
Plädoyer wider die Angst
Kontinentalversammlung zum Synodalen Prozess hat in Prag begonnen - Interview mit dem tschechischen Priester und Religionssoziologen Tomas Halik
Mit einem Plädoyer wider die Angst hat der tschechische Priester und Religionssoziologe Tomas Halik zum Auftakt der Kontinentalversammlung zum Synodalen Prozess in Prag den Delegierten aus 39 Ländern Mut zu Veränderungen in der Kirche gemacht. Halik gab zu Beginn der Beratungen einen ausführlichen spirituellen Impuls. Dabei setzte er große Hoffnungen in die „Wiederbelebung des synodalen Charakters der Kirche“ in Europa. Halik weitete aber auch den Blick darüber hinaus: Die Hinwendung der Kirche zur Synodalität könnte einen positiven Einfluss auf das Schicksal der gesamten Menschheitsfamilie nehmen.
Der Theologe ging unter anderem auf die „dunkle Seite der Globalisierung“ ein. Er sprach von der „Ausbreitung von Gewalt, von den Terroranschlägen auf die Vereinigten Staaten im Jahr 2001 bis zum Staatsterrorismus des russischen Imperialismus und dem aktuellen von Russland begangenen Völkermord in der Ukraine“. Er benannte Pandemien, die Umweltzerstörung, aber auch die „Zersetzung des moralischen Klimas durch Populismus, Fake News, Nationalismus, politischen Radikalismus und religiösen Fundamentalismus“.
Man befinde sich global in einem entscheidenden Moment, so Halik. Die Hinwendung des Christentums zu Synodalität und eine Umwandlung der Kirche in eine dynamische Gemeinschaft von Pilgern könnten Einfluss auf das Schicksal der gesamten Menschheit haben. Es stelle sich allerdings die Frage, ob das europäische Christentum heute den Mut und die spirituelle Energie habe, die Bedrohung durch den „Kampf der Kulturen“ abzuwenden, indem es den Globalisierungsprozess in einen Prozess von Kommunikation, Teilen und gegenseitiger Bereicherung verwandelt.
Selbstverständlich sei das allerdings nicht: „Als die durch das Coronavirus ausgelöste Pandemie Kirchen leerte und schloss, habe ich mich gefragt, ob dieser Lockdown nicht eine prophetische Warnung sei. So könnte Europa bald aussehen, wenn unser Christentum nicht wiederbelebt wird; wenn wir nicht verstehen, was der Heilige Geist den Kirchen heute sagt.“ Wenn die Kirche zur Verwandlung der Welt beitragen soll, müsse sie selbst ständig verwandelt werden. Die Kirche als Gemeinschaft von Pilgern sei ein lebendiger Organismus.
Halik zeigte sich auch überzeugt, dass man keine Angst davor zu haben brauche, „dass einige Formen der Kirche aussterben“. In jeder Phase der Kirchengeschichte gelte es, sich in der Kunst der geistlichen Unterscheidung zu üben „und am Baum der Kirche die lebendigen von den vertrockneten und toten Zweigen zu unterscheiden“. Ein wichtiger Teil der christlichen Existenz bestehe in dem Abenteuer, „den lebendigen Christus zu suchen, der in vielen überraschenden Formen - und manchmal anonym - zu uns kommt. Er kommt durch die verschlossene Tür der Angst; wenn wir uns in Angst verschließen, werden wir ihn verpassen.“
Theologe Halik: Deutsche Stimme bei Weltsynode wichtig
Der Theologe und Religionsphilosoph Tomas Halik ist in der katholischen Kirche ein Brückenbauer. Die Bücher des vom antikommunistischen Widerstand kommenden Priesters werden in West- und Osteuropa gelesen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Prag spricht er sich für eine kluge Erneuerung der Kirche aus.
KNA: Herr Halik, was erwarten Sie von der Europa-Etappe der Weltsynode in Prag?
Halik: Das ist eine ganz wichtige Gelegenheit, um wechselseitig Vorurteile zu überwinden. Denn es gibt solche Vorurteile zwischen den Ortskirchen - und hier können wir in brüderlicher Atmosphäre ein Stück auf einem langen Weg gemeinsam gehen. Es ist eine Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig Mut zu machen.
KNA: Wenn Sie von Vorurteilen sprechen, meinen Sie damit auch die Kirche in Deutschland?
Halik: Ja, das wissen wir alle! (lacht) Es gibt dieses Vorurteil, dass der deutsche Synodale Weg zu viel erhofft von der Veränderung der Institutionen. Die Mehrheit weiß, dass es Änderungen geben muss. Doch die müssen spirituell begleitet und vorbereitet sein. Fragen wie die nach neuen Möglichkeiten im priesterlichen Dienst oder einer anderen Rolle der Frauen in der Kirche können wir nicht tabuisieren. Wir müssen öffentlich darüber sprechen. Aber all das braucht eine theologische Vorbereitung. Vor dem Konzil war es eine ganze Generation von Theologen, insbesondere aus Deutschland, die das vorbereitet hat. Auch jetzt brauchen wir Theologen, die diese neuen Impulse erkennen.
KNA: Also reicht das Zweite Vatikanische Konzil nicht mehr aus?
Halik: Ich meine, dass dieses Konzil eigentlich ein bisschen zu spät kam. Es versuchte, den Dialog der Kirche mit der Moderne zu führen. Aber die Moderne war damals schon fast am Ende; die Postmoderne kündigte sich bereits an, in der wir heute leben. Die radikal plurale Gesellschaft der Postmoderne bringt neue Fragen mit sich. Die größten Herausforderungen für die Kirche heute sind nicht mehr Atheismus und Materialismus, sondern der Durst nach Spiritualität. Das ist ein Zeichen der Zeit, das die Kirche zu spät erkannt hat.
KNA: Und was folgt daraus?
Halik: Wir müssen nicht nur die überlieferte Lehre der Kirche und die Regeln von dem, was wir als Christen tun sollen, neu formulieren. Das nennt man Orthodoxie und Orthopraxie. Wir müssen aber auch einen guten Weg des Pathos entwickeln, des Fühlens mit den tieferen Bedürfnissen der Menschen; also eine neue Ortho-Pathie. Natürlich müssen wir manches an der praktischen Gestalt der Kirche ändern, aber immer in diesem größeren Kontext.
KNA: Beim Thema Orthopraxie oder anders gesagt bei Fragen der Moral scheint es in der Kirche sehr unterschiedliche Visionen zu geben. Die einen wollen die überlieferte Lehre der Kirche befolgen; die anderen fordern radikale Veränderungen. Ist das noch vereinbar?
Halik: Es ist höchste Zeit, dass wir eine neue, tiefere theologische Anthropologie entwickeln. Wir müssen die Erkenntnisse der Natur- und der Humanwissenschaften ernstnehmen. Auch die Sexualität ändert sich in der Geschichte und in kulturellen Kontexten. Wir müssen fragen: Was sind die Impulse der Kirche auf diesem wichtigen Feld für die menschlichen Beziehungen? Die Kirche hat die Sexuelle Revolution vor 50 Jahren als einen Schock erlebt, und sie ist in eine bloße Verteidigungshaltung gegangen. Wir müssen nicht alles akzeptieren, was auf diesem Gebiet geschieht; aber wir müssen den Dialog führen, auch mit Vertretern der Gender Studies. Das haben wir hier in Prag an der christlichen Akademie vor einiger Zeit gemacht, und das war sehr bereichernd, sowohl für die Moraltheologen als auch für die Experten der Gender Studies.
KNA: Hier bei der Europa-Etappe der Synode in Prag scheint es zwei sehr unterschiedliche Kirchenbilder zu geben. Die einen sprechen von einer festen Burg, die den Menschen Halt und Orientierung geben soll. Die anderen von einem Zelt, das weit offen sein und niemanden ausschließen sollte. Wie passt das zusammen?
Halik: (schmunzelt) Die Kirche als Burg mit Festungsanlagen, das hat keine Perspektive. Die Aufgabe der Kirche ist die Verkündigung des Evangeliums. Und das geht nur durch Inkulturation, also im Dialog mit der gegenwärtigen Kultur. Man muss darauf achten, dass man nicht einfach Zeitgeist, Mode und Sprache dieser Welt übernimmt. Aber es gibt auch die Zeichen der Zeit, die wir verstehen müssen, denn das sind die Ereignisse, durch die sich Gott in der Gegenwart zeigt. Und um den Zeitgeist und die Zeichen der Zeit auseinanderhalten zu können, braucht es eine gute geistliche Unterscheidung. Im 19. Jahrhundert hat die Kirche auf die Moderne falsch reagiert und den Ausweg in einer Gegenkultur gesucht; das war eine Art Exkulturation. In der heutigen Situation sollten wir einen anderen Weg gehen. Nicht eine billige Anpassung, sondern einen echten Dialog.
KNA: Und kann der deutsche Synodale Weg dazu etwas beitragen? Oder geht er in die Irre?
Halik: Nein, nein! Die haben wichtige Fragen ganz scharf artikuliert. Das müssen wir ernst nehmen, aber es vielleicht in einen breiteren Kontext stellen. Die Kirche muss symphonisch sein; die Deutschen sind eine wichtige Stimme, aber das muss Teil eines Ganzen sein. Und ich hoffe, dass wir hier in Prag einen Schritt machen können hin zu dieser Gemeinsamkeit. Es muss am Ende nicht unisono klingen; aber es sollte auch keine Kakophonie sein, sondern eine Symphonie mit wechselseitigem Respekt. Das ist der Sinn von Synodalität in der Kirche.
(Ring-Eifel, KNA; Foto: KNA)