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„Komm, sag es ihnen weiter!“

Bischof zur Eröffnung der Diaspora-Aktion 2005

Liebe Schwestern und Brüder,

„Lautlos naht der Kirche eine Grundgefahr: die Gefahr einer Zeit, einer Welt, in der Gott nicht mehr geleugnet, nicht mehr verfolgt, sondern ausgeschlossen, in der er undenkbar sein wird; einer Welt, in der wir seinen Namen herausschreien möchten, es aber nicht können, weil uns kein Platz bleibt, um unsern Füße hinzustellen.“

Diese Sätze stammen von Madeleine Debrel, einer französischen Glaubenszeugin des 20. Jahrhunderts. Empfinden wir Katholiken hier in dieser Region das nicht ähnlich Längst ist die Diaspora, die Zerstreuung, in der wir leben, nicht mehr nur konfessionell bedingt. Zunehmend finden wir uns zusammen mit den anderen Christen in einer Umwelt vor, in der es kaum noch Anknüpfungspunkte für den Glauben gibt. Erfahren nicht viele Gläubige, wie sie selbst in der eigenen Familie, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz immer mehr zu Außenseitern werden?

Solche Situationen sind nicht ohne Gefahren. Wie schnell können auch Christen sich der Umgebung anpassen und ihre Identität aufgeben! Wer hat schon den Willen und die Kraft, lange gegen den Strom zu schwimmen? Andere wiederum fallen ins gegenteilige Extrem: verhärten in ihrer Position und ziehen sich wie in ein Ghetto zurück.

Diasporasituationen haben aber auch ihre Chancen. Herausgefordert durch die Andersdenkenden und die Fragen der eigenen Kinder und Enkel kann der Glaube sich bewähren und reifen. Ebenso könnte eine Grunddimension unseres Glaubens, die in volkskirchlichen Verhältnissen oftmals nicht mehr im Blick ist, wieder neu aufleuchten: dass wir alle - ob Bischof, Priester oder Laien — einen gemeinsamen Auftrag haben, nämlich Zeugnis zu geben von der Hoffnung, die uns erfüllt. (1 Petr 3,15). Genau dies möchte auch die diesjährige Diaspora-Aktion in Erinnerung rufen und verstärken „Komm, sag es ihnen weiter!“ „Ihnen“ — damit sind in diesem Fall vor allem junge Menschen im Norden und Osten Deutschlands in Skandinavien und im Baltikum gemeint.

Doch was verbindet sich mit dem Wörtchen „es“? Was sollen wir weitersagen? Und wie sollen wir es tun? Die Berufung der ersten Jünger, von der wir heute im Evangelium gehört haben, könnte uns dabei einen Weg weisen. Johannes der Täufer, so heißt es, richtet zunächst seinen Blick auf Jesus und verweist dann die Jünger mit einem ganz kurzen Bekenntnis auf ihn. Und als diese sich — sozusagen „auf Verdacht“ — darauf einlassen. Jesus folgen und der das bemerkt, ist seine erste Reaktion, sie zu fragen: „Was wollt ihr?“ Man könnte auch übersetzen: „Was sucht ihr?“ Und auf die Gegenfrage der Jünger: „Wo wohnst du?“, antwortet Jesus mit der schlichten Einladung: „Kommt und seht!“ Wenige Fragen und Antworten und eine ganz einfache menschliche Einladung: das ist die Weise, wie Jesus missionarisch handelt. „Was wollt ihr?“, sind die ersten drei Worte, die Jesus im Johannesevangelium spricht. Das kann uns nachdenklich machen: Haben wir nicht oft schon Sätze und Antworten parat, bevor wir überhaupt wissen, was andere Menschen wirklich suchen und fragen?

• Welche Gedanken machen sich z.B. junge Leute, die das Land Sachsen-Anhalt verlassen und in andere Bundesländer gehen?
• Wonach dürsten Kinder Jugendliche und Erwachsene, die fieberhaft auf das Erscheinen des sechsten Bandes von Harry Potter gewartet haben?
• Was bewegt Menschen, die keine enge Beziehung zum Christentum haben, aber nach Katastrophen oder Gewalttaten in Kirchen strömen?

„Was wollt ihr?“ — diese Frage Jesu kann dazu herausfordern, uns tatsächlich auf die Augenhöhe derer zu begeben, denen wir etwas weitersagen sollen. Das heißt, erst einmal hinzuhören, ohne gleich auf alles eine fertige Antwort zu haben.

Und dann dürfen wir uns auch durch den zweiten Satz anregen lassen, den Jesus spricht: „Kommt und seht!“ Jesus lädt die beiden suchenden Jünger ein, an seinem Leben teilzuhaben. In dieser Beziehung können sie erfahren, wie sehr sich das, was er sagt und lehrt, auch in seinem alltäglichen Leben widerspiegelt. Sehnen Sich nicht viele nach Orten, wo sie sich zu Hause fühlen, nach Menschen die Glaubwürdigkeit ausstrahlen und Geborgenheit vermitteln.

Wenn es im Leitbild unseres Bistums heißt, dass wir „einladend, offen und dialogbereit“ in die Zukunft gehen wollen, könnte dann nicht auch genau dies gemeint sein: suchenden Menschen eine Heimat zu geben — und damit auch Orientierung im Gewirr der vielen Stimmen und Angebote? Eine Heimat, die nicht vereinnahmt, die gerade junge Menschen auch immer wieder freilässt — die aber klar und eindeutig etwas ganz Kostbares anzubieten hat? Könnte es dann nicht sein, dass solche Menschen, die bei uns auf einen solchen wertvollen Schatz stoßen, wie der Jünger Andreas in Folge auch ihre Verwandten und Freunde mitbringen, um ihnen zu zeigen, was und wen sie gefunden haben?

Liebe Schwestern und Brüder, was sollen wir also weitersagen und wie? Zunächst einmal dürfen wir davon ausgehen, dass die Botschaft, die uns anvertraut ist, mit den tiefsten Fragen und Sehnsüchten der Menschen zu tun hat. Auch wir selbst sind angefragt „Was suchst du? Woraus lebst du? Worin besteht dein letzter Halt?“ Von Interesse ist unser ganz persönlicher Glaube, unsere ganz persönliche Hoffnung. Mag unsere Antwort manchmal vielleicht auch nur stammelnd ausfallen — wenn sie aus dem Herzen kommt, wird sie nicht wirkungslos verhallen.

Und in all dem wird es darauf ankommen, dass suchende Menschen bei uns auch etwas sehen können: wie wir leben, wie wir handeln, wie wir feiern - wie Glaube und Leben also zusammen gehören. Oft ist es nämlich so, dass weniger darauf geachtet wird, was wir sagen, als darauf, wie wir leben.

Mag es uns manchmal schmerzen und verunsichern, dass wir eine so kleine Schar sind und die christliche Botschaft in unserem Umfeld anscheinend nur wenige erreicht, „Gottes Macht“ — so wird uns durch den ersten Petrusbrief in Erinnerung gerufen — „behütet euch durch den Glauben, damit ihr das Heil erlangt, das am Ende der Zeit offenbart werden soll. Deshalb seid ... voll Freude, obwohl ihr jetzt vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müsst. Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, dass er wertvoller ist als Gold.“ (1 Petr 1, 5-7)

Lasst uns aus dieser Zuversicht leben und vielen davon menschenfreundlich und glaubwürdig künden!

Gerhard Feige
Bischof

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