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In Sorge um die Kranken

Weihbischof predigte in Halle

...anlässlich der Inbetriebnahme des Kinderzentrums, des Foyers und der Kapelle im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle
am 02.12.2004
(Apg 3, 1-16; Mt 25, 31-40)

Für manche oder manchen von Ihnen ist es kein Geheimnis, dass Erfahrungen mit dem Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara zu meiner persönlichen Lebensgeschichte dazugehören.
Als ich am 19. November im St. Barbara-Krankenhaus geboren wurde, wäre ich beinahe eine Elisabeth geworden; das war jedenfalls der Wunsch der Schwestern, und meine Mutter hätte unter anderen Voraussetzungen dem durchaus auch zugestimmt. Dafür konnte ich später jahrelang als Ministrant in der Kapelle der Schwestern zu meinem Geburtstag anlässlich ihrer Patronin einen Festgottesdienst mitfeiern.
Im hiesigen Krankenhaus lag ich zweimal als Patient und habe andererseits auf Station auch ein Praktikum absolviert.
Hier hat mein Vater viele Jahre gearbeitet. Hier sind mein Großvater und meine Mutter gestorben.
Mit großem Respekt schaue ich auf die vielen, die sich „um Gottes und der Menschen willen“ mit Leib und Seele in dieses Unternehmen eingebracht haben und bringen – in direkter Sorge um die Kranken oder in anderen Diensten.
Was für eine enorme Herausforderung stellt für uns Menschen doch die Krankheit dar?!

Krankheit als Krise des ganzen Menschen

Zur Wahrheit menschlichen Daseins gehört, dass unser Leben endlich, begrenzt, hinfällig und vergänglich ist. Oftmals wird das verdrängt. Gesundheit gilt fast als höchster Wert, und krank zu sein wird als Unglück empfunden. Nicht selten stürzen körperliche Leiden, Schmerzen und lebensbedrohliche Diagnosen Menschen in eine Krise. Angst und Verzweiflung, Resignation und Trauer werden durchlebt. Der ganze Mensch wird davon erfasst; es betrifft ihn nicht nur körperlich, sondern zugleich auch geistig und seelisch, existentiell und sozial. Viele fürchten, nicht verstanden und alleingelassen zu werden, möchten ihre Mitmenschen „schonen“ und nicht als hilflos erscheinen. Unfähig, allein zurechtzukommen, oder in ein Krankenhaus eingeliefert, fühlt sich manche und mancher fremden Zwängen ausgeliefert. Und die Gefahr, dass etwas von der Menschenwürde verloren gehen könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Ein kranker Mensch ist in seiner ganzen Existenz „gekränkt“. Innerweltliche Sicherheiten werden in Frage gestellt, Illusionen und Selbsttäuschungen entlarvt. Krankheit führt den Menschen vor grundlegende Fragen seiner Existenz:
Warum hat es gerade mich getroffen? Womit habe ich das verdient? Werde ich wieder gesund? Welchen Sinn haben meine Leiden und Schmerzen? Ist mit dem Tod alles zu Ende?
Und manche oder mancher fühlt sich auch von Gott verlassen. Die Sehnsucht nach Hilfe und Zuwendung ist groß.
Als Gesunder fällt es einem relativ leicht zu sagen, dass Schmerz, Krankheit und Leid zu den Aufgaben gehören, die das Leben dem Menschen stellt, damit er daran wachse und zum wirklichen Menschen werde.
Dichter, Denker und Philosophen sind manchmal dieser Meinung. So sagt z. B. André Gide: „Ich glaube, dass Krankheiten Schlüssel sind, die uns gewisse Türen öffnen können. Ich glaube, es gibt gewisse Tore, die einzig die Krankheit öffnen kann. Es gibt jedenfalls einen Gesundheitszustand, der uns nicht erlaubt, alles zu verstehen. Vielleicht verschließt uns die Krankheit einige Wahrheiten, ebenso aber verschließt uns die Gesundheit andere.“
Mit solchen Deutungen sollte man zurückhaltend und sehr behutsam sein. Wahrscheinlich kann man ihnen erst dann einiges abgewinnen, wenn Erfahrungen dahinterstehen.
Krankheiten stellen Gefährdungen dar, bieten aber auch Chancen. Man kann scheitern, man kann aber auch gestärkt daraus hervorgehen und danach bewusster leben.

Göttliche Hoffnungszeichen

In solchen „Wüstenzeiten“ erinnern sich Christen biblischer Erfahrungen und Aussagen. Darin wird Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt und des Menschen bezeugt, als „Freund des Lebens“ und letzter Halt. Dieser Gott ist freilich nicht verfügbar. Gerade angesichts des Leids und der Leiden der Menschen bleibt er der letztlich Nichtbegreifbare. Fragen nach dem Warum und Wozu bleiben oft ohne Antwort.
Und doch ist er aus seinem Geheimnis herausgetreten und hat sich vielen als trostreicher Begleiter und wirkmächtiger Retter erwiesen, als der „Ich-bin-für-euch-da“ (vgl. Ex 3,14), als „Emmanuel“, als Gott mit uns und für uns.
In Jesus Christus ist diese Sorge Gottes um den Menschen – um sein Leben hier und jetzt und über den Tod hinaus – eindrucksvoll sichtbar geworden: wie er sich den kranken Menschen zugewandt hat, wie er mit ihnen sprach und ihnen oft in Zeichen und Wundern zu neuem Leben verhalf.
Der Umgang mit Kranken hatte für ihn eine zentrale Bedeutung. In den Evangelien erscheinen seine Krankenheilungen als Zeichen der bereits angebrochenen Gottesherrschaft. Er ist der göttliche Arzt, der nicht irgendwelche spektakulären Wunder wirkt, sondern das Heil des ganzen Menschen im Blick hat.
Mit der Aussage „Ich war krank, und ihr habt mich besucht“, die wir vorhin aus dem Matthäusevangelium (25,36) gehört haben, identifiziert er sich sogar mit den Kranken und macht deutlich: Wer sich ihnen zuwendet, hat die Möglichkeit, ihm selbst zu begegnen und einen liebevollen Dienst zu erweisen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25,40). “
In Jesu Leiden aber hat Gott selbst sich den Schwerkranken und Sterbenden zur Seite gestellt und mit ihnen das Tal der Anfechtung und des Todes durchschritten.
Und die Auferstehung Jesu ist für die Glaubenden zur Hoffnungstat Gottes geworden: Krankheit und Leiden, Sterben und Tod sind Durchgang – vom Dunkel zum Licht, vom Tod zum Leben in der bleibenden Gemeinschaft mit Gott und mit allen bei ihm Vollendeten.
Den Auftrag Jesu „Heilt Kranke!“ (Mt 10.8) haben seine Jünger sehr ernst genommen. Sie besaßen zwar nicht Silber und Gold (Apg 3,6) haben sich aber den Notleidenden zugewandt, ihre Isolation durchbrochen, sie im Glauben bestärkt und ihnen erfüllteres Leben ermöglicht. Dieses Engagement ist für die gesamte Geschichte der Kirche richtungsweisend geworden. Für viele war und ist das der Weg, wahrhaft menschlich zu leben und darin vielleicht sogar Christus nahe zu sein.

Heilsame Dienste

In dieser Tradition sieht sich auch das Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara zu Halle.
Seinen Stifterinnen gemäß will es sich weiterhin um ein christliches Profil und einen heilsamen Geist mühen.
Worin könnte beides bestehen und sichtbar werden?
Keine Frage: Ein Krankenhaus ist nicht primär dadurch christlich, dass es einen kirchlichen Träger, Ordensschwestern und einen Seelsorger hat, dass in den Zimmern Kreuze oder andere christliche Symbole hängen.
Klar ist auch, dass sich moderne Krankenhäuser aller Art im marktorientierten Gesundheitswesen bewähren müssen. Einerseits werden Höchstleistungen erwartet, andererseits nimmt der Kostendruck zu. Spannungen zwischen therapeutischem Bemühen und den Grenzen des Machbaren bleiben nicht aus. Oft fühlen sich Ärzte und Pflegende überfordert und Patienten trotz aller technischen Versorgung menschlich ziemlich alleingelassen.
Und schließlich sind alle, die hier arbeiten, auch Teil der Gesellschaft und von denselben Werten und Tabus geprägt, die allenthalben anzutreffen sind.
Dennoch müsste es doch auch weiterhin möglich sein, einem christlichen Selbstverständnis sichtbaren Ausdruck zu verleihen!
Erfreulich ist da für mich schon einmal, dass das Krankenhaus nicht in ein „Gesundheitszentrum“ umbenannt worden ist. Selbst wenn sich mit diesem neuen Begriff ein ganzheitliches Versorgungsverständnis verbinden kann, verbirgt sich dahinter doch auch die Tendenz, Kranksein als menschliche Erfahrung zu verleugnen oder zu diskriminieren, den gesunden Körper aber ungebührlich zu verherrlichen und zum Maß aller Dinge zu machen. Menschen, die krank sind, müssen in ihrer Not auch Achtung finden und dürfen nicht als Verlierer gebrandmarkt werden. Von ihrer Würde überzeugt zu sein und ihnen in Achtung und Ehrfurcht zu dienen, müsste ein erstes Kennzeichen eines christlichen Krankenhauses sein.
Wenn es eine „Hierarchie“ in einem Krankenhaus geben sollte, nimmt der Patient darin die erste Stelle ein. Um ihn geht es, um seine Heilung und sein Heil. Dabei ist nicht nur ein Optimum an Therapie und Pflege nötig, sondern auch ein Optimum an menschlicher Zuwendung, an Güte, Wohlwollen, Freundlichkeit, Wertschätzung und Geborgenheit. Jede und jeder Kranke müsste spüren, hier bin ich als Mensch, als Person angenommen.
Für die Christlichkeit eines Krankenhauses ist auch entscheidend, in welchem Verhältnis Ärzte, Schwestern und Pfleger, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zueinander stehen. Ist da etwas von Kollegialität zu spüren? Sicher wird es auch in einem kirchlichen Krankenhaus immer auch Probleme, Spannungen und Konflikte geben. Entscheidend ist aber, in welchem Geist und mit welchen Mitteln man sie löst.

Schließlich ist die Christlichkeit eines Krankenhauses auch daran zu erkennen, ob man hier das Recht hat, menschenwürdig zu sterben, und wie man mit Sterbenden umgeht. Neben dem Ja zum Leben gehört auch das Ja zum Tod. „Dem Menschen leben helfen und ihm sterben helfen, darin scheint mir die ganze Medizin zu bestehen“, sagt schon der Schweizer Arzt Paul Turnier. In einem christlichen Krankenhaus muss etwas von dem Glauben spürbar werden, dass es eine von Gott begründete Beziehung gibt, die auch durch den Tod hindurchträgt.

Selbstverständlich bedarf es einer eigenen Ethik der ganzen Institution, die alles prägen muss, das alltägliche Handeln und Unterlassen, Struktur und Organisation, den Umgang mit den Finanzen, die Verwaltung und den „Stil des Hauses“. Diese muss in der Öffentlichkeit erfahrbar werden und in Aus- und Fortbildung sowie besonders in der Einstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder zur Sprache gebracht werden. Letztlich steht und fällt aber der christliche Charakter eines Krankenhauses mit der Haltung einer jeden Mitarbeiterin und eines jeden Mitarbeiters, mit ihrer und seiner Praxis von Glaube, Liebe und Hoffnung.

Neue Gebäude sind errichtet. Möge in ihnen in der Sorge um die Kranken der menschenfreundliche und heilsame Geist Jesu Christi zu spüren sein. Jede und jeder ist herausgefordert, sich diesem Anspruch zu stellen und ihm auf überzeugende Weise Ausdruck zu verleihen.

Weihbischof Dr. Gerhard Feige
Administrator des Bistums Magdeburg


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