Tempel der Weisheit
Archivar zur Rückführung der Akten aus Paderborn
"Die Aufbewahrung und Erhaltung (der Schriftstücke) ist eine Forderung der Gerechtigkeit, die wir heute denen schuldig sind, deren Erben wir sind. Gleichgültigkeit ist eine Beleidigung unserer Vorfahren und der Erinnerung an sie.“ (Die pastorale Funktion der kirchlichen Archive) Diese Aussage stammt nicht von mir, sondern von der Päpstlichen Kommission für die Kulturgüter der Kirche. Sie ist ein Zitat aus dem im Februar 1997 veröffentlichten Rundschreiben „Die pastorale Funktion der kirchlichen Archive“.
Unter eben dieses Zitat möchte ich unsere kleine Feier anlässlich der Übergabe bzw. Rückführung der Magdeburger Akten aus Paderborn gestellt wissen. Nur so ist zu verstehen, warum wir uns heute hier zusammengefunden haben: Es ist uns eben nicht egal, was unsere Vorfahren so gemacht haben.
Die Akten, die heute ins Zentralarchiv kommen, stammen nämlich von unseren geistigen Vorfahren. Es sind diejenigen Vorfahren, die hier in Magdeburg ganz konkret katholische Kirche mit aufgebaut und verwirklicht haben. Es sind die Akten der jeweiligen Kommissare des damaligen Bischöflichen Kommissariates Magdeburg, die im 19. Jahrhundert hier gewirkt haben – und ihre Spuren auch in Form von Akten hinterlassen haben. Diese Papiere geben Auskunft über unsere katholische Vergangenheit im Magdeburger und Halberstädtischem Raum.
Doch alte Papiere weisen nicht immer auf etwas Vergangenes hin, sie habe auch etwas mit dem Hier und Heute zu tun. Dabei möchte ich auf eine Aussage von Kardinal Lehmann zurückgreifen, der da sagte.
„Für den Menschen ist die Erinnerung eine zentrale Dimension seiner Identität. Dies gilt auch für jede Gemeinschaft, weil die Geschichte ihr bei der Auskunft hilft, wer sie ist.“ (Bischof Karl Lehmann, in: Arbeitshilfen 142, DBK)
Konkret heißt das also, nur wer sich der Vergangenheit bewusst wird, ist sich der Zukunft gewiss. Ebenso darf ich hierbei auf eine weitere Aussage der Päpstlichen Kommission für die Kulturgüter der Kirche verweisen. Dort heißt es:
„Einer Einrichtung, die die eigene Vergangenheit vergißt, wird es schwerlich gelingen, ihre Aufgabe unter den Menschen eines bestimmten sozialen, kulturellen und religiösen Umfeldes darzustellen. In diesem Sinne besitzen die Archive, die die Zeugnisse der religiösen Überlieferungen und der pastoralen Praxis aufbewahren, ihre eigene innere Lebenskraft und Gültigkeit. Sie tragen wirksam zur Steigerung des Zugehörigkeitsgefühls jeder einzelnen Generation zur Kirche bei und machen den Einsatz der Kirche in einem bestimmten Gebiet offenkundig.“ (Die pastorale Funktion der kirchlichen Archive. S. 18)
Ich freue mich daher, dass es die Kommissariats-Akten noch gibt, dass wir dadurch unserer Vergangenheit besser bewusst werden können. Und ich freue mich, dass die Akten wieder zu ihrem ehemaligen Ort ihrer Entstehung zurückkehren.
Als vor über 60 Jahren die Archivalien aus dem durch den Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg gefährdeten Magdeburg nach Paderborn ausgelagert wurden, hat wohl keiner gedacht, dass es solange dauern würde, bis diese wieder an den Ort ihrer Entstehung zurückkehren. Zum Glück wurden die Kommissariatsakten Anfang der 1940er Jahre auch nach Paderborn gebracht. Denn beim größten Bombenangriff auf Magdeburg im Januar 1945 wurde auch die ehemalige Propstei – der Lagerort der Kommissariatsakten – ein Raub der Flammen. Und in Paderborn wurden die Magdeburger Kommissariatsakten ebenfalls als so wichtig eingestuft, dass diese aus dem Bistums-Archiv beim Paderborner Dom ebenfalls ausgelagert wurden. Denn auch diese Aufbewahrungsstätte wurde bei Bombenangriffen auf die Stadt Paderborn schwer beschädigt.
Einige werden sich nun vielleicht fragen, wie es dazu kommt, dass Magdeburg eine solche enge Verbindung zu Paderborn besitzt?
Kurz zur Erinnerung: Mit der Reformation erlosch in Nord- und Mitteldeutschland das katholische Leben fast gänzlich. Nur in wenigen Klöstern konnte sich der Glaube Unserer Väter und Mütter behaupten. Demzufolge gab es nur eine geringe Anzahl von Gläubigen, die zunächst von der Apostolischen Nuntiatur, später von der Nordischen Mission betreut wurden. Im Zuge der Nordischen Mission kam das Gebiet des heutigen Bistums Magdeburg zum ersten Mal in Kontakt mit Paderborn: 1680 ernannte der Papst den Fürstbischof von Paderborn zum Apostolischen Vikar und vertraute ihm auch so die Gebiete um Magdeburg und Halberstadt an. Nach wechselvoller Geschichte kam 1789 das Amt des Apostolischen Vikars erneut nach Paderborn. Der Paderborner Fürstbischof, Franz Egon von Fürstenberg, nutzte dann unter der Napoleonischen Fremdherrschaft die Chance, das Kommissariat Magdeburg zu errichten und es 10 Jahre später, 1821, an das Bistum Paderborn anzugliedern. Sitz des Kommissariats war zunächst die Huysburg; relativ schnell wurde der Sitz jedoch nach Magdeburg transferiert.
Die enge Bindung zu Paderborn war aber auch der staatspolitischen Entscheidung geschuldet, dass der damalige preußische König keinen Bischof in sein Land hineinregieren lassen wollte, der nicht unter seiner Staatshoheit stand. So kam das Kommissariat Magdeburg nicht nach Hildesheim – was ja zu der Zeit noch Hannoveranisch war - sondern nach Paderborn. Und ich denke, dass wir gut dabei gefahren sind.
Genau 173 Jahre sollte die enge Bindung halten.
Wir alle wissen, dass der unselige Zweite Weltkrieg Deutschland in zwei Teile trennte und somit das Magdeburger Gebiet vom Mutterbistum Paderborn trennte. Notgedrungen entstand in Magdeburg eine eigene kirchliche Verwaltung mit eigener pastoraler Identität – die seit 1945 entstandenen Akten, vor allem die Unterlagen des Seelsorgeamtes, aber auch die Korrespondenz der damaligen Kommissare bzw. die Korrespondenz der jeweiligen Magdeburger Weihbischöfe mit dem Paderborner Erzbischof - geben davon beredte Auskunft.
Die eigene Identität wurde im Laufe der Trennung immer größer. Auch die Wende von 1989 brachte da kein Zurück. Vor allem aus pastoralen Gründen wurde so vor genau 10 Jahren das Bistum Magdeburg errichtet.
Damit wurde das Magdeburger Territorium vom Erzbistum Paderborn in die Unabhängigkeit entlassen. In diesem Falle bedeutet Unabhängigkeit jedoch nicht, dass die beiden Bistümer nichts mehr voneinander wissen wollten. In einer feierlichen Urkunde verpflichteten sich das Erzbistum Paderborn und das Bistum Magdeburg zu einer dauernden Partnerschaft. Das bis dahin praktizierte brüderliche Miteinander sollte dadurch seine Kontinuität erfahren.
Auf vielfältige Weise wurde diese Partnerschaft bisher schon bezeugt. Angefangen von der „Morgengabe“ der Finanzierung des neuen Roncalli-Hauses, ebenso durch die alljährlichen Begegnungen, besonders beim Liborius-Tag in Paderborn oder bei der großen Familienwallfahrt auf der Huysburg, bis eben jetzt – sozusagen auf den heutigen Tag: Mit der Aktenrückgabe.
Wenn heute die alten Archivalien wieder aus Paderborn zurück nach Magdeburg kommen - und nicht nur das, es kommen auch die Akten zurück, die in Paderborn hinsichtlich des Magdeburger Territoriums entstanden sind – so ist das ein Zeichen und Ausdruck des normalen Umganges der beiden Bistümer miteinander. Das heißt: Heute wird ein Teil des Partnerschaftsvertrages umgesetzt.
Einerseits bedeutet die Aktenrückgabe, dass der Abnabelungsprozess von Paderborn fortgesetzt wird. Es gibt damit einen Bezugspunkt weniger, der Magdeburg mit Paderborn verbindet: Als praktisches Beispiel möchte ich nur erwähnen, dass ich ab jetzt bei bestimmten Anfragen nicht mehr darauf verweisen kann, dass unsere Alt-Akten eigentlich in Paderborn liegen.
Andererseits – um so den Bogen auf die Eingangs erwähnten Zitate zu spannen, wird dem Bistum Magdeburg damit ein Teil seiner Vergangenheit, seine Identität, zurückgegeben – gerade um der Menschen und ihrer Zukunft willen.
Dass dies auch wirklich so sein möge, darauf möchte ich das Glas erheben und die neuen, alten Akten willkommen heißen.
- Daniel Lorek -
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