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Katholische Thesen zur Ökumene

Von Weihbischof Dr. Gerhard Feige

1. Gemessen an der über tausendjährigen Entfremdung zwischen Ost- und Westkirche und den infolge der Reformation seit fast 500 Jahren sich abspielenden abendländischen Rivalitäten ist es äußerst erstaunlich und erfreulich, welche positiven Wandlungen die zwischenkirchlichen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten genommen haben. Das vor 40 Jahren verabschiedete Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils, die vor 5 Jahren unterzeichnete Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre und viele andere Texte sowie Entwicklungen lassen hoffen, dass die Einigung der Christenheit merklich und zügig voranschreitet.

2. Das, was Christen trennt, geht nicht bis in die Fundamente und reicht auch nicht bis in den Himmel, belastet aber immer noch sehr und ist nicht von heute auf morgen einfach abzuschütteln. Schließlich ist man in der Vergangenheit nicht im Streit um Bagatellen auseinandergegangen, sondern im Eifer um den wahren Glauben und dessen treue Weitergabe. Die heute manchmal zu hörende Meinung: „Wir glauben eh so wenig; das können wir auch ruhig gemeinsam tun“, dürfte keine zukunftsträchtige ökumenische Ausgangsposition sein. Konfessionelle Entwurzelung, schwindender Glaube und zunehmender Relativismus führen nicht weiter. Statt dessen bietet die Beheimatung in einer konkreten Kirche die Möglichkeit, sowohl Identität zu entwickeln als auch zum Dialog befähigt zu werden. Konfessionalität muss nicht Konfessionalismus bedeuten, kann vielmehr zur Bereicherung beitragen und deutlich werden lassen, dass uns mehr verbindet als uns trennt.

3. Theologische Lösungen früherer Streitpunkte und wachsende Übereinstimmungen müssen noch stärker in Lehre und Leben der Kirchen umgesetzt werden. Daneben ist es aber genauso wichtig, dass die kirchlichen Verhandlungsführer und Entscheidungsträger zur Kenntnis nehmen, was vielerorts schon möglich ist oder leidenschaftlich ersehnt wird. Auf jeden Fall gilt es, die wachsende Kluft zwischen hochoffizieller und basisnaher, akademisch einsichtiger und lebensnotwendiger Ökumene zu überbrücken.

4. Ökumenisches Denken und Handeln ist weithin trotz aller beschwörenden Worte noch keine Selbstverständlichkeit. Auf allen Ebenen gibt es antiökumenische Vorbehalte, in Gemeinden manchmal sogar noch viel krasser als in Leitungs- und Theologenkreisen. Ökumene kann und darf nicht das Betätigungsfeld einiger weniger bleiben oder dazu werden. Möglichst viele Gläubige sind von der Notwendigkeit und Dringlichkeit ökumenischer Annäherung zu überzeugen, denn letztendlich ist der Ökumenismus nicht bloß irgendein „Anhängsel“, das der traditionellen Tätigkeit der Kirche angefügt wird, er gehört vielmehr zu ihrem Leben und Wirken sogar organisch dazu (vgl. Enzyklika „Ut unum sint“ 20).

5. Eines der größten Hindernisse für die Ökumene scheint der Mangel an existentieller Betroffenheit zu sein. Selbstgenügsamkeit und Desinteresse an anderen Christen sind oft die Folgen fehlender Erfahrungen. Wer nicht in einem konfessionell gemischten Volk oder einer konfessionsverschiedenen Ehe lebt, keinem tief gläubigen und eindrucksvoll engagierten Christen einer anderen Kirche begegnet und vielleicht auch nicht zufällig durch die Zustände in der Jerusalemer Grabes- bzw. Auferstehungskirche oder andere extreme Beispiele mit der Tragödie christlicher Spaltung konfrontiert wird, dem dringt auch dieser Skandal weniger ins Bewusstsein, geschweige denn unter die Haut oder sogar ins Herz. Ökumenisches Engagement bedarf aber sowohl des Verstandes als auch der Gefühle. Wer nur auf eines von beiden setzt, ist manchmal sehr schnell am Ende.

6. Viele zwischenkirchliche Schwierigkeiten sind nicht theologischer Art und keineswegs konfessionsspezifisch. Oftmals geht es um die Frage, wie eine Mehrheit mit einer Minderheit umgeht. Und da gibt es weltweit von fast allen Kirchen unrühmliche Beispiele. Historisch gewachsene Rollen und Positionen, staatliche Privilegierung und selbst-gerechte Intoleranz oder die Angst, etwas zu verlieren, zu kurz zu kommen und über-vorteilt zu werden, können das gegenseitige Verhältnis enorm belasten. Anzustreben wäre, dass man nicht nur an der Freude, sondern auch am Leid, an Schwierigkeiten und Krisen der anderen äußerlich und innerlich Anteil nimmt. Keine Seite dürfte versuchen, aus Schwächen der anderen zu profitieren. Daran würde sich eine wahrhaft ökumenische Gesinnung zeigen.

7. Ökumenischen Beziehungen hilft es nicht weiter, wenn aus Höflichkeitsgründen Probleme verschleiert oder verschwiegen werden. Statt dessen sollte man diese offen, beharrlich und fair angehen, dabei sich aber von dem Prinzip leiten lassen: „Einheit im Notwendigen, Freiheit im Zweifelhaften und Liebe in allem.“ Zu einer Kultur ökumenischer Ehrlichkeit gehört es, den anderen mit Achtung und Ehrfurcht zu begegnen, ihnen nicht von vornherein unlautere Motive zu unterstellen, kritische Anfragen nicht zum Anlass einer Selbstprofilierung zu machen und sich nicht – gewollt oder ungewollt – des Beifalls der Öffentlichkeit zu bedienen. Auch bei schwerwiegenden Spannungen sollte keine Seite den Dialog völlig abbrechen.

8. Oftmals verhindern einfach pragmatische Gründe eine intensivere Zusammenarbeit. Es erscheint unkomplizierter, alles in den üblichen konfessionellen Bahnen zu organisieren als sich aufwendigeren ökumenischen Absprachen zu stellen. Gemeinsame Initiativen sind zumeist beschwerlicher und werden vielfach als zusätzliche Belastung oder entbehrlicher Luxus angesehen. In den Augen Außenstehender wären sie aber glaubwürdiger und überzeugender. Nicht umsonst hat Jesus um die Einheit seiner Jünger gebetet, damit die Welt seine göttliche Herkunft glaubt (vgl. Joh 17,21). Die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft ist durch die Spaltungen zutiefst beeinträchtigt. Wenn wir wieder mehr Menschen von der Heilsamkeit des Evangeliums Jesu Christi überzeugen wollen, sollten wir dies nicht in schroffer Konkurrenz tun, sondern eher versuchen, sich dabei zu verständigen und zu unterstützen.

9. Auch wenn im Ursprungsland der lutherischen Reformation die evangelisch-katholischen Beziehungen im Vordergrund stehen, sollte man sich doch vor einer ausschließlichen Fixierung auf die abendländische Konfessionsproblematik und die deutschen Ver-hältnisse hüten. Wie die Europäische Union braucht auch unser ökumenisches Bewusst-sein eine „Osterweiterung“ – oder besser: eine Vervollständigung. Ohne die orthodoxen und altorientalischen Kirchen wäre die ökumenische Bewegung ein recht einseitiges Unternehmen und die Christenheit nicht in der Lage, wieder stärker mit ihren beiden Lungen – d. h. den geistlichen Reichtümern der westlichen und der östlichen Traditionen – zu atmen. Angesichts der Globalisierung muss unser Blick aber noch weiter werden und auch die Christen auf der südlichen Halbkugel einbeziehen. Solche Horizonterweiterungen können manche Verkrampfungen lösen und vor ökumenischem Provinzialismus bewahren. Darüber hinaus stellen die aufeinandergerückten Weltreligionen und Kulturen für die Kirchen eine dringliche Herausforderung dar, im Dienst des gemeinsamen Zeugnisses zu noch größerer Einigkeit zu gelangen.

10. Alles Bemühen um Einheit und Überzeugungskraft bleibt menschlich und unzulänglich, solange nicht die Einheit in der Gemeinschaft mit Gott und Christus im Heiligen Geist erstrebt wird. In diesem Sinn ist Einheit zuallererst ein göttliches Geschenk, um das man beten muss. Sie lässt sich nicht „von unten“ organisieren, sondern muss sich „von oben“ einsenken – freilich in aufnahmebereite Herzen, die sich dem göttlichen Anfruf nicht verschließen. Ohne Gebet, gegenseitiges Verzeihen, persönliche Bekehrung, demütigen Dienst und selbstlose Liebe würde ökumenischem Engagement die Mitte fehlen.

Weihbischof Dr. Gerhard Feige
Administrator des Bistums Magdeburg

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