Bistumskarte Jetzt spenden

Bischof Leo Nowak zum Weihnachtsfest

Predigt am ersten Feiertag

Es ist kaum zu glauben, aber doch wahr. Bei einer Umfrage in einer deutschen Großstadt soll ein Schüler auf die Frage warum wir Weihnachten feiern geantwortet haben: Wir feiern Weihnachten, weil da der Weihnachtsmann gestorben ist. Vielleicht sollte das ein Witz sein. Ich weiß es so genau nicht. Wie dem auch sei. Aber diese Antwort macht deutlich, wie weit viele Menschen von dem weihnachtlichen Ereignis der Geburt Christi innerlich entfernt sind. Nicht Entrüstung aber sollte unsere Antwort sein, sondern der ehrliche Versuch nach der Bedeutung dieses Geschehens für uns zu fragen.

Das Evangelium bedient sich eines Engels, um dem Hörer dieser Botschaft von vornherein klipp und klar deutlich zu machen: diese Botschaft ist nicht von menschlicher Art. Der Himmel neigt sich zur Erde. Gott und Mensch verbinden sich. In Jesus Christus wird Gott ein Mensch. Nichts ist mehr als wie zuvor. Gott ist in der Welt. Niemals mehr wird Gott diese Verbindung lösen. Gott ist getreu. Immer und ewig gilt sein Wort.

In einem Kind kommt Gott zur Welt. Dieses Kind wird geboren, lebt und stirbt und stirbt und lebt, bleibt unter uns und wird den Prozess der Menschwerdung unter Berücksichtigung unserer menschlichen Freiheitsgeschichte zu Ende führen. Er wird sein Reich ausdehnen bis sich alles erfüllt, alles im Himmel und auf Erden, in Ost und West, in Nord und Süd, bei allen Menschen, besonders unter den Armen und Geringen.

Weihnachten ist der Beginn der Heimholung der Welt. Das Reich des Friedens und der Gerechtigkeit ist ausgerufen. Der Ungerechtigkeit ist der Kampf angesagt. Der Siegeszug der Liebe hat begonnen. Gegen Feindschaft wird Freundschaft gesetzt. Gegen Lüge Wahrheit. Mit einem kleinen Kind fängt das an. In einem verlorenen Winkel unserer Welt wird Gott ein Mensch.
Dieses alles kündet der Engel an. Mit nur zwei knappen Worten macht er auf dieses umwerfende Ereignis aufmerksam: Fürchtet euch nicht und freut euch!

Vor Gott braucht niemand Angst zu haben. Vor ihm kannst du ganz ehrlich sein. Vor ihm brauchst du dich nicht zu verstecken. Er weiß um dich und kennt dich ganz genau. Er kennt unsere starken, aber auch unsere schwachen Seiten. Aber dennoch haben wir Angst. Lebensangst, Existenzangst, Zukunftsangst. Wir unterliegen bestimmten Zwängen. Wir sind abhängig von der Meinung der anderen, von der Öffentlichkeit. Wir unterwerfen uns modischen Trends. Wir sind abhängig von Geld und Arbeit, vom Wohlwollen anderer. Wir sind in einen festen Rahmen wie eingespannt. Das alles macht Angst. Wie kann da der Engel sagen: Fürchtet euch nicht?

Er kann so sprechen, weil er eine andere Realität kennt. Er weiß, wovon er spricht. Angst wird nur durch Vertrauen überwunden. Du kannst Gott vertrauen, auch wenn es ganz dick kommt. Wenn wir am Ende sind, dann beginnen seine Möglichkeiten. Das Kreuz ist nicht die Endstation. Das Leben siegt, sagt der Engel. Deshalb habt keine Angst, vor nichts und vor niemand. Es gibt Grund zur Hoffnung. Gott ist da, du kannst dich darauf verlassen. Die Welt ist nicht einfach nur Welt und der Mensch nicht einfach nur Mensch. Schau auf das Gute, auf den ganz Guten, er ist mit dir, er begleitet dich, er wird einer von uns. Hab‘ also keine Angst. Hab‘ doch Vertrauen. Du darfst ein Kind sein. Du kannst dich bei Gott bergen wie ein Kind bei Vater und Mutter. Das ist Weihnachten. Jeder Tag ist ein Geschenk. Hab‘ doch Mut, spricht der Engel. Lass dich nicht irre machen. Fürchte dich nicht!

Und der Engel spricht weiter: Ich verkündige euch eine große Freude. Heute ist euch der Retter geboren. Er ist Christus, der Herr!
Freude ist ja viel mehr als Spaß. Manchmal kann man es schon am Lachen erkennen, ob das Lachen Ausdruck einer wirklichen Freude ist. Freude ist eben kein Produkt, das man sich kaufen kann. Apropos kaufen. Genau darum geht es. Der Instrumentalisierung des menschlichen Lebens muss gewehrt werden. Leben kommt aus der Liebe und geht in die Liebe. Das Leben ist Geschenk und Geheimnis. So wie eine Blume einfach blüht. Sie weiß nichts Besseres als zu blühen, obwohl sie vielleicht schon morgen ihr Ende findet, bildet sie sorgfältig ihre Blättchen und Kelche, glatt oder gezackt, alles ganz genau und möglichst hübsch.
Die Welt, unsere Mutter Erde, die Menschen, einfach anschauen, betrachten, nicht um sie zu beherrschen, sondern um sich an ihnen zu freuen. Wir brauchen eine Schule der „Übernützlichkeit“ und ein von Zweckdenken freies „uneigennütziges Wohlgefallen“. Dann kommt Freude auf. Dann ahnen wir etwas von der Größe des Lebens, das wir Gott nennen. Und da er sich selbst hineinbegibt in unsere Welt, einfach Liebe ist und Schönheit und Wahrheit, da verändert er die Welt und rettet sie, befreit sie von dem ausschließlichen Nützlichkeitsdenken, vom andauernden Erfolgszwang, von einem einseitigen Leistungsdenken und wehrt einer totalen Vermarktung aller Gefühle und Sehnsüchte, die in jedem Menschen stecken.
In einer unserer Schulen gibt es eine Krippenausstellung. Über 100 von Schülern und Schülerinnen selbst angefertigte Darstellungen sind zu betrachten. Eine davon hat sich tief in mir eingeprägt. Eine mannsgroße aus Pappmaschee gefertigte Figur kniet mit gefalteten Händen vor einem Wust von Geschenkpaketen. Dahinter klein und unscheinbar die Krippe mit dem Kind. „Kurzsichtig“ steht darunter geschrieben. In der Tat: Wir beten nur an, was im Vordergrund steht. Das Unscheinbare, Armselige, Unbedeutende übersehen wir. Der Engel will unseren Blick auf das zu Weihnachten geborene Kind lenken. Es will unseren Blick auf den Gott lenken, der das Leben liebt. Von unserer Engstirnigkeit und Blindheit will er uns befreien, unser Gott. Er will uns zur Menschlichkeit zurückführen, zu einer zwecklosen Liebe, die eben nur einen Grund kennt, die Liebe, die Gott selbst ist.

Wenigstens zu Weihnachten wissen wir ganz genau, dass das die Wahrheit ist, die uns abhanden kommt. Und weil diese tiefe Menschlichkeit sonst zu kurz kommt, da suchen wir wenigstens zu Weihnachten diese Wärme, überschütten uns mit guten Worten und vielen Geschenken, wollen gut machen, was wir versäumt haben und wissen wenigstens einen Augenblick wieder warum es die Welt gibt und die Menschen: denn das Lieben sollen wir erlernen! Deshalb die ganze Prozedur und dieser oft so unübersichtliche Prozess, den wir Geschichte nennen, Weltgeschichte, aber auch eigene Lebensgeschichte mit Höhen und Tiefen, mit Irrwegen und mit Abwegen.

Die Hirten aber, die Hörer dieser Botschaft, die wir selbst sind, sie sind zugleich Zeugen dafür. Sie kehren zurück. Rühmen und preisen Gott für alles, was sie gehört und gesehen haben. Sie haben verstanden, worauf es ankommt. Sie haben erkannt, dass in diesem menschgewordenen Gott das Heil erschienen ist, jene reine Liebe, die herausführt aus dem Teufelskreis von Sünde und Tod. Sie fordert uns heraus, damit wir uns von dieser Liebe anstecken lassen, die auch heute der Weg ist und die Wahrheit und das Leben.

So können wir hinaustreten in die dunkle Nacht, die uns nicht mehr ängstigen soll. Wir können gleichsam mit den Hirten ein Lied auf den Lippen haben oder wenigstens im Herzen tragen, das Gott lobt und preist, denn nun wissen wir, dass alles so ist, wie es der Engel gesagt hat: Gott ist für dich Mensch geworden. Deshalb: Fürchtet euch nicht, vielmehr freuet euch!

Leo Nowak


link

Themen und Partnerportale