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Bischof Gerhard Feige am Ostersonntag

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Österliche Freude?

 Christus steigt aus dem Grab„Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, in deiner Urständ fröhlich ist“… so heißt es in einem alten Osterlied (GL neu 332). Die „Urständ“ Jesu Christi – gemeint ist damit seine Auferstehung – wirke sich – so wird darin zum Ausdruck gebracht – weltweit aus: Engel und Menschen singen, auch die Natur stimmt ein, es blüht und jubiliert überall, selbst die Sonne erstrahlt in einem neuen Glanz. Davon spricht jedenfalls der Jesuit Friedrich Spee, der im 17. Jahrhundert den Text dieses Liedes geschrieben hat. Ist das nun eine schwärmerische und träumerische Idealisierung der Wirklichkeit, die weltfremde Ansicht eines Ordensmannes, oder will Friedrich Spee damit die Menschen seiner Zeit über das täglich erlebte Elend hinwegtrösten? Denn fröhlich ging es wahrhaftig auch zu seiner Zeit nicht immer zu. So waren beispielsweise Hexenprozesse an der Tagesordnung, die unzähligen Frauen das Leben kosteten. Tief erschüttert darüber hat sich Friedrich Spee unter Gefahr seines eigenen Lebens leidenschaftlich gegen diese Verfahren eingesetzt. Zudem wurden die Menschen jener Epoche von verheerenden Seuchen heimgesucht. Er selbst hat sich schließlich angesteckt, als er Pestkranke pflegte und ist daran mit nur 44 Jahren gestorben.

„Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, in deiner Urständ fröhlich ist“. Wie geht es uns mit einer solchen Aussage? Trifft sie die Wirklichkeit? Ist davon tatsächlich irgendwo etwas zu spüren? Täglich – auch zu Ostern – werden wir stattdessen mit erschütternden Nachrichten aus aller Welt konfrontiert: dem Elend syrischer Kinder in den Flüchtlingslagern; den gewalttätigen Auseinandersetzungen in Afghanistan, Zentralafrika oder in der Ukraine; dem Schicksal unzähliger Menschen, die durch Naturkatastrophen obdachlos werden oder ums Leben kommen. Und wir brauchen gar nicht so weit zu schauen: Unter unseren eigenen Angehörigen, im Freundeskreis und in der Nachbarschaft geraten manche in innere oder äußere Not; Familien zerbrechen, alte Menschen fühlen sich alleingelassen, und die Anzahl der an Überforderung Erkrankten nimmt zu. Und wer von uns könnte schon behaupten, dass das eigene Leben frei von Angst und Zweifeln wäre? Mich selbst machen die Schicksale einiger mir gut bekannter und vertrauter Menschen fast sprach- und hilflos.

Bischof Feige predigtWie können wir bei solchen Erfahrungen da von österlicher Freude singen oder sogar erfüllt werden? Sind wir nicht eher in der Gefahr, durch all das, was wir an eigenem und fremdem Leiden zu verarbeiten haben, innerlich gegenüber der Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi abzustumpfen? Kann sie uns denn überhaupt erreichen? Ist sie angesichts der Welt, in der wir leben, nicht eine absurde Zumutung? 

Österliche Zumutung

Ja, sie ist eine Zumutung, vielleicht die ungewöhnlichste und tiefste Zumutung überhaupt. Sie widerspricht unserer Erfahrung und unserer Logik. Sie bürstet sozusagen alles, was wir kennen und zu wissen glauben, gegen den Strich. Ich bin sicher, dass es auch für Friedrich Spee nicht anders war. Worunter er gelitten hat, ging nicht schönzureden; und das wollte er mit seinem Text auch nicht. Vielmehr war es wohl die Hoffnung, die ihn für sein Osterlied inspiriert hat, eine Hoffnung, die weder das Elend noch den Krieg und den Tod leugnet, eine Hoffnung, die tiefer ansetzt, die an die Wurzel geht und darin im wahrsten Wortsinn „radikal“ ist. Sie besagt das, was Maria von Magdala und die Jünger Jesu erfahren haben: Gott hat den Gekreuzigten von den Toten auferweckt. Mit ihm hat er angefangen, unserer Welt wieder zu ihrer eigentlichen Bestimmung zu verhelfen, den Tod, der sie am tiefsten in Frage stellt, zu entmachten. Denn der Tod ist allgegenwärtig in unserem Leben, ob wir es spüren oder nicht, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. „Nur weil ich weiß,“ – so formuliert es eine deutsche Journalistin (Sabine Rückert) einmal – „wie viele Haare ich auf dem Kopf habe, warum ich der Erdanziehung unterworfen bin und wie mein Stoffwechsel funktioniert, habe ich noch lange nicht verstanden, wozu dieses Leben da ist. Was ich bedeuten soll. Und warum ich alt werde und sterben muss.“

Genau hier setzt die Auferweckung Jesu durch Gott an. Genau hier beginnt etwas radikal Neues. Danach sind wir zwar trotzdem noch in die Gesetzmäßigkeiten dieser Erde eingebunden und werden auch weiterhin altern und einmal sterben. Danach werden wir uns oftmals immer noch wie in geschlossenen Systemen vorkommen, oder wie der Hamster im Tretrad. Doch das ist nun nicht mehr alles. Unser Leben hat eine grundlegend andere Perspektive bekommen. Wir sind nicht dazu bestimmt, im Nichts zu versinken, sondern auf Größeres angelegt. Wir haben eine Zukunft über den Tod hinaus. Das Leben ist in seiner innersten Wurzel gewissermaßen mit einem „Keim geimpft“, den nichts und niemand mehr zerstören kann. Dieser Keim ist Jesus Christus selbst, der uns als der Auferstandene immer wieder begegnen und aufrichten will. „Er ist“ – wie Karl Rahner einmal sagt – „in allen Tränen und in allem Tod als der verborgene Jubel … Er ist im Bettler, dem wir schenken, als der geheime Reichtum, der dem Schenkenden zuteil wird. Er ist in den armseligen Niederlagen seiner Knechte als der Sieg, der Gottes allein ist. Er ist selbst noch mitten in der Sünde als das bis zum Ende geduldig bereite Erbarmen der ewigen Liebe.“

Damit ist unsere Welt wesentlich verändert. Ein neuer Himmel und eine neue Erde tun sich auf. Wir alle und mit uns die ganze Schöpfung sind auf Vollendung hin angelegt. Daran zu glauben und darauf zu hoffen, hat Friedrich Spee sein Lied dichten lassen: „Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, in deiner Urständ fröhlich ist …“ 

Österliche Konsequenzen

 Was aber ist mit denen, die eine solche Hoffnung nicht teilen können? Wie gehen viele unserer Zeitgenossen mit Vergänglichkeit und Tod um? Nun, man kann diese Tatsache solange wie möglich verdrängen und sich ins Leben mit seinen Freuden und Genüssen stürzen, etwa nach dem Motto: „Iss und trink und lass dir’s gut gehen, denn morgen bist du tot!“ Man kann heroisch dieses Schicksal annehmen, sich sagen: „So ist nun einmal der Lauf der Dinge“, und versuchen, dennoch aus seinem Leben etwas Sinnvolles zu machen. Man kann aber auch sich gläubig darauf einlassen, was uns die christliche Osterbotschaft zumutet. Das freilich hat nicht nur für die Zukunft Bedeutung, sondern auch schon für die Gegenwart. Friedrich Spee hat aus der Hoffnung auf ewiges Leben die Kraft geschöpft, sein Schicksal und das Schicksal der anderen voll Vertrauen zu tragen, ja, noch mehr, diesem Schicksal sogar die Stirn zu bieten.

Auch uns ruft Paulus – wie heute – in der Lesung aus dem Kolosserbrief zu: „Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist … Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!“ Und das heißt zunächst: Grundsätzlich hat dieses ewige Leben für uns schon mit der Taufe begonnen. Dann aber werden wir auch ermahnt: Lasst euch nicht von den irdischen Problemen ablenken und lähmen; behaltet den Himmel im Blick; verliert nicht die Hoffnung auf Erlösung und Vollendung! Dazu gehört folgerichtig schließlich noch: Kündet auch anderen von eurer Hoffnung und lebt vor allem daraus! Dass das nicht immer gelingt, aber enorm wichtig sei, hat auch die Würzburger Synode 1975 selbstkritisch zum Ausdruck gebracht. In einem ihrer Texte (Beschluss: „Unsere Hoffnung“) heißt es dazu: „Sind wir, was wir im Zeugnis unserer Hoffnung bekennen? Ist unser kirchliches Leben geprägt vom Geist und der Kraft dieser Hoffnung? … ‚Die Welt‘ braucht keine Verdoppelung ihrer Hoffnungslosigkeit durch Religion; sie braucht und sucht (wenn überhaupt) das Gegengewicht, die Sprengkraft gelebter Hoffnung. Und was wir ihr schulden, ist dies: das Defizit an anschaulich gelebter Hoffnung auszugleichen.“

Das könnte bedeuten: Österliche Menschen sollten den Mut haben, dem schleichenden Tod in all seinen Varianten Widerstand zu leisten: der Selbstsucht und Feigheit, der Depression und Verzweiflung, der Ausgrenzung und Verarmung, der Ungerechtigkeit und Herzlosigkeit. Österliche Menschen sollten ein Gespür dafür haben und fähig sein, überall dort einen Keim der Hoffnung zu pflanzen, wo Menschen verzweifelt sind, wo sie Unrecht erleiden und einen unstillbaren Durst nach Leben haben.

Jede Eucharistiefeier ist der besondere Ort, wo uns beim Lesen aus der Heiligen Schrift und beim Brechen des Brotes die Augen aufgehen und wir Christus, den auferstandenen Herrn in unserer Mitte erkennen können. Hier ist er gegenwärtig durch seinen Geist. Hier will er uns aufs Neue Anteil an seinem Leben geben. Lassen wir uns von ihm ergreifen und beschenken! Richten wir unseren Sinn auf das Himmlische, bis wir einst – so unsere Hoffnung und Zuversicht – zur Fülle des Lebens gelangen. Mühen wir uns aber auch darum, anderen das Leben erträglicher zu machen. Und stimmen wir ein in den Osterjubel der Kirche auf dem ganzen Erdenrund: „Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja!“

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