Rezension

Das Buch ist 
im Verlag Klett-Cotta erschienen
und kostet 9,95 €.

ISBN:
978-3-608-94808-0
Das Buch ist 
im Verlag Herder erschienen
und kostet 8,99 €.

ISBN:
978-3-451-06212-4

„Die Zeit heilt eben nicht alle Wunden“

Kriegskinder und Kriegsenkel


„Immer wieder werde ich seit Erscheinen von ,Die vergessene Generation‘ und ,Kriegsenkel‘ gefragt, ob dann, wenn bei den Nachkommen das Verständnis für die schwere Kindheit ihrer Eltern wachse, die Beziehungen zwischen den Generationen heilen könnten. Ja, das ist möglich, aber es geschieht eher selten. Heilung würde voraussetzen, dass beide Seiten, die erwachsenen Kinder und die älter werdenden Eltern, gemeinsam in einen intensiven Prozess einsteigen. Ohne Anleitung, ohne Selbsterfahrung gelingt das wohl nur in Ausnahmefällen. Ich höre davon gelegentlich und es freut mich sehr. Was ich aber relativ häufig höre – und das scheint mir die tragfähige gute Nachricht zu sein -, ist, dass bei vielen Kindern und Eltern das Gespräch über die Familienvergangenheit nach anfänglicher Irritation mehr Nähe und ein bisschen mehr Frieden gebracht hat.“ (Bode, Kriegsenkel, 11-12)

So beginnt die Kölner Autorin Sabine Bode das Vorwort der mittlerweile 15. Auflage ihres Buches Kriegsenkel. Die Erben der vergessenen Generation. „Kriegsenkel“ ist der Begriff für die Kinder, deren Eltern selbst Kriegskinder sind. Das Buch versucht zu beschreiben, welche Erfahrungen die Generation derer, die zwischen 1960 und 1975 geboren wurde, im Umgang (oder Nichtumgang) mit der Lebensgeschichte ihrer Eltern, deren Lebensart und Erziehungsstil gemacht haben und wie diese in eigenes Leben hineinwirken.

Zwar fehle es, so Bode, nicht an einem Wissen um historische Fakten, um die Vergangenheit der Familiengeschichte: „Was aber sicher fehlt, ist ein Verständnis für die Auswirkungen dieser Vergangenheit. Was bedeutet diese Erbschaft für unsere persönliche Identität, für unsere Familienidentität und letztlich auch für unsere gesellschaftliche Identität?“ (Bode, Kriegsenkel, 33)
So macht die Autorin darauf aufmerksam, dass auch die Generation der deutlich nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen indirekt, durch die Erfahrungen ihrer Eltern hindurch, unter dem Einfluss der Kriegsschicksale stehen. „Sie haben das Gefühl, sie würden ihre Potenziale nicht ausschöpfen. Irgendwas bremst sie. […] Auffällig bei den heute 40- bis 50-Jährigen ist eine diffuse Identität. Offenbar empfinden sich viele Menschen als unstimmig.“ (Bode, Kriegsenkel, 34).
 

Familiengespenster aus dem Schatten locken

Mit ihrer Beschreibung von Lebenswegen und Hemmnissen, die diese Generation durchlaufen hat, verbindet die Autorin den Wunsch, dass sich die Kinder der Kriegskinder mit anderen ihres Alters über ihre Erfahrungen austauschen und so „ihre Familiengespenster endlich aus ihrem Schatten heraus[...]locken.“

Eine ähnliche Intention tragen auch die anderen Veröffentlichungen von Sabine Bode, Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen (2015 in der 25. Auflage) und Nachkriegskinder. Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter (2015 in der 6. Auflage). Bode beschreibt auf der Basis von Interviews exemplarische Lebenswege und macht auf Gemeinsamkeiten aufmerksam. Sie regt an, nach Parallelen und ähnlichen Erfahrungen in der eigenen Familie, in den Generationen der Großeltern, Eltern, Enkel Ausschau zu halten, um die anderen Familienmitglieder in ihrer Lebensart, ihren Gewohnheiten, Ängsten oder Ticks besser verstehen zu können. Selbst dann, wenn bisher nicht darüber gesprochen wurde.

Die hohe Auflagenzahl der Bücher scheint ein Hinweis dafür zu sein, wie sehr eine derartige Auseinandersetzung mit den Biografien in unseren Familien und Gemeinschaften Not tut. Zumal es wohl kaum eine Familie in Deutschland gibt, die nicht in die Ereignisse von Krieg, Flucht und Vertreibung involviert ist. Gerade zur Geschichte der katholischen Kirche in Mitteldeutschland gehört, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg unzählige Flüchtlinge, besonders aus dem Sudentenland und Schlesien, aufgenommen hat. Wie gut wäre es, wenn diese Themen im Kreis Vertrauter und ähnlich Betroffener zur Sprache kommen könnten!

Nicht Schuldzuweisung oder Anklage

Anne-Ev Ustorf, eine andere Autorin, die sich als „Kriegsenkelin“ diesem Thema stellt, schreibt in ihrem Buch Wir Kinder der Kriegskinder. Die Generation im Schatten des Zweiten Weltkriegs: „Es ist mir wichtig zu betonen, dass es in diesem Buch nicht um Schuldzuweisung oder Anklage der Kriegskinder-Generation geht […] Wenn es uns gelingt, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte zu führen und so die eigenen Prägungen zu erkennen, dann müssen wir sie nicht an unsere Kinder weiterreichen. Schließlich wären die Enkelkinder der Kriegskinder dann nämlich bereits die vierte indirekt kriegsbetroffene Generation. […] Die Zeit heilt eben nicht alle Wunden.“ (Ustorf, Wir Kinder der Kriegskinder, 14)

PS.: Anne-Ev Ustorf macht in ihrem Nachwort, das sie mit Ausblick. Kriegskinder in Deutschland heute  überschreibt, auf eine andere Art der Aktualität des Themas aufmerksam: die zahlreichen Kriegsflüchtlinge, die heute in Deutschland Zuflucht suchen.

Thomas Pogoda

Fachbereich Pastoral
in Kirche und Gesellschaft
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im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg

(Ausgabe Dezember 2015)
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