Bistumskarte Jetzt spenden

"Kühnste Vorstellungen übertroffen"

Bischof Feige zur friedlichen Revolution

Als "unheimlich befreiend" hat der Magdeburger katholische Bischof Gerhard Feige den Fall der Mauer erlebt. Die dramatischen Änderungen in kurzer Zeit hätten seine kühnsten Vorstellungen übertroffen, so Feige, der damals als Dozent in Erfurt tätig war. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erinnert sich der Bischof an die turbulenten Tage im Herbst 1989.

KNA: Herr Bischof, wo haben Sie den Fall der Mauer erlebt?

Feige: Ich bin damals Dozent in Erfurt gewesen, am Philosophisch-Theologischen Studium, der heutigen Fakultät. Wenige Monate vorher, am 1. August 1989, war ich nach einem außergewöhnlichen Studienaufenthalt in Rom mit der Vorstellung in die DDR zurückgekehrt: Das war ein wunderschönes Jahr, aber ich werde nichts von alledem irgendwann wiedersehen.

KNA: Was waren am 9. November Ihre ersten Gedanken?

Feige: Die Ereignisse dieser Nacht wirkten auf mich unheimlich befreiend, weil ich selber erlebt habe, wie belastend die Grenzkontrollen der DDR waren, wie sich da alles in mir zusammenschnürte. Die ersten Wochen nach dem Fall der Mauer bin ich aber nicht in die Bundesrepublik gefahren. Ich habe mir gesagt: Du hattest schon ein gnadenhaftes Jahr im Westen, jetzt lass mal die anderen fahren.

KNA: Haben Sie mit einem so plötzlichen Ende des SED-Regimes gerechnet?

Feige: Nein, ich war nach meiner Rückkehr aus Rom darauf eingestellt, dass die DDR weiter besteht, vielleicht mit kleinen Kursänderungen. Dass sich innerhalb so kurzer Zeit dann solche dramatischen Veränderungen ergeben, übertraf meine kühnsten Vorstellungen.

KNA: Haben sich Ihre politischen Erwartungen erfüllt?

Feige: Es war eine turbulente Zeit, wo eins das andere ergab. Ich kann mich nicht daran erinnern, für eine demokratisch gestaltete DDR gewesen zu sein. Ich hoffte aber darauf, dass wir Verhältnisse entwickeln können, in denen es sich menschlicher leben lässt. Dazu gehörte auch eine größere Einheit mit dem westlichen Deutschland. Konkret hatte ich da aber keine Vorstellungen, wie das sein könnte.

KNA: Welche Hoffnungen hatten Sie mit Blick auf die Kirche?

Feige: Schon an Weihnachten 1989 habe ich öffentlich gesagt, dass es auch künftig trotz der neu gewonnenen Freiheit kaum dazu kommen wird, dass viele konsequent christlichen Werten folgen und - wenn es sein muss - auch "gegen den Strom schwimmen". Ich habe nicht daran geglaubt, dass jetzt auf einmal wieder Massen in die Kirche zurückströmen.

KNA: Wie schätzen Sie den Beitrag der Katholiken zur friedlichen Revolution ein?

Feige: Erstaunlicherweise waren auf einmal nach der Wende viele Katholiken bereit und fähig, politische Verantwortung zu übernehmen. Irgendwie muss man sich da vorher ja schon eingeübt haben. Manche unserer Gremien waren dazu mindestens indirekt gute Lernorte. Ich selbst erinnere mich da noch an ein Wochenende zwischen 1968 und 1970, wo wir in unserem kirchlichen Jugendhaus zu etwa 70 Personen mit unserem Vikar regelrecht Bundestag gespielt haben, um mit demokratischen Formen vertraut zu werden. Und 1989 gehörten wir Katholiken zwar nicht unbedingt zu den spektakulären Anführern der friedlichen Revolution, waren aber auch auf vielfältige Weise daran beteiligt.

KNA: Wie groß sind die Verständigungsprobleme zwischen Ost und West heute?

Feige: Es gibt durchaus immer noch unterschiedliche Sichtweisen, gelegentlich auch ein Unverständnis hinsichtlich mancher Dinge. Katholischerseits erlebe ich eine große Solidarität füreinander, aber manches können sich meine Amtsbrüder aus dem Westen dennoch nicht so richtig vorstellen, weil sie in einer anderen Erfahrungswelt leben.

KNA: Zum Beispiel?

Feige: Etwa, dass über 80 Prozent der Ostdeutschen keiner Kirche angehören und den Eindruck erwecken, dass ihnen nichts fehlt. Es gibt einige, die sind auf der Suche, aber es gibt eine viel größere Zahl, die nach eigener Aussage keine Religion brauchen und auch so glücklich sind. Das ist für manche, die aus westlichen Verhältnissen kommen, so nicht vorstellbar. Sie fragen dann: Wenn einer mit dem Tod konfrontiert wird, dann muss er doch zum Nachdenken kommen. Viele Ostdeutsche würden dann aber sagen: Schicksal, Pech. Ist halt so. Damit muss man leben, fertig, aus. Sich diese Haltung vorzustellen, fällt vielen in den alten Bundesländern schwer. Ich merke es selber auch, wenn ich in manche Gegenden Süd- oder Westdeutschlands komme: Das ist doch noch eine andere Welt.

Das Interview führte KNA-Redakteur Gregor Krumpholz

Copyright: KNA

Mehr über Bischof Dr. Gerhard Feige

Themen und Partnerportale