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Barmherzigkeit

Ein Schlüssel christlichen Lebens

Heute von Barmherzigkeit zu reden ist nicht so einfach. Es ist ein eher ungebräuchliches, altertümliches Wort. Barmherzig zu sein erscheint vielen als Schwäche. In unserer Gesellschaft imponieren öfter diejenigen, die stark sind und sich durchsetzen können, ohne Rücksicht auf andere. Friedrich Nietzsche sah in der Barmherzigkeit eine Form von Egoismus, die das Leiden in der Welt nur noch vermehrt und den Leidenden zusätz-lich beschämt. Stattdessen müssten Recht und Gerechtigkeit walten. Von der Wortbedeutung her meint Barmherzigkeit (lat. misericordia), sein Herz für die Leidenden zu geben. Das hebräische Wort für Barmherzigkeit ist verwandt mit „rechem“ = Mutterschoß. Barmherzigkeit ist in diesem Sinn eine bergende mütterliche Liebe.

Wie geht es Ihnen mit dem Wort „barmherzig“?
Was ist für Sie Barmherzigkeit?

Schaut man auf die biblische Botschaft, so zeigt sich: Barmherzigkeit ist geradezu ein Schlüsselwort, um zu beschreiben, wie Gott ist. Seine Größe zeigt sich darin, dass er das Leben seiner Geschöpfe schützen, fördern und immer wieder neu aufbauen will. Diese Botschaft hat Jesus gepredigt und gelebt: Er hat sich den Kranken und Ausgestoßenen zugewandt, er hat den Sündern Vergebung zugesprochen, er hat gebeugte Menschen aufgerichtet. Seine ganze Person ist eine sich schenkende Liebe.

In seinen Gleichnissen zeigt Jesus auch auf, wie sehr Gottes Barmherzigkeit seine Weise von Gerechtigkeit ist. Er offenbart „die Natur Gottes als die eines Vaters, der nie aufgibt, bevor er nicht mit Mitleid und Barmherzigkeit die Sünde vergeben und die Ablehnung überwunden hat“ (Papst Franziskus). Gott ist wie der liebende Vater, der dem Sohn entgegeneilt, obwohl dieser sein ganzes Erbe verschleudert hat. Das ist keine falsche Nachgiebigkeit gegenüber einem Sohn, der nach menschlichem Ermessen keinerlei Anspruch darauf hat, so zuvorkommend behandelt zu werden. Es ist vielmehr eine „höhere Gerechtigkeit“, in der es nicht um den Buchstaben von Recht und Gesetz geht, sondern um die einzelne Person mit ihrem Lebensschicksal. Um ihr wirklich gerecht zu werden, braucht es auch die erbarmende Liebe.

In vielen Gleichnissen spricht Jesus von der Barmherzigkeit Gottes.
In seinem Handeln zeigt er die Liebe Gottes.

Welche Bibelstelle gefällt Ihnen besonders gut?
Was zeigt sich darin von Gott / von Jesus?

Wenn Gott so an uns Menschen handelt, dann hat das Konsequenzen für uns, die an ihn glauben. Barmherzigkeit wird zu einem „Kriterium, an dem man erkennt, wer wirklich seine Kinder sind. Wir sind also gerufen, Barmherzigkeit zu üben, weil uns selbst bereits Barmherzigkeit erwiesen wurde“ (Papst Franziskus).

Dabei will barmherziges Handeln den anderen nicht zum Hilfeempfänger degradieren, sondern hat zum Ziel, ihn aufzurichten, ihm gerecht zu werden und ihm ein selbständiges Leben zu ermöglichen. Die christliche Tradition beschreibt auf der Grundlage des Neuen Testamentes, wie Barmherzigkeit konkret aussehen kann. Sie zählt sieben leibliche und sieben geistliche Werke der Barmherzigkeit auf.

  • Die leiblichen Werke: Die Hungrigen speisen, die Durstigen tränken, die Nackten bekleiden, die Fremden beherbergen, die Kranken besuchen, die Gefangenen erlösen, die Toten begraben.
  • Die geistlichen Werke: Die Unwissenden lehren, die Zweifelnden beraten, die Trauernden trösten, die Sünder zurechtweisen, den Beleidigern gerne verzeihen, die Unangenehmen ertragen, für alle beten.Logo Gutert Hirte mit Schaf auf der Schulter

Darin zeigt sich: Barmherzig zu sein heißt, ein aufmerksames und empfindsames Herz für die Not anderer zu haben. „Die Werke der Barmherzigkeit sind unsere Antwort auf den Schrei unserer verwundeten Welt“ (Konferenz der europäischen Jesuitenzeitschriften).

In Kurzfassung könnten die Werke der Barmherzigkeit so lauten: „Einem Menschen sagen: Du gehörst dazu, ich höre dir zu, ich rede gut über dich, ich gehe ein Stück mit dir, ich teile mit dir, ich besuche dich, ich bete für dich“ (Sieben Werke der Barmherzigkeit für Thüringen heute). Betrachten Sie die Werke der Barmherzigkeit:

Welches Werk der Barmherzigkeit spricht Sie besonders an?
Was würde Ihnen selbst gut tun?
Wie könnten Sie handeln?

Barmherziges Handeln betrifft nicht nur das persönliche Leben der Christen. Die Kirche als Ganze ist dazu beauftragt, in dieser Welt ein „Sakrament der Barmherzigkeit“ zu sein. Dem kommt sie nicht immer nach. Sie muss sich deshalb immer wieder selbstkritisch fragen, ob sie dem, was sie ist und sein soll, in der Tat auch gerecht wird. Im Verhältnis zu den Gläubigen - also nach innen - muss sich die Barmherzigkeit Gottes überall da erweisen, wo Menschen ihrer bedürfen: beispielsweise in der komplexen Wirklichkeit der Familien mit ihrem Gelingen und in ihren Nöten. Dasselbe gilt auch für das Verhältnis der Kirche nach außen. Die Kirche muss in den grundsätzlichen Fragen mitreden, die das Zusammenleben der Menschen und der Völker betreffen. „Von den leiblichen und geistlichen Werken der Barmherzigkeit kann dann auch im politischen und sozialen Bereich eine Inspirations- und Schubkraft ausgehen“ (W. Kasper). Derzeit betrifft das vor allem auch die Flüchtlingsfrage, in der den Kirchen eine wegweisende Rolle zukommt. Wie könnte Kirche ein barmherzig(er)es Gesicht zeigen: nach innen, gegenüber den Mitchristen; nach außen, in die Gesellschaft hinein? Wo finden Sie in Ihrer Pfarrgemeinde oder Ortsgemeinde Oasen der Barmherzigkeit?

Das „Kyrie eleison“ wird in dieser Welt nie verstummen. „Dass dieser Ruf auch öffentlich laut werden kann und darf, gehört zum Menschheitskulturerbe; es gehört zu einer Kultur der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und zur Menschenfreundlichkeit einer wirklich freien Gesellschaft“ (W. Kasper).  

Walter Kardinal Kasper, Barmherzigkeit. Grundbegriff des Evangeliums – Schlüssel christlichen Lebens, Freiburg 2012.
Papst Franziskus, Misericordiae vultus. Verkündigungsbulle zum Außerordentlichen Jubiläum der Barmherzigkeit, 11. April 2015

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