wurde. Noch im Herbst 1989 hatte ich mir nicht vorstellen können, dass die DDR bald wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Eher fürchtete ich, dass wieder einmal Panzer rollen, genauso wie gleichzeitig auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ in Peking. Als aber dann alles doch völlig anders kam, ging es mir wie vielen anderen: Wir fühlten uns einfach wie „Träumende“ (Psalm 126) und brauchten erst einige Zeit, um an das Wunder zu glauben. Was bewegt mich heute? Vor allem Dankbarkeit! Je größer der Abstand zu dem wird, was ich fast 40 Jahre in der DDR miterlebt habe, umso unglaublicher, makabrer und lächerlicher erscheint mir vieles. Ich weiß aber auch darum, dass danach kein Paradies ausgebrochen ist und viele Probleme bewältigt werden mussten und müssen. Dennoch wünsche ich mir keinen einzigen Augenblick lang die sozialistische „Diktatur des Proletariates“ mit ihrem Versuch der „Zwangsbeglückung“, ihrer Scheindemokratie und ihrem Spitzelsystem zurück.
Waffen der Kampftruppen vor der Zerstörung

Sehr viel hat sich für die ostdeutsche Bevölkerung verändert. Auch die Katholiken im Bistum Magdeburg mussten sich umstellen. Worin zeigte sich das besonders?

Nach der friedlichen Revolution und der gesellschaftlichen Wende standen wir auf einmal einer grundsätzlich anderen Situation gegenüber. Neue Herausforderungen, Möglichkeiten und Probleme taten sich auf. Vor allem die ersten Jahre waren unheimlich spannend und abenteuerlich. Am Anfang hatten manche sogar die Erwartung, dass viele sich wieder dem Christentum und der Kirche zuwenden. Eine solche Entwicklung ist aber nicht eingetreten. Andererseits wurde Kirche ähnlich wie in der alten Bundesrepublik zu einer öffentlich bedeutsamen Größe. Viele Christen übernahmen politische und gesellschaftliche Ämter und gestalteten den Demokratisierungsprozess mit. Hatten wir Katholiken zu DDR-Zeiten fast wie in einer – heute würde man sagen – „Parallelgesellschaft“ gelebt, galt es nun, sich in den neuen Verhältnissen zurechtzufinden und unserer Berufung und Sendung gerechter zu werden.

Wie hat die Magdeburger Ortskirche auf die Herausforderungen nach dem Mauerfall reagiert? 

Richtfest für die Grundschule St. Mechthild in MagdeburgIm Verwaltungs- und Finanzbereich musste fast alles radikal umgestellt werden. Was das bedeutete, kann man sich heute schon gar nicht mehr so richtig vorstellen. Im Laufe weniger Jahre war es dank der finanziellen Unterstützung durch die westlichen Bistümer und das Bonifatiuswerk in Paderborn möglich, unsere Gebäude – Kirchen sowie Pfarr- und Gemeindehäuser – umfassend zu sanieren und zu modernisieren. Neue seelsorgliche Aufgaben kamen hinzu: zum Beispiel bei der Bundeswehr, der Polizei, in Justizvollzugsanstalten oder Krankenhäusern. Einige soziale Einrichtungen wurden von der Caritas noch zusätzlich zu den schon vorhandenen übernommen. Die Einführung des schulischen Religionsunterrichtes brachte viele Probleme mit sich; ohne die Mithilfe kirchlichen Personals wäre noch weniger zustande gekommen. Unabhängig davon hat mein Vorgänger – Bischof Leo Nowak – schon bald drei katholische Gymnasien (Magdeburg, Halle, Dessau) errichtet. Später kamen noch vier Grundschulen (Magdeburg, Halle, Oschersleben, Haldensleben) und eine Sekundarschule (Halle) hinzu. 1994 schließlich – und das war mit die bedeutendste Weichenstellung – ist aus dem zuvor Bischöflichen Amt Magdeburg, das territorial wenigstens bis dahin noch zum Erzbistum Paderborn gehört hatte, ein eigenständiges Bistum geworden. Dafür hatte auch die Mehrheit der Befragten plädiert; wohlgemerkt aber – das ist mir wichtig, zu betonen – nicht gegen Paderborn, sondern für Magdeburg.

Was haben die Katholiken der DDR in die deutsche Einheit eingebracht? Bischof Dr. Gerhard Feige

Vor allem würde ich sagen – sich selbst mit ihren Erfahrungen und Prägungen. Die wenigsten von uns waren Helden, aber viele hatten sich und ihre Überzeugung doch nicht verkauft. „Wer in der Löwengrube sitzt“ – so lautete eine nüchterne Erkenntnis – „wird den Löwen nicht unbedingt am Schwanz ziehen“. Von daher sind viele ostdeutsche Katholiken sicher vorsichtiger, zurückhaltender und unselbständiger gewesen, als wenn sie in einer demokratischen Gesellschaft gelebt hätten. Zugleich brachten wir aber die Einsicht mit, dass jede Zeit sowohl Bewährungs- als auch Heilszeit ist und dass Kirche auch unter schwierigen Umständen existieren und segensreich wirken kann. Entscheidend ist freilich, dass man als Christ nicht einfach mitschwimmt, sondern bewusst seinen Glauben lebt und auch den Mut hat, dafür einzustehen. Kirche haben viele damals inmitten aller Bedrängnisse und Anfechtungen zudem oftmals als einen familiären Zufluchtsort erlebt, an dem es möglich war, sich freimütig auszutauschen, in seinem Gewissen ernst genommen und in seiner Würde bestärkt zu werden. Kirche in der DDR war – wie es Franz-Georg Friemel, ein ostdeutscher Pastoraltheologe, einmal formuliert hat – „eine Gegenwelt zum verordneten Sozialismus … ein Schutzraum für das Menschliche“. Diese Erfahrung hat uns auch ein feines und kritisches Gespür für alles ideologische Gehabe mit auf den Weg gegeben. Auch im Christentum kann es ja vorkommen, dass manche – wie im Marxismus – die angeblich reine Lehre als geschlossenes System betrachten, dem sich alle nur ein- oder unterzuordnen haben. In Erinnerung an frühere Demonstrationen, Aufmärsche und Festivals betrachte ich manche christliche Großveranstaltung ebenso skeptisch. Auch die DDR war noch wenige Tage vor ihrem Untergang in der Lage, Massen zu begeistern. Das aber scheint nicht unbedingt immer etwas mit wirklicher Überzeugung oder einem tiefen Glauben zu tun zu haben. Neben diesen kritischen Vorbehalten möchte ich schließlich noch hervorheben, dass Ökumene für uns im Osten Deutschlands eine besondere Bedeutung hatte – und auch weiterhin hat. War es bis 1989 verstärkt der marxistisch-leninistische Druck, der uns Christen zusammenrücken ließ, drängt oder beflügelt uns heute die extreme Entkirchlichung in unserer Region zu größerer Nähe.

Mit der „extremen Entkirchlichung“ haben Sie ein Thema angesprochen, das viele bewegt. Vor einiger Zeit versah die Katholische Nachrichtenagentur das Ergebnis einer internationalen Studie aus Chicago mit dem Titel: „Gottesglaube in Ostdeutschland der geringste weltweit“. Können Sie diese Sicht mit Ihrer Erfahrung bestätigen?

Unsere Situation zu beschreiben und zu deuten, ist nicht ganz einfach. Manche sprechen von einer „forcierten Säkularität“ oder von „ererbter Gottlosigkeit“, andere halten die meisten ehemaligen DDR-Bürger für „religiös unmusikalisch“, „religiös naturbelassen“, „religionsresistent“ oder „gottlos glücklich“. Schillernder wird es noch, wenn der Erfurter Philosoph Eberhard Tiefensee formuliert: Ostdeutschland sei „so areligiös wie Bayern katholisch“. Auf jeden Fall ist es in unserer Region „normal“, keiner Kirche oder anderen Religion anzugehören. Das gilt von etwa 80 Prozent der Bevölkerung. Während – so habe ich es einmal gehört – Gott im Westen vielfach aus dem Herzen geschwunden sei, sei er im Osten auch aus dem Kopf entwichen. Die meisten hätten Gott nicht nur vergessen, sondern auch vergessen, dass sie ihn vergessen haben. Da ist etwas dran. Viele wissen schon mit dem Begriff „Gott“ nichts mehr anzufangen. Eine interessante These besagt sogar, dass man im Osten stolz darauf sei, „rationaler“ und damit „fortschrittlicher“ als die Westdeutschen zu sein, und dass man sich dieses Charakteristikum der eigenen Identität nicht auch noch rauben lasse. Viele gestalten sich ihr Leben pragmatisch; Ethik scheint auch ohne Religion möglich zu sein; ein genereller Werteverfall ist nicht auszumachen. Andererseits sind Ostdeutsche nicht absolut ungläubig oder wirklich bekennende Atheisten. Es gibt durchaus Nachdenkliche und Suchende. Und Einzelne finden sogar zum Christentum und lassen sich – was vor 1989 fast nicht vorkam – taufen. Sich kirchlicherseits auf eine solche Befindlichkeit einzustellen, ist nicht leicht. Ich denke dabei z.B. an die Comboni-Missionare, die nach der Wende 10 Jahre lang bei uns waren und für sich bis zuletzt nicht herausgefunden haben, wie sie hier mit sichtbarem Erfolg missionieren können. Da braucht es eine große Offenheit und einen langen Atem, um unsere zumeist sympathischen nichtchristlichen Zeitgenossen noch besser zu verstehen und um zu begreifen, was es angesichts dieser Herausforderungen bedeutet, das Evangelium Jesu Christi glaubwürdig und lebensnah zu bezeugen.

Wird das von Ihren westlichen Mitbrüdern im Bischofsamt verstanden?

Ich glaube schon, dass die meisten, auch wenn sie in einem anderen Kontext leben und ihre eigenen Probleme haben, an uns interessiert sind. Das zeigt sich durchaus immer wieder. Wie mir aber bestimmte bayrische oder rheinländische Verhältnisse nicht völlig verständlich werden und rätselhaft bleiben, nehme ich an, dass es ihnen umgekehrt ähnlich geht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand – und das betrifft nicht nur Bischöfe – ohne längere konkrete Erfahrungen ermessen kann, wie sich solche weltanschaulichen Umstände auf das Selbstverständnis der Kirche vor Ort, ihre gesellschaftliche Rolle und ihre ganz praktischen Vollzüge auswirken. Es gibt übrigens auch einzelne zugezogene Katholiken, die schon einige Zeit hier leben, sich aber dennoch aufgrund ihrer volkskirchlichen Vergangenheit nicht wirklich auf unsere Situation einlassen können oder wollen. Gelegentlich werden wir da auch mit eigenartigen Vorstellungen, Erwartungen oder Ansprüchen konfrontiert.

Ist die katholische Kirche in Deutschland zusammengewachsen?

Was die Bischofskonferenz betrifft, zweifellos. Da war es sogar bereits vor dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes zur Vereinigung gekommen. Heute kann man sich dies schon gar nicht mehr anders vorstellen. Das meiste hat sich normalisiert. Wir Ostbischöfe gehören dazu und bringen uns auch entsprechend ein. Dankbar sind wir vor allem für jede Unterstützung, die uns seitdem gewährt wurde und auf die wir auch weiterhin setzen können. Weniger komplikationslos verliefen aber manche Anpassungen des Ostens an die staatskirchenrechtlichen Vereinbarungen der alten Bundesrepublik. Vor allem betraf das die Einführung des schulischen Religionsunterrichtes. Hierbei sollte es keine andere Lösung geben als im Westen, damit die dortige Praxis nicht untergraben würde. Ob das freilich eine richtige Entscheidung war, wird schon seit längerem bezweifelt, da in einigen Regionen aufgrund der geringen Katholiken- und Schülerzahlen nie ein solcher zustande kam oder inzwischen nicht mehr zustande kommt, andere katechetische Formen aber aufgegeben wurden. Insgesamt kann man jedoch von fast allen Ebenen und Bereichen – Bistümern, Pfarreien, Orden, Verbänden, Hilfswerken und Initiativen – sagen, dass sich erfreuliche Beziehungen entwickelt haben, dass man sich schätzt und füreinander Verantwortung übernommen hat. Manche Unterschiede bleiben freilich. Aber auch Nord und Süd gleichen sich nicht in allem.

Worin sehen Sie zwischen der katholischen Kirche im Osten und der im Westen Deutschlands noch Unterschiede? 

Bischof Leo Nowak nimmt von Nuntius Lajolo den Hirtenstab entgegen.Wesentliches ist uns gemeinsam; und die Unterschiede, die es gibt, trennen nicht, spielen aber doch eine bedeutsame Rolle. Ich meine auch, dass manche davon nicht aufzuheben sind und andere ganz einfach die Vielfalt katholischer Wirklichkeit in Deutschland bereichern. Äußerlich fällt da schon einmal auf, dass von den 24,2 Millionen deutscher Katholiken insgesamt im Osten – auf mehrere Bistümer verteilt – nur etwas mehr als 800.000 leben, und lediglich 86.000 davon im Bistum Magdeburg. Allein zum Erzbistum Köln hingegen gehören mehr als 2 Millionen Katholiken, und das auf einer Fläche, die nur etwa ein Drittel von unserer ausmacht. Auch was die Anzahl und den Einsatz von Mitarbeitern oder die finanziellen Möglichkeiten betrifft, gib es gewaltige Unterschiede. Im Osten muss oftmals ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin gleich mehrere Aufgabenfelder abdecken, weil niemand anderes mehr dafür eingestellt werden kann, und in manchen Bereichen – zum Beispiel bei Organisten und Küstern – läuft überhaupt fast alles nur ehren- oder nebenamtlich. Von einem westlichen Weihbischof habe ich einmal gehört, wenn er für ein wichtiges Projekt Geld bräuchte, wüsste er, an wen er sich wenden könne; ich hingegen kenne in unserer Region niemanden, der in einem solchen Fall spontan eine beträchtliche Summe spenden könnte oder wollte. Aufgrund unserer extremen Minderheitensituation – nur 3 bis 4 Prozent der Bevölkerung im Bereich des Bistums Magdeburg sind katholisch, höchstens 15 Prozent noch evangelisch – ist unsere gesellschaftliche Position auch viel schwächer als im Westen üblich. In den Medien unserer Region finden wir darum verhältnismäßig nur wenig Beachtung, weil sich ja die große Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger angeblich nicht für Religion und Kirche interessiert, und manchen westlichen Journalisten scheinen wir zu unwichtig zu sein, um sich überhaupt mit uns zu beschäftigen. Übernimmt freilich ein Westdeutscher im Osten Verantwortung, reagiert man schon anders. Deutliche Unterschiede sehe ich auch hinsichtlich der demographischen Entwicklung und der Lebensverhältnisse. Und das betrifft uns ebenso wie die ganze Gesellschaft. Zum einen überaltern wir zusehends, und die meisten jungen Leute ziehen weg; zum anderen verändern sich z.B. die Familienformen um und bei uns rasanter und radikaler als anderswo. So war vom Statistischen Bundesamt erst kürzlich zu hören, dass – um nur ein Extrem zu nennen – 2013 in Baden-Würtemberg der Anteil der Ehepaare an allen Familien mit minderjährigen Kindern bei 78 Prozent lag, in Sachsen-Anhalt jedoch bei nur 51 Prozent. Ähnliches lässt sich im Ost-West-Vergleich auch bei Lebensgemeinschaften und Alleinerziehenden feststellen. Solche Gegebenheiten bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die jeweiligen Ortskirchen und fordern sie spezifisch heraus. Dazu gehört in unseren Pfarreien auch, dass unter den wenigen, die überhaupt noch kirchlich heiraten, die meisten Paare weder rein katholisch noch gemischt konfessionell sind, sondern dass immer mehr Ehen mit religionslosen Partnerinnen oder Partnern geschlossen werden. Außerdem – und das wäre noch ein anderer Unterschied – zeigt sich katholische Kirche im Westen vielfach traditionsbezogener, folkloristischer und trachtenreicher, während im Osten eher eine stärkere Nüchternheit und Ernsthaftigkeit wahrzunehmen ist, sicher auch durch das evangelisch geprägte Umfeld mit beeinflusst. Dazu gehört vielleicht auch, dass mir bei der gelegentlichen Anrede „Exzellenz“ immer ein kleiner Schauer den Rücken herunterläuft. Einen Bischof so anzureden, waren und sind wir hier im Osten nicht gewöhnt. Auch wenn es respektvoll gemeint ist, bleibt es für mich irritierend. Und noch eine letzte Bemerkung zur Frage nach Unterschieden zwischen Ost und West. Einen sehr grundsätzlichen Unterschied – das betrifft aber die ganze Gesellschaft – sehe ich auch darin, dass wir Ostdeutschen Westdeutschland immer mitdenken müssen, Westdeutsche umgekehrt das hingegen nicht nötig haben.

Wenn Sie auf die vergangenen 25 Jahre zurück blicken, worüber freuen Sie sich und was ärgert Sie?

Ohne Zweifel überwiegt bei mir die Freude, vor allem über die errungene oder geschenkte Freiheit mit all ihren Möglichkeiten. Ich gönne es vor allem der jungen Generation, die Welt ganz anders erfahren zu können, als es für uns möglich war. Ich bin sehr dankbar dafür, dass uns nach 1989 so viele Idealisten und Fachleute aus der alten Bundesrepublik zu Hilfe gekommen sind und uns unterstützt haben, in den neuen Verhältnissen Fuß zu fassen und diese sinnvoll zu gestalten: aus Bistümern, Verbänden und Stiftungen, aus Gemeinden und Vereinen, aus Politik und Wirtschaft oder vom Bonifatiuswerk. Auch mehrere Orden haben Niederlassungen bei uns errichtet oder einzelne Mitglieder entsandt, die mit großem Eifer bei uns eingestiegen sind. Leider mussten einige von ihnen aufgrund ihres Alters oder der rückläufigen Entwicklung ihres Ordens unser Bistum inzwischen wieder verlassen. Faszinierend finde ich außerdem, wie durch Zuzug mancher Westdeutscher und Ausländer verschiedene unserer Gemeinden bereichert wurden und einen weiteren Horizont bekommen haben. Mich freut auch, wenn ich von einigen kirchlichen Hilfswerken höre, dass die Spendenbereitschaft in den östlichen Bistümern – wenn man die eingegangene Gesamtsumme zur Zahl der Katholiken bzw. der Gottesdienstteilnehmer in Beziehung setzt – höher liegt als bei den westlichen Bistümern; zeigt sich darin doch, dass man sich nicht nur beschenken lässt, sondern auch bereit ist, anderen spürbar beizustehen. Was mich hingegen befremdet, sind bestimmte negative Auswirkungen der Pluralisierung unserer Gesellschaft und auch unserer Kirche. Nichts gegen unterschiedliche Meinungen, aber manche beanspruchen inzwischen rigoros, im Besitz der Wahrheit zu sein, verstehen sich dabei sogar als besonders katholisch und scheuen sich auch nicht davor, andere unter Druck zu setzen und sie gelegentlich zu diffamieren oder zu denunzieren. In größeren Bistümern mögen sich solche Extreme noch verlieren, in kleineren belastet so etwas mehr. Kontraproduktiv wird dies vor allem, wenn jemand mit westlicher Sozialisation meint, katholischen Christen im Osten beibringen zu müssen, was wahrhaft katholisch sei. Das ist angesichts unserer Glaubenserfahrung unter ganz anderen Bedingungen und unseres sorgenvollen Ringens um verantwortbare Lösungen im Geiste Jesu Christi mehr als anmaßend.

Wie verstehen Sie sich und unser Bistum auf dem Weg in die Zukunft?

Ich glaube, dass wir im vereinten Deutschland angekommen sind, aber – auch aufgrund weiterer gesellschaftlicher Veränderungsprozesse – noch einen gewaltigen Gestaltwandel vor uns haben. Dabei hoffen wir auch künftig, durch die westlichen Bistümer unterstützt zu werden. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt, wir haben aber auch Chancen. Wir wollen keine geschlossene Gesellschaft sein, uns nicht zurückziehen, keine Idylle pflegen, sondern versuchen, als „schöpferische Minderheit“ zu wirken, in ökumenischem Geist und in Kooperation mit anderen Partnern. Dazu müssen wir uns freilich noch mehr um einen Mentalitätswandel bemühen. Vor dieser Herausforderung aber stehen nicht nur die ostdeutschen Bistümer.

Bischöfin Junkermann und Bischof Feige im Gespräch

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