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Fastenwort des Bischofs

Mitten im Leben dem unsichtbaren Gott begegnen

Bischofswort zur österlichen Buß- und Fastenzeit im Heiligen Jahr 2000

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Im Evangelium des 1. Fastensonntags wird es klar und deutlich gesagt: Jesus wird versucht. Er ist der lebensfeindlichen Macht des Bösen ausgesetzt. In der Wüste erfährt der Menschensohn wie allein er ist. Gott scheint nicht da zu sein. Trugbilder und falsche Versprechen gefährden seine Sendung. Jesus konnte widerstehen. Seine innige Beziehung zum Vater gab ihm die Kraft dafür. Mit seinem ganzen Leben verkündet er nunmehr die neue Wirklichkeit Gottes: "Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist nahe. Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium". (Mk 1,12-15) Versuchungen - gibt es sie auch in unserem Leben? Nehmen wir sie wahr und ernst oder leugnen wir sie einfach?

1. Was ist "Versuchung"?

Die Bibel spricht vom "Versuchtwerden" des Menschen. "Und führe uns nicht in Versuchung!", hat Jesus selbst uns beten gelehrt. Und - Versuchung verwirrt. Fragen tauchen auf und viele falsche Antworten scheinen wahr zu sein. Wer von uns kennt diese Fragen in seinem Inneren nicht? Das, was vorher sonnenklar war, erscheint unscharf und plötzlich ist nichts mehr sicher. Doch wir wissen auch: Wer eine Prüfung gut übersteht, fühlt sich gestärkt und bestätigt. Das gilt auch für unseren Glauben. "Eine ungeprüfte und noch nicht erprobte Tugend ist keine Tugend", so hat der Kirchenlehrer Origenes ( 253/254) diese Erfahrung formuliert. Auch unser Glaube ist solchen Versuchungen ausgesetzt. Die Beispiele von Menschen wie Abraham oder auch Ijob erzählen uns davon. Wird nicht gerade heute unser Glaube "auf Herz und Nieren" geprüft? Warum sollte es uns anders gehen als unserem Herrn?

Jesus hat sich der Versuchung gestellt und sie bestanden. Er wusste um die zerstörerische Macht der Versuchung, die aus der liebevollen Vertrautheit mit Gott hinaus führt, hinein in den Größenwahn, "über alle Reiche dieser Welt mit all ihrer Pracht" herrschen zu können (vgl. Mt 4,8). Am eigenen Leib musste Jesus erfahren, wie die Gier nach Macht und Reichtum den Menschen blind für Gottes Wirklichkeit machen kann. Aber "Da er selbst Versuchung erlitten hat, kann er denen helfen, die versucht werden", heißt es im Hebräerbrief (2,18). Das ist unsere Hoffnung.

2. Die große Versuchung: der scheinbar abwesende Gott

Gott ist unsichtbar - welch eine Versuchung! Das irritiert. Es ist die Not unseres Glaubens, dass wir Gottes Wirklichkeit nicht einfach vorzeigen können. Gott bleibt verborgen, er schweigt sich aus. In einer durch Fernsehen und Computer visuell geprägten Welt sind wir auf das Sehen programmiert. Alles, was sich dem Sehen entzieht, erscheint unverständlich, wenn nicht sogar unwirklich und unredlich. Gott kommt im normalen Leben vieler Menschen nicht mehr vor. Der Glaube an Gott ist in unserer Gesellschaft schon längst nicht mehr selbstverständlich. Halten wir das aus?

Ich bin betroffen, wenn mir jemand sagt: "Herr Bischof, Sie wissen ja gar nicht, was ich mir jeden Tag anhören muss, wenn das Gespräch auf Glauben und Kirche kommt!" Ich denke an unsere Kinder, die als Minderheit heranwachsen. Ich denke an die Eltern, die sich fragen, ob dieser Glaube nicht eine zu große Zumutung sei. Ich denke an alle, denen es eine Last ist, wegen ihres Glaubens stets und ständig angefragt zu sein. Und ich denke auch an alle, die durch harte "Schicksalsschläge" an dem Dasein eines menschenfreundlichen Gottes zweifeln. Sind wir, die Christen, dann nicht auch versucht, Gott nicht mehr so ernst zu nehmen?

Da liegt es durchaus nahe, sich selbst kleine Götter zu schaffen, solche, die man "sehen" kann. Man sieht , dass "es etwas bringt", wenn man wohlhabend, leistungsfähig, mächtig und schön ist. Solchen "Göttern" dient man gern und opfert ihnen Zeit und Geld.

Die größte Versuchung ist es jedoch, sich selbst zum "eigenen Gott" zu machen. Das eigene Ich wird Mittelpunkt der Welt. Alles andere wird zweitrangig, die Schöpfung und auch die Würde und die Rechte anderer. Für einen liebenden Gott, der selbst Mensch wurde, ist dann auch kein Platz mehr. Erliegen wir der Versuchung, uns selbst an die Stelle Gottes setzen zu wollen?

Ich denke, die Kirchenkrise, von der viele sprechen, ist eigentlich eine Glaubens- und Gotteskrise. Wie gehen wir mit der unsichtbaren Wirklichkeit Gottes um? Haben wir es aufgegeben, ihn zu suchen? Oder denken wir andererseits, wir hätten "Gott im Griff", wir wüssten immer und überall, was hundertprozentig richtig ist? Es bleiben Fragen über Fragen. Wir müssen uns der eigenen Gotteskrise stellen.

Ich gehe davon aus, dass Gott die Menschen hier in unserem Land nicht verlassen hat. Gott ist da. Vielleicht ist es unsere Prüfung, neu zu lernen, was christlichen Glauben unter diesen Bedingungen hier und heute ausmacht. Wo wir die verborgene Sehnsucht anderer nach gelingendem Leben wahrnehmen, kann unser eigenes Suchen nach Gott lebendig bleiben und so zum Segen für unsere Zeit werden. Wer Gott nicht aus seinem Alltag streicht, dem wird Gott nicht verborgen bleiben.

3. Der unsichtbare Gott läßt sich erfahren

Gott ist immer unendlich viel größer als wir ihn uns vorstellen. Der heilige Irenäus sagte "In seiner Größe ist Gott unbekannt, aber in seiner Liebe ist er uns nahe." Gott will sich uns offenbaren. Jesus Christus ist der erste Zeuge dafür. In Ihm begegnen wir Gott, wie er als Mensch ist. Er zeigt uns den Weg der Liebe als jenes Mittel, das jeder Versuchung widerstehen hilft. Liebe jedoch ist immer konkret. Eine "man müsste..." - Liebe gibt es nicht. "Was ihr dem geringsten meiner Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25,40). Im Nächsten treffen wir auf Gott. So einfach sagt es die Heilige Schrift.

Mögen wir neu erkennen: "Da sind Menschen neben mir, in der Eisenbahn, in der Einkaufsstraße, im Wartezimmer, auf der Arbeitsstelle, in der Gemeinde oder in der Familie, ...wo auch immer. Ich kann es nicht fassen: Gott liebt alle genauso wie mich. Ja in ihnen begegne ich Gott."

Wer sich dem Nächsten zuwendet, wird auch das Fremde am Nächsten erfahren. Wir suchen Übereinstimmung und Harmonie, doch andere Menschen denken anders, fühlen anders, handeln oft anders, als wir es uns wünschen. Das macht uns unsicher. Wir scheuen diese Spannung. Wenn aber Gott selbst sich im Nächsten ausdrückt, macht auch diese Andersartigkeit Sinn. Liebe bewährt sich gerade in der verantwortlichen Zuwendung zum Anderen. "Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand." (1.Kor 13.7)

Wir brauchen das Andere im Nächsten nicht zu verdrängen oder uns davor zu fürchten. Es ist ein Stück des unfassbaren Geheimnisses, das wir Leben nennen. In dieser Andersartigkeit des Mitmenschen erschließt sich uns der andersartige Gott. So kann der Mitmensch zu einer Quelle der Gotteserfahrung werden, er für mich und ich für ihn. Gott traut uns zu, dass wir nicht der Versuchung erliegen, vieles enttäuscht als "vergebliche Liebesmüh" abzutun. Manche Verletzungen und Zerwürfnisse unter den Menschen blieben uns erspart. Für Gott gibt es keine vergeblich verschenkte Liebe. "Gott ist die Liebe" (1 Joh 4,8).

4. Aus den Quellen leben

In der Liebe sagen wir uns die Menschenfreundlichkeit Gottes weiter. Wo keine Liebe ist, da ist kein Leben, dort ist Tod. Sie ist die menschlich fühlbare Äußerung des unsichtbaren Gottes. Diese Sicht auf unsere Welt hilft der Versuchung von der Abwesenheit Gottes zu widerstehen. Das ist unser Glaube. Wo dieser Glaube schwindet, verkümmert der Mensch zur genetischen Masse, zum Konsumenten, zur Zielgruppe oder zum würdelosen Kostenfaktor, aber auch zum egozentrischen Einzelgänger oder unsozialen Rechthaber. Die "Bezugsgröße" Gott ist für den Menschen letztlich unverzichtbar.

Wir brauchen aber auch Orte und Zeiten, die uns daran erinnern und uns einladen, in der Eucharistie den lebensbejahenden Gott zu feiern. Der sonntägliche Gottesdienst mit seiner Liturgie ist ein solcher Punkt.

Wenn ein junger Taufbewerber sagt "Auf einmal wusste ich, dieser Gottesdienst hat mit Gott zu tun!" wird uns deutlich, welche missionarische Kraft in einer würdig und freudig gefeierten Liturgie liegt! Menschen, die als Erwachsene den Weg zum Glauben gefunden haben, sprechen immer wieder davon, dass diese Feier sie in eine Welt einführte, die sie zuvor nicht kannten. Sind wir vielleicht in der Gefahr, der Versuchung zu erliegen, diesen Wert der Liturgie zu übersehen, ja, das Ereignis Gottes nicht wahrzunehmen und uns nur mit uns selbst zu beschäftigen, mit unserem Missmut, unseren Meinungen oder unserem bloßen Aktionismus?

Ich bitte eindringlich alle Verantwortlichen, die Feier der Gottesdienste liebevoll vorzubereiten und mit Freude zu vollziehen. Unsere Gemeinden leben von der sonntäglichen Eucharistie. Sie soll Quelle der Freude und Ort des Nähe Gottes sein. Hier können wir erfahren, wie sehr unsere Alltagswelt mit ihren Sorgen und Gebetsanliegen Teil der größeren Wirklichkeit Gottes ist. Wo sich Christen zum Gottesdienst versammeln, entsteht Kiche. Wir dürfen Gott anrufen und "Abba - lieber Vater" nennen. Ja, die sonntägliche Eucharistie ist die gefeierte Weigerung der Christen, dieser Welt und ihren Menschen nur mit hoffnungslosem Pessimismus zu begegnen.

Im gläubigen Miteinander, in der Feier von Gottes Wort und der Nähe Christi im Sakrament eröffnet sich der Zugang zu Gott selbst. Wir erahnen das Mysterium unseres Lebens - entgegen allen Versuchungen, die uns Gott ausreden wollen. Auch daran erkennt man Christen, dass diese Feier ihnen wichtig ist! Der Sonntag mit seinem Gottesdienst muss uns deshalb unverzichtbar bleiben.

Dem Gespür und der Rede von der Abwesenheit Gottes zu widerstehen - dies ist der Auftrag unserer Gemeinden in diesem Land. In diesem Bemühen haben Pfarrgemeinderäte und Kirchenvorstände eine unverzichtbare Verantwortung. Ich danke allen, die bereit sind für diese Gremien zu kandidieren, denn nur gemeinsam wird es uns gelingen, Gott in unserer Mitte in den vielfältigen Begegnungen mit den Menschen und in unseren Gottesdiensten erfahrbar werden zu lassen.

Liebe Schwestern und Brüder,

Jesus Christus will uns ermutigen, die Versuchungen unseres Lebens zu bestehen. Er hat uns Gott nahe gebracht, so wie sonst niemand. Er zeigt uns den Weg: "Liebet einander!" Wo Menschen sich danach sehnen, wo unsere Gemeinden wach sind im Feiern und Danken dieser guten Tat Gottes, wo wir trotz unserer eigenen Schwachheit immer wieder mit dieser Liebe anfangen, dort beginnt neues Leben, dort findet Ostern statt.

Gegen alle Versuchungen dieser Welt hat Gott uns den Geist der Stärke und des Mutes verliehen, in dem wir vertrauensvoll beten: "Vater - dein Reich komme, dein Wille geschehe... und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!"

Dazu segne Euch der Allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

Euer Bischof
Leo Nowak

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