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Bischof Feige: Mehr Diener als Haupt

Gedanken zum Rücktritt des Papstes

VatikanwappenMagdeburg (pbm) - "Wie wird es weitergehen?" fragt Bischof Gerhard Feige am Ende seiner "Gedanken zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI." Mit seinen Notizen stellt Feige den Rücktritt des "Dieners der Diener Gottes" in eine Reihe fast vergessener Entscheidungen und Zeichen des Verzichts anderer Päpste des 20. Jahrhunderts. Auf jeden Fall, meint der Magdeburger Bischof und Vorsitzende der Ökumenekommission, sei zu hoffen, dass das Papstamt ganz im Sinn von Papst Benedikts Entweltlichung "noch mehr von manchem Ballast befreit wird und sich in Rückbesinnung auf das Wesentliche noch deutlicher am biblischen Petrusdienst ausrichtet". Im folgenden dokumentieren wir die Aufzeichnungen von Bischof Feige.

Ohne Zweifel ist auch für Katholiken Christus – und nicht der Papst – das eigentliche Haupt der Kirche. In mancher antikatholischen Polemik wurde und wird dies freilich anders gesehen. Ein besonders markantes Beispiel dafür habe ich vor Jahren einmal am Eingang eines orthodoxen Klosters in Osteuropa entdeckt. Dort war die Geschichte beziehungsweise Spaltung der Christenheit in Gestalt eines „Kirchenstammbaumes“ dargestellt. Während über dem geradlinig gewachsenen Stamm als Verkörperung der orthodoxen Kirche einzig und allein „Christus – Haupt der Kirche“ geschrieben stand, konnte man über einem abgebrochenen Ast als Bild für die „römisch-katholische Kirche“ zuoberst „Papst – Haupt der Kirche“ lesen, und erst darunter auch „Christus – Haupt der Kirche“. Sicher bezieht sich das auf entscheidende Äußerungen des I. Vatikanischen Konzils von 1870. Dort war ja die sogenannte Unfehlbarkeit des römischen Papstes und sein universaler Jurisdiktionsprimat definiert worden. In diesem Zusammenhang tauchen auch die Formulierungen „wahrer Stellvertreter Christi“ und „Haupt der ganzen Kirche“ auf (vgl. DH 3059). 

Autorität stieg seit 1870 enorm

Obwohl das Konzil den Papst nicht zu einem absoluten Monarchen gemacht und die Möglichkeit unfehlbarer Aussagen in Glaubens- und Sittenfragen formal und inhaltlich eng begrenzt hatte, stieg die Autorität des Papstes in der Folgezeit doch enorm an. Für viele Katholiken wurde er weltweit immer mehr zu einer emotionalen Symbolfigur ihrer kirchlichen Identität. In den letzten Jahrzehnten verstärkten die Ausweitung päpstlicher Reisen, das sich steigernde Medieninteresse und die Zunahme von Zentralisierung und Globalisierung diese Entwicklung noch. Angesichts fortschreitender Säkularisierung und Liberalisierung in Staat und Gesellschaft erscheint das Papsttum heutzutage auch manchen verunsicherten und besorgten Menschen, selbst solchen, die nicht der katholischen Kirche angehören, als ein bewundernswerter, fast mythischer „Fels in der Brandung“. Zudem meinen einige katholische Gruppen inzwischen, sich als besonders „papsttreu“ herausstellen zu müssen.

Benedikt XVI. und Bischof Dr. Gerhard Feige am 10. November 2006 beim Ad-limina-Besuch (Rechte: fotografiafelici.com 6314 --0092.jpg)

Adlimina-Besuch im Jahr 2006 | Foto: fotofelici

Und da tritt nun am 28. Februar 2013 ein Papst – was über Jahrhunderte undenkbar erschien – aus Altersgründen freiwillig zurück. Von „Tabu-Bruch“ ist in Stellungnahmen die Rede, auch, dass das Papsttum damit „entmythologisiert“, „desakralisiert“, „entzaubert“ oder „relativiert“ werde, beziehungsweise, dass es „ein Stück menschlicher geworden“ sei.

Interessanterweise ist eine solche Tendenz nicht völlig neu. Es gibt Ereignisse und Entwicklungen in der jüngeren Papstgeschichte, die ähnliches – aber vielleicht noch nicht so radikal – zum Ausdruck bringen und das Papsttum in einem anderen Licht erscheinen lassen, als es von vielen wahrgenommen oder aber erwünscht und verklärt wird. Das fängt schon damit an, dass die beim I. Vatikanischen Konzil formulierte Möglichkeit für den Papst, außerordentliche lehramtliche Entscheidungen „ex cathedra“  – d.h. höchst offiziell –  mit unfehlbarer Geltung fällen zu können, in den 143 Jahren seitdem nur ein einziges Mal in Anspruch genommen worden ist: 1950 durch Pius XII. bei der Verkündung des Dogmas von der Aufnahme Mariens in den Himmel. Dabei handelte es sich aber nicht etwa um eine eigenmächtige Neuerfindung, sondern vielmehr gewissermaßen um die Präzisierung einer biblisch begründeten und seit alters her verbreiteten Glaubensüberzeugung in Ost wie West. Durch das II. Vatikanische Konzil ist dann der Papst bei aller Hervorhebung seiner einzigartigen Bedeutung wieder mehr in das Kollegium der Bischöfe eingebunden worden. Schon für Johannes XXIII. war es ein Herzensanliegen, seinen Dienst mitbrüderlich und kollegial auszuüben; und alle Päpste danach haben sich mehr oder weniger in ähnlicher Weise darum bemüht. Als besonderes Zeichen dafür verdient zum Beispiel Beachtung, dass Paul VI. 1964 seine Tiara, die traditionelle päpstliche Krone, verschenkte und fortan wie alle Bischöfe die Mitra trug. Auch seine Nachfolger blieben bei dieser Praxis. Bis zu Johannes Paul II. wurde die Tiara zwar weiterhin noch im persönlichen Wappen geführt, durch Benedikt XVI. aber schließlich auch darin durch eine Mitra ersetzt. Außerdem sei daran erinnert, dass Paul VI. 1975 einmal in eindrucksvoller Weise vor dem Vertreter des Ökumenischen Patriarchen, dem  Metropoliten Meliton, niedergekniet ist und ihm die Füße geküsst hat. Die Kurie war äußerst irritiert. Von orthodoxer Seite jedoch erklärte Patriarch Dimitrios I. einige Zeit später: „Diese große Tat … kennzeichnen wir als Fortsetzung der Tradition …  jener Väter der ungeteilten Kirche, die mit ihrer Demut Dinge von höchstem Rang aufgebaut haben. Mit dieser öffentlichen Tat hat sich unser hochverehrter … Bruder … selbst übertroffen … Er hat der Kirche und der Welt gezeigt, was ein christlicher Bischof ist und sein kann, vor allem der erste Bischof der Christenheit: eine Kraft der Versöhnung und der Einigung für Kirche und Welt.“ 

Tiefgreifender Wandel seit dem Vaticanum II

Als Johannes Paul II. 1986 erstmalig Vertreter aller christlichen Konfessionen und anderen Religionen zu einem Friedensgebetstreffen nach Assisi einlud, reihte sich dies in die neue päpstliche Linie ein, nicht irgendetwas beherrschen zu wollen, sondern sich anregend und moderierend einzubringen. 2002 hat er dies wiederholt, und 2011 ist diese historische Geste auch von Benedikt XVI. erneut aufgegriffen worden. 1995 präsentierte Johannes Paul II. in seiner Ökumene-Enzyklika „Ut unum sint“ (Nr. 95) noch eine weitere Überraschung. Darin rief er die Verantwortlichen der anderen Kirchen und ihre Theologen dazu auf, mit ihm „einen brüderlichen, geduldigen Dialog aufzunehmen“, um „eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet“. Dabei sollte man einzig und allein den Willen Christi für seine Kirche im Sinn haben. Auch diese Initiative, über Begründung und Gestaltung des Petrusdienstes ernsthaft ins Gespräch zu kommen, verdeutlicht einen tiefgreifenden Wandel im päpstlichen Selbstverständnis seit dem II. Vatikanischen Konzil. Und schließlich ist in dieser Hinsicht noch bezeichnend, dass Johannes Paul II. am 12. März 2000 – nicht unumstritten – die Verfehlungen aller Glieder der Kirche, der Hirten wie der anderen Gläubigen, durch die Jahrhunderte hindurch bis in die Gegenwart hinein öffentlich anerkannt und um Vergebung der Schuld gebeten hat.

Auch Benedikt XVI. war kein „Kirchenfürst“, sondern ein geistlicher „Brückenbauer“, der sich mit seinen Kräften und Fähigkeiten feinsinnig und intelligent für die Verkündigung des Evangeliums, die Einheit der Kirche und den Dialog mit der Welt eingesetzt hat. „Diener der Diener Gottes“ zu sein, wie der „vornehmste“ aller Papsttitel lautet, ist ihm ein tiefes Anliegen gewesen. Dem entspricht auch, wenn er sich selbst als „einfacher und bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn“ bezeichnet hat. Sein jetziger „Verzicht auf die Macht“ bestätigt dies noch einmal auf ganz ungewöhnliche Weise, löst zugleich aber auch viele Fragen aus. Wie wird es weitergehen? Auf jeden Fall ist zu hoffen und zu wünschen, dass das Papstamt – im Sinne der von Benedikt XVI. ins Gespräch gebrachten „Entweltlichung“ – noch mehr von manchem Ballast befreit wird und sich in Rückbesinnung auf das Wesentliche noch deutlicher am biblischen Petrusdienst ausrichtet. Das aber könnte und sollte auch Folgen für die ganze katholische Kirche und ihre ökumenischen Beziehungen haben. 

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