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Edith - nicht nur eine "normale Königin"

Predigt von Bischof Feige zur Wiederbeilegung im Dom

Vergänglich

Königin Edith und Kaiser Otto I. - Darstellung im MDer Dom„Sic transit gloria mundi" - „So vergeht der Ruhm dieser Welt". Dreimal war dieser Ruf in früheren Zeiten vor der Krönung eines Papstes zu hören, während zugleich trockene Zweige vor ihm verbrannt wurden. „Bedenke Mensch" - so könnte man es mit dem katholischen Spruch vom Aschermittwoch auch sagen - „dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehrst." Und Psalm 90 beschreibt diese Tatsache mit den Worten: „Von Jahr zu Jahr säst du die Menschen aus; sie gleichen dem sprossenden Gras. Am Morgen grünt es und blüht, am Abend wird es geschnitten und welkt."

Und das gilt ausnahmslos allen. Kein Alter und kein Stand wird vom Tod verschont; jedermann ist eines Tages an der Reihe. Mitten im Alltag tritt der Tod auf und holt seine Opfer ab. Vor ihm sind alle gleich, vom Papst bis zum Bauern, vom Kaiser bis zum Bettelmann. Das hat schon Hans Holbein der Jüngere im 16. Jahrhundert eindrucksvoll in 33 Holzschnitten vor Augen geführt. Auch der Königin als hochrangiger Person ist ein eigener Holzschnitt gewidmet; auch sie wird mitten im Leben vom Tod weggerissen. Da nützt es nichts, wenn ihre Begleiter noch so sehr versuchen, ihn von ihr wegzudrängen.

Inspiriert hatten Holbein künstlerische Vorbilder des 14. Jahrhunderts. In einer Zeit wie dem Mittelalter war der Gedanke des Todes allgegenwärtig. Pest und Kreuzzüge brachten den Menschen fast täglich ihre existentielle Gefährdung ins Bewusstsein. Seitdem fand die Macht des Todes ihren populärsten Ausdruck in der Vorstellung eines Tanzes, zu dem der Tod die Lebenden auffordert und dem sie sich nicht verweigern können. Jede und jeder hat mitzutanzen. Überall konnte man dieses Motiv wiederfinden: an Kirchen- und Klostermauern, in Kreuzgängen und auf Friedhöfen.

Zu Edithas Zeiten freilich war eine solche Darstellungsweise noch nicht bekannt. Doch auch schon damals müsste es im Bewusstsein der Menschen verankert gewesen sein: Vor dem Tod sind alle gleich. „Sic transit gloria mundi"[i]. Einer Königin ergeht es am Ende nicht anders als dem unbedeutendsten Bewohner ihres Reiches. „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub".

Anregend

Warum legen wir die Gebeine der Königin Editha dann heute so feierlich bei, obwohl sie doch schon seit über 1000 Jahren tot ist? Schließlich sind Milliarden Menschen gestorben, an die niemand mehr denkt. Was ist mit den vielen, die zu Lebzeiten nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit standen, die spurlos verschwunden sind, deren Namen in keinem Lexikon stehen? Was ist mit denen, die vom Tod ereilt wurden, bevor sie bedacht hatten, was aus ihrem Leben werden könnte? Was ist mit denen, die heutzutage anonym bestattet und manchmal sogar regelrecht „entsorgt" werden? Wie viele sind vergessen, nicht nur erst Jahre nach ihrem Tod, sondern schon zu Lebzeiten. Was hat uns also hier im Dom zusammengeführt? 

John Inge, Ilse Junkermann, Gerhard Feige vor dem Grabmal im Dom
Der Vertreter der Church of England, Bischöfin Ilse Junkermann und Bischof Gerhard Feige am offenen Grabmal im Chor des Doms.
Foto: Klaus Constabel

Offensichtlich sind wir Menschen - jedenfalls auf Erden - doch nicht alle gleich. Viele leben noch einige Zeit in der Erinnerung ihrer Familien oder auch länger im Gedächtnis eines ganzen Volkes weiter: begeisternd oder abschreckend. Von einigen künden Denkmäler, Berichte oder Geschichten. Manche haben der Menschheit bedeutende Erkenntnisse oder Werke hinterlassen. Was aber fasziniert an Editha außer dem spektakulären Fund ihrer Gebeine?

Traut man der Überlieferung, war sie wohl nicht nur eine ganz normale Königin. Schon zu Lebzeiten hat das Volk sie wegen ihrer Großzügigkeit gegenüber den Armen und Kranken sehr verehrt. In Sagen und Legenden wird ihre Barmherzigkeit gerühmt, die sie aus Liebe zu Gott allen Geschöpfen entgegenbrachte. Ebenso galt sie als Friedensstifterin und tugendhafte Gattin. Auch wenn wir biographisch nur wenig über Editha wissen: Im Gedächtnis des Volkes ist ihre Frömmigkeit und ihre Wohltätigkeit tief verankert. Viele sahen in ihr sogar eine Heilige. Und noch heute geben manche Magdeburger Eltern ihrer Tochter den Namen „Editha", weil sie damit  offensichtlich etwas Positives verbinden.

Aber auch noch auf andere Weise könnte sie uns aus heutiger Perspektive zu denken geben. In einer Gesellschaft, die angesichts der Einwanderung von Millionen Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen epochal herausgefordert ist, steht uns in ihr sozusagen eine Königin „mit Migrationshintergrund" vor Augen. Als junge Frau hat sie ihre Heimat verlassen und musste in einem fremden Land neu beginnen. Damit macht sie gewissermaßen darauf aufmerksam, dass unsere europäische Kultur bereits „von Anfang an multiethnisch war". Denn „Völkerwanderungen und Völkervermischungen durch Heirat von Menschen verschiedener Herkunft hat es immer schon gegeben"[ii]. Migration ist nichts Neues. Aber wieder einmal gilt es heutzutage für viele in unserem Land, ihre Identität nicht nur in der ethnischen Herkunft zu finden, sondern vor allem auch in der Öffnung auf die Universalität des Menschlichen.

Hoffnungsvoll

Porträt: Bischof Gerhard Feige predigendSchließlich verbinden wir Christen mit der Erinnerung an einen Menschen nicht nur dessen Vergänglichkeit und Wirkungsgeschichte. Manche von Ihnen kennen vielleicht den Kanon: „Der hat sein Leben am besten verbracht, der die meisten Menschen hat froh gemacht." Wie kommt man eigentlich dazu, so zu leben? Hat das mit den Genen zu tun, mit Erziehung oder gutem Willen? Und wie könnte das konkret aussehen? Die Seligpreisungen Jesu, die wir vorhin gehört haben, bieten dazu - auch wenn in ihnen Maßstäbe aufleuchten, die vielen zunächst rätselhaft erscheinen dürften - hilfreiche Anregungen.

Da werden diejenigen gepriesen, die sich nicht selbstherrlich und selbstgerecht in dieser Welt behaupten, sondern noch mehr erwarten, als nur oberflächliche Erfolge, Macht und Reichtum. Da werden diejenigen gepriesen, die unter dem unheilvollen Zustand der Welt leiden und empfindsam sind für alle Not und Ungerechtigkeit. Da werden diejenigen gepriesen, die sich um Versöhnung und Frieden mühen, die einfach und ehrlich zu leben versuchen und selbstlos anderen beistehen. Sie sollen schon jetzt Gottes Reich erfahren und einst himmlischen Lohn. Widersprechen natürliches Denken und tägliche Erfahrungen aber nicht solchen Lobsprüchen und Verheißungen? Wer - so heißt es - zu etwas kommen will, muss sich durchsetzen, muss gewissermaßen über Leichen gehen und darf sich keine Sentimentalitäten leisten. Wer rührselig wird, hat bereits verloren. Was aber aus einer solchen Haltung folgt, ist vielfach schon längst in unserer Gesellschaft abzulesen.

Wäre da die Welt der Seligpreisungen nicht eine menschlichere Alternative? Wer sich von Gott geliebt und beschenkt weiß, wer auf Ewigkeit setzt und mit einem weiten Horizont lebt, hat der nicht eine gute Voraussetzung dazu, entkrampfter oder sogar gelassener und hoffnungsvoller leben zu können? Dabei geht es Jesus mit seinen Seligpreisungen jedoch nicht in erster Linie um die tugendhaften Früchte eines solchen Lebens, sondern um das unbändige Vertrauen in Gottes Liebe, die allen Menschen gilt, der berühmten Königin wie der unbekannten Magd. Diese Liebe umfängt uns auch über den Tod hinaus. „Denn Gott hat" - wie es im Buch der Weisheit heißt (2,23) - „den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht". Für Gott ist jeder Mensch - ob reich oder arm, ob mächtig oder schwach - sein Ebenbild und damit einmalig, kostbar und zu einer Lebensfülle berufen, der der Tod nichts anhaben kann.

Und so sehen wir Christen in Editha nicht nur eine vorbildliche Person der Vergangenheit, sondern glauben, dass sie auch Zukunft und Gegenwart hat. Dankbar erinnern wir uns ihres irdischen Wirkens und feiern, dass Gottes Herrschaft auch in ihrem Leben aufgestrahlt ist. Zugleich vertrauen wir voller Zuversicht darauf, dass die Toten gleich welchen Standes und dereinst auch wir selbst in Gottes Liebe geborgen bleiben und das Leben in Fülle finden.

[i] Das Zitat ist eine Abwandlung des Wortes von Thomas von Kempen„O quam cito transit gloria mundi!" („Oh wie schnell vergeht der Ruhm der Welt!"), das vermutlich auf die Bibelstelle  1 Joh 2,17 zurückgeht: „Die Welt vergeht und ihre Begierde",Vulgata: „Mundus transit et concupiscentia eius" (2,17 Vul).  

[ii] Gerhard Ludwig Müller, Gelassenheit und Vorbild, in: FAZ Nr. 239 vom 14.10.2010, 10.

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