Ökumene aktuell

Ökumene in der Steilwand

Ökumene sei aktuell wie eine Kletterpartie, in der die Partner in der Steilwand festhingen und nicht mehr vorwärts kämen, so urteilte kürzlich der katholische Theologieprofessor Dirk Ansorge. In der Tat war in letzter Zeit wenig voran gegangen, nachdem die ökumenische Bewegung seit ihrem Aufkommen vor knapp 100 Jahren vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) durch katholische Mitwirkung rasante Fortschritte erzielt hatte. Die Kirchen waren sich nähergekommen, sprachen miteinander, übernahmen im gemeinsamen Tun Weltverantwortung, obgleich dogmatische Trennungen bestanden und bestehen. Dennoch, oder besser: deswegen mühten sich ökumenische Theologengruppen, diese Differenzen auszuräumen – praktisch auf allen Gebieten, sogar in der Amts- und Abendmahlsfrage taten sich Lösungswege auf dem Papier auf. Nur die Kirchenleitungen verharrten – skeptisch, zögerlich, unsicher?

Doch jetzt kommt überraschend Bewegung in die Sache: Papst Franziskus besuchte im November 2015 die deutschsprachige evangelische Gemeinde in Rom, denkt darüber nach, ob eigentlich das gemeinsame Abendmahl Ziel eines Weges oder Stärkung auf diesem Weg zu sein habe, betont die starken Bande des gemeinsamen Taufglaubens und der verbindenden Mitte in Christus, nimmt einen Begriff in den Mund, der in der Ökumene schon fast vergessen schien: Versöhnte Verschiedenheit.

Kardinal Kurt Koch, der „Ökumene-Minister“ im Vatikan, erläuterte, wie im Deutschlandfunk zu hören war und im Internet zu lesen ist, was der Papst damit meine: „Das Ziel ist, versöhnt zu sein, alle Differenzen so zu versöhnen, dass die Unterschiede zwar bleiben, Vielfalt bleibt, aber keine Trennung mehr ist.“ In seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium benutzte Franziskus das Bild des Polyeders, im Gegensatz zu demjenigen der Kugel, um Kirchengemeinschaft zu beschreiben. Außerdem begegnete er dem Lutherischen Weltbund in Lund, feierte hier zum 499. Reformationstag Gottesdienst. Und im Land der Reformation – Deutschland – haben sich DBK und EKD auf ein gemeinsames Christusfest 2017 verständigt, man hält Buß- und Versöhnungsliturgien, stößt weitreichende geistliche Prozesse bis in die Gemeinde-Ebenen an.

Vor dem Horizont des Reformationsgedenkens 2017 sind das denkwürdige Entwicklungen. Was auf den ersten Blick als einseitige „Luther-Jubel-Feier“ in den Augen mancher Skeptiker schien, wandelt sich zu einem bereichernden, ökumenischen Weg: Aus dem Bistum Magdeburg machten sich z.B. unlängst Gläubige mit den evangelischen Schwestern und Brüder auf nach Rom; zusammen waren es 1000 Christen, die dem Papst begegneten. Und dieser meint an einer Stelle in der gewährten Audienz, es ginge nicht darum, ob katholisch oder evangelisch besser sei, sondern besser seien alle zusammen.
Mit Luther zum Papst: Papst Franziskus, Bischof Gerhard Feige, Landesbischöfin der EKM Ilse Junkerman, Kirchenpräsident Joachim Liebig am 26. Oktober 2016 in Rom.
Noch am Abend bekommen evangelische Christen Tränen der Rührung in den Augen und berichten, die Papstaudienz sei der Höhepunkt der Fahrt gewesen. Sie haben einen Papst erfahren, der nicht von oben herab abkanzelt und der evangelischen Christenheit das Gefühl gibt, irgendwie defizitär zu sein.
Und zugleich war in diesen Reaktionen zu spüren, dass da auf evangelischer Seite vielleicht stärker, als man dort selbst – geschweige denn auf katholischer Seite – vermutet, der Wunsch nach einem Menschen ist, der irgendwie sichtbares Zeichen einer (in Fundamenten schon vorhandenen?) kirchlichen Einheit ist, der pastor bonus ist. Der Papst betont ja stets unter Bezugnahme auf den Epheserbrief, dass man im gemeinsamen Glauben an den einen Herrn und durch die Taufe zutiefst miteinander verbunden ist. Nichts anderes ist seine zentrale Aufgabe, genau dies zu bezeugen und zu bewahren, damit können sich auch evangelische Christen identifizieren.

– Doch ist es das, was zu Tränen rührte? Da muss noch etwas Existentielleres passiert sein: Ob die Gläubigen in gewisser Weise durch die menschlichen und pastoralen Gesten des Papstes ein Stück Healing of memories erfahren haben? Das wäre zumindest ein schöner Nebeneffekt, der auch auf katholischer Seite wünschenswert und bisweilen nötig ist – natürlich schmerzt es, wenn das katholische Kirchengebäude am Ort erst vor hundert Jahren erbaut werden durfte, und dann nur ganz klein an der Stadtgrenze. Doch kommt es heute noch auf die Größe von Kirchengebäuden an? Kann diese über Generationen tradierte schmerzvolle Erinnerung der heutigen Situation noch standhalten, ja gerecht werden? Wie gut, wie befreiend vielleicht wäre es, hier endlich Heilung zu erfahren? Doch muss dies auch zugelassen werden. Was hindert daran?

Dafür ist im nächsten Jahr – und hoffentlich darüber hinaus – Gelegenheit. Und am Ende ist die Hängepartie in der erwähnten Steilwand doch weiter gekommen. Wie weit zum ersehnten Gipfel, das wird sich zeigen. Doch wichtig ist: Man kann wieder Tritt fassen in der Ökumene.
Dr. Stephan Mokry
Stephan Mokry

ist 1978 in München geboren. Er studierte Katholische Theologie mit dem Schwerpunkt Kirchengeschichte sowie dogmatische und ökumenische Theologie in München. Er interessiert sich für Fragen der zeitgemäßen Glaubensvermittlung, der Diaspora-
situation und der kirchlichen Zukunftsgestaltung. Zur Zeit leitet er vor diesem Hintergrund das gemeinsame Projekt von KEB e.V. und Katholischer Akademie des Bistums 2017: Neu hinsehen! Ein katholischer Blick auf Luther“
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Newsletter des Fachbereichs Pastoral in Kirche und Gesellschaft

im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg

(Ausgabe November 2016)
Bilder: Kletterer © dmitry_dmg / Fotolia;
  Papstaudienz © Mit Luther zum Papst
Portrait © Stephan Mokry
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