Fest 2000 - GOTT.jederzeit: Predigt von Bischof Leo Nowak
erster Teil
zur Lesung Num 20,3-11
Die Geschichte vom Wüstenzug der Israeliten ist hochaktuell. Sie ist ein Bild unserer Lebens- und Glaubensgeschichte.
Wir beginnen unseren Lebensweg mit bestimmten Vorstellungen, Wünschen und Träumen. Mit großem Vertrauen und Mut fangen wir die Dinge des Lebens an: Schule, Berufsausbildung, Heirat. Und wie wird es? In vielen Fällen sicher ganz anders als erträumt. Durststrecke - nennen wir das dann.
Wer kennt auf seinem Lebensweg nicht auch Phasen der Resignation: Wenn es Enttäuschungen mit den engsten Freunden oder dem Ehepartner gibt? Wenn eine plötzliche Krankheit alles durchkreuzt? Wenn der Arbeitsplatz verlorengeht? Dann kommen Fragen . Habe ich das alles richtig gemacht? Hätte ich nicht doch einen anderen Weg einschlagen sollen? Warum musste mich das treffen?
Und wenn dieser Lebensweg für Christen auch ein Glaubensweg ist, der mit Gott zu tun hat, kommen dann nicht auch ganz ähnliche Vorwürfe wie bei den Israeliten? Warum hat Gott das zugelassen? Warum hat er uns verlassen? Vielleicht ist dass mit dem Glauben doch nur eine Täuschung? Und ähnlich wie die Israeliten fangen wir an zu hadern und zu rebellieren: Das hat alles sowieso keinen Sinn! Das haben wir nun davon, dass wir uns auf diesen Glaubensweg eingelassen haben! Den anderen, die nicht glauben, geht es viel besser! Bange Zweifel nagen an unserem Herzen.
Aber da gibt es Mose und Aaron. Auch sie sind enttäuscht. Auch sie sind in Bedrängnis. Wo bleibt Gott? Warum schweigt er?, so fragen auch sie. Doch sie geben nicht auf. Ihr Glaube an die Verheißung Gottes ist stärker. Sie werfen sich vor Gott nieder und flehen ihn an: Herr, hilf uns sonst gehen wir zugrunde!
Und heute? Schauen wir uns um: gibt es unter uns solche, die Mut machen? Frauen und Männer des Glaubens? Gibt es solche Glaubenszeugen unter uns? Solche, die die Not der Menschen vor Gott tragen? Die nicht aufhören, den Verheißungen Gottes mehr zu Vertrauen als den Unken-Rufen mancher falscher Propheten? Ist es vielleicht nicht doch die ganze Kirche, die unerschütterlich festhält an der Botschaft vom Heil der Menschen?
Unsere Geschichte erzählt, dass Gott auf Mose und Aaron gehört hat. Als Mose mit seinem Stab den Felsen berührt, kommt lebendiges Wasser heraus. Leben wird möglich.
Ich glaube ganz fest, Gott bedient sich gläubiger Menschen auch heute - damit Leben gelingt. Wer hat noch nicht erfahren, dass eine gute Begegnung von Mensch zu Mensch , ein aufmunterndes Wort, ein freundlicher Händedruck oder eine zärtliche Umarmung nicht hilfreich sein können wie lebendiges Wasser. Wer hat noch keine wirksame Hilfe durch andere erfahren?
Ja, Gott mutet uns zu, dass wir für einander Zeichen lebendigen Wassers sind. Wir sollen einander trösten und ermutigen, uns gegenseitig aufhelfen, wenn der eine oder die andere nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll, mit einem Wort: wir sollen einander lieben.
Die Liebe wirkt auch heute Wunder. Und zu solcher Liebe will Gott selbst uns befreien.
Übrigens: wirklicher Fortschritt in unserer Welt ist immer ein Fortschritt in der Liebe. Sie ist das entscheidende Maß in den Beziehungen der Menschen untereinander und zu Gott. Diese Kernbotschaft des christlichen Glaubens verliert ihre Gültigkeit nie. Ich bin davon überzeugt, dass das Christentum in der Zukunft eine große Chance hat, denn ohne Liebe gibt es kein Leben.
Rufen wir diese Botschaft in unsere Welt hinein: Der Glaube an Gott ist für das Wohl der Menschheit unverzichtbar, weil Gott die Liebe ist ohne die kein Mensch leben kann. Deshalb bin ich froh, dass uns diese Geschichte vom lebendigen Wasser überliefert ist. Es lohnt sich, dem Lebensweg mit Gott zu trauen, auch wenn nicht alles so wird, wie wir es uns ausgemalt haben.
Und es geht weiter: unsere Geschichte ist auch eine Geschichte der Zukunft ist. Sie ist auch von "Gott her" gedacht, seine Wirklichkeit übersteigt unsere engen Grenzen. Das ist sein Bild des Lebens bei ihm: So wird es einmal sein. Aus harten Felsen werden sich Ströme lebendigen Wassers ergießen. Alle werden sich satt trinken und Gott wir alles in allem sein. Auch Jesus hat diese Geschichte gekannt, mehr noch , Er erfüllt sie mit seinem Leben.
zweiter Teil der Predigt
zum Evangeliumstext Joh 7,37-39
Jesus spricht von einem Durst, den wir nicht mit Wasser stillen können. Wir sprechen ja manchmal auch von unserem ungestillten Durst nach Leben. Jesus will sagen, dass die noch so schönen Dinge und Möglichkeiten unseres Lebens nicht ausreichen, uns unseren Durst nach Leben zu stillen. Unsere Sehnsucht ist immer noch größer. Schon unser Kirchenvater Augustinus hat das treffliche Wort geprägt: "Unser Herz ist unruhig, bis es ruht in Gott!"
Vieles im Leben nutzt sich ab. Kaum etwas ist beständig. Auch die Liebe zu einem Menschen kann erkalten. Wie viel Enttäuschungen gibt es gerade im Miteinander. Wie viel Vertrauen wird zerstört. Wie oft plätschert unser Lebensstrom seicht dahin. Wenn wir wirklich leben wollen, brauchen wir aber lebendiges Wasser. Wir brauchen Hoffnung, Glauben, Mut, Begeisterung, Liebe. Woher aber nehmen, was wir selbst nicht haben?
Jesus redet unsere Welt nicht schlecht. Ganz im Gegenteil. Er will, dass wir das Leben haben. Das Leben in Fülle. Deswegen steht er da und ruft: Wer Durst hat, der komme zu mir und trinke. Für "das Leben in Fülle" steht in der Heiligen Schrift das Wort "Himmel". Gemeint ist "erfüllte Liebe". Unser ganzes Leben soll in allen Schichten und Dimensionen durchdrungen werden von der Liebe Gottes. Dieser Himmel geht über uns auf, wenn wir uns auf Jesus einlassen. Darum geht es! Der Horizont des Lebens liegt immer vorn.
Christlicher Glaube bereichert das Leben und macht Mut zum Leben auch wenn unsere Möglichkeiten erschöpft sind. Sagt das den anderen, die nicht an Gott glauben können oder wollen! Diesen Glauben - diese Quelle dürfen wir ihnen nicht vorenthalten.
Halten wir uns doch die Realität vor Augen. Da kommen Fragen über Fragen. Vieles geht nicht auf. Vieles lässt sich nicht berechnen. Auch die sogenannte Wende hat keine perfekte Gesellschaft herbeigezaubert. Viele Zeitgenossen fühlen sich ungerecht behandelt. Wie viele Menschen bleiben ohne die ersehnte Liebe anderer? Wie viele sind verzweifelt oder enttäuscht? Denken wir an die Vereinsamten und Kranken, die niemand haben will oder denen nicht geholfen werden kann. Sollen ihre Hoffnungen ins Leere laufen und umsonst sein?
Wenn wir meinen ein Problem gelöst zu haben, gibt es immer wieder neue ungelöste Probleme. Wie oft wird ein fauler Friede geschlossen und wenig später wieder gebrochen. Und wo bleibt die ersehnte Gerechtigkeit für alle, für die Hungernden und für die vielen Menschen, die nicht auf der Sonnenseite unserer Welt leben? Wo ist die Heimat für die vielen, die nicht wissen, wo sie bleiben sollen und wie sie heute und morgen überleben sollen?
Es gelingt uns nicht, den Himmel auf die Erde herunter zu holen. Bei aller Anstrengung, die wir aufbringen, erreichen wir das Letzte nicht. Doch wir sollten uns nicht mit unserer Menschensicht allein begnügen, wenn es um die ganze Wirklichkeit geht. Jesus lässt uns weiter schauen, er ist der große Hoffnungsträger. Er weiß Gott selbst hinter sich. Deshalb kann er anderen Mut und Hoffnung machen. Hinter unserem Horizont geht es immer noch weiter.
Unsere Welt braucht Menschen, die Mut machen. Deshalb sind wir heute hier zusammen gekommen. Reichen wir uns die Hände. Wir brauchen einander. Nur gemeinsam können wir glauben. Tragen wir die Sorgen und Ängste unseres Lebens und der Menschen vor Gott. Halten wir uns fest an ihn, der will, dass alle Menschen Leben haben.
Um Gottes und der Menschen Willen
- werden Christen deshalb nicht ständig in das gleiche Horn blasen wie eine selbstgefällige Öffentlichkeit;
- sind Christen davon überzeugt, dass wirklich nicht alles sinnlos ist;
- wird uns das Schicksal anderer nicht kalt lassen;
- müssen wir mitunter unbequeme Antworten geben, die keine Mehrheiten Finden;
- werden wir immer wieder nach Versöhnung suchen und dem Streit nicht das letzte Wort überlassen;
- werden wir uns mit den Ungerechtigkeiten dieser Welt nicht einfach abfinden,
- werden wir das menschliche Leben nicht der beliebigen Verfügung von Menschen überlassen;
- und wir nicht aufhören, der Menschen und unserer schrecklich-schönen Welt wegen an einen guten Gott zu glauben.
Erinnern wir uns gemeinsam an unsere Taufe: da wurde lebendiges Wasser über uns ausgegossen, da wurden wir ganz tief verbunden mit Jesus Christus. Untereinander wurden wir Schwestern und Brüder. Diese Verbundenheit lasst uns feiern. Freuen wir uns miteinander über die Gabe des Glaubens und danken wir unserem Gott für das Geschenk seiner Liebe und für das Leben, das erst der Anfang ist von dem Leben in Fülle, zu dem wir gerufen sind.
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