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Brief an die Gemeinden und Einrichtungen

Bischof Dr. Gerhard Feige informiert die Gläubigen über den aktuellen Stand der Aufarbeitung im Bistum Magdeburg und bittet um Unterstützung

Liebe Schwestern und Brüder in den Pfarreien und Einrichtungen unseres Bistums,

nach der Veröffentlichung des wissenschaftlichen Gutachtens des Erzbistums München zum sexuellen Missbrauch brodelt es in unserer Kirche und in der ganzen Gesellschaft noch mehr als zuvor. Es ist unglaublich, was sich in unseren eigenen Reihen abgespielt hat. Immer offensichtlicher wird, wie Kirche das Evangelium verraten und Menschen schwersten Schaden zugefügt hat, wie das gesamte System und die kirchlichen Rahmenbedingungen, aber auch Täter und Vertuscher großes Unheil angerichtet haben. Wir können das Geschehene nicht rückgängig machen und das Leiden der Betroffenen nicht wegnehmen, aber ich sehe mich und die gesamte Bistumsleitung in der Verantwortung, Strukturen und Rahmenbedingungen, die den Missbrauch begünstigen, zu erkennen und Maßnahmen zur Veränderung einzuleiten. Am 2. Februar 2022 habe ich in einer Pressekonferenz über den aktuellen Stand der Aufarbeitung von Fällen sexueller Gewalt an Minderjährigen und erwachsenen Schutzbefohlenen durch Kleriker und andere kirchliche Mitarbeiter in unserem Bistum informiert. Das mediale Echo darauf in Radio, Fernsehen und Zeitungen haben viele von Ihnen sicher wahrgenommen. Die konkreten Fakten können Sie auch auf der Homepage unseres Bistums (www.bistum-magdeburg.de) nachlesen.

Mit diesem Schreiben nun möchte ich einige wichtige bisherige Erkenntnisse zusammenfassen sowie darüber berichten, was wir in unserem Bistum zur Aufarbeitung dieser Straftaten getan haben und tun werden. Zugleich möchte ich um Ihre Unterstützung bitten.

Was wissen wir derzeit bezüglich sexueller Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und erwachsene Schutzbefohlene auf dem Gebiet des heutigen Bistums Magdeburg?

Seit 1946 bis heute sind solche Straftaten von 13 Priestern bekannt geworden. Wir wissen von 23 Männern und Frauen, die Opfer dieser Verbrechen wurden. In den Personalakten des Bischöflichen Ordinariats konnten keine konkreten Hinweise auf diese Straftaten gefunden werden. Bekannt geworden sind diese Fälle ausnahmslos durch die Betroffenen, die sie angezeigt haben. Zwölf der beschuldigten Priester sind zum Teil schon vor vielen Jahren verstorben. Der einzig lebende Priester darf seit Bekanntwerden der Vorwürfe keine priesterlichen Aufgaben mehr wahrnehmen und war nach Abschluss der kirchenrechtlichen Untersuchungen bis zu seinem Renteneintritt mit Verwaltungstätigkeiten befasst. Ein strafrechtliches Verfahren konnte aufgrund der abgelaufenen gesetzlichen Verjährungsfrist nicht mehr aufgenommen werden.

Alle im Bistum aufgetretenen Fälle mit noch lebenden Tatverdächtigen wurden seit 1994 den Ermittlungsbehörden vorgelegt.

Zu den erwähnten 13 Priestern kommen weitere drei Priester hinzu, die sich durch Kinder- bzw. Jugendpornographie strafbar gemacht haben und dafür straf- und
kirchenrechtlich belangt wurden.

In den vergangenen 15 Jahren sind darüber hinaus zehn Fälle bekannt geworden, in denen angestellte Mitarbeiter in verschiedenen Einrichtungen elf Kindern, Jugendlichen oder erwachsenen Schutzbefohlenen sexuelle Gewalt angetan haben. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben wurden diese den zuständigen Behörden gemeldet. Darüber hinaus wurden die notwendigen arbeitsrechtlichen Konsequenzen gezogen.

Was wurde in unserem Bistum bisher zur Aufarbeitung dieser Straftaten getan?

Bereits im Jahr 2002 hat Bischof Leo Nowak eine Kommission zur Prüfung von Fällen sexuellen Missbrauchs gegründet. Diese Kommission besteht aus Männern und Frauen verschiedener Konfessionen und verschiedener Professionen. Die Mitglieder der Kommission stehen in keinem Dienstverhältnis mit dem Bistum und nehmen ihre Tätigkeit ehrenamtlich wahr. Ihre Aufgabe ist es, den Betroffenen, die sich melden, das Gespräch anzubieten und die Verdachtsfälle zu prüfen. Darüber hinaus beraten sie mich und meine Mitarbeiter bezüglich des Umgangs mit den verdächtigten Personen und bezüglich der einzuleitenden straf- und kirchenrechtlichen Verfahren.

Das Bistum hat bis 2020 40.000,00 € an vier betroffene Frauen und Männer in Anerkennung ihres Leids gezahlt. Seit dem Januar 2021 wurden zehn weitere Anträge auf Anerkennungsleistungen gestellt. Davon wurden vier Anträge von der unabhängigen Kommission der Bischofskonferenz in Bonn bereits entschieden. Zwei Betroffenen wurden 35.000,00 € bzw. 30.000,00 € gezahlt. Zwei Anträge wurden aufgrund fehlender Plausibilität abgelehnt. Sechs Anträge sind noch in Bearbeitung. Insgesamt hat das Bistum bisher 105.000,00 € gezahlt. Ich weiß, dass dieses Geld das Leid, das diesen Menschen angetan wurde, nicht gut machen kann, hoffe aber, dass es ein weiteres Zeichen dafür ist, dass wir ihr Leid sehr ernstnehmen.

Seit dem Jahr 2010 mühen wir uns intensiv um die Prävention von sexueller Gewalt in unserem Bistum. Die Stelle einer Präventionsbeauftragten wurde geschaffen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen arbeiten, müssen alle fünf Jahre ein aktuelles erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und sind zudem verpflichtet, regelmäßig an entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Die Pfarreien und Einrichtungen mussten ein institutionelles Schutzkonzept erarbeiten, in dem sie ihre Maßnahmen zur Prävention sexueller Gewalt verbindlich beschrieben haben.

Was muss weiterhin noch getan werden?

Wir können leider nicht davon ausgehen, dass wir bereits alle Fälle sexueller Gewalt auf dem Gebiet unseres Bistums kennen. Ja, wir müssen sogar davon ausgehen, dass es in unseren Gemeinden weitere betroffene Männer und Frauen gib, die noch nicht über das Leid, das ihnen angetan wurde, sprechen wollten oder konnten. Deshalb wird auch die Kommission zur Prüfung von Verdachtsfällen weiterhin tätig bleiben, um Betroffene, die sich künftig melden, zu begleiten.

Betroffene, die von ihrem Leid berichten wollen, biete ich an, sich an Herrn Dr. Nikolaus Särchen oder ein anderes Mitglied der Kommission zur Prüfung von Verdachtsfällen, zu wenden. Selbstverständlich stehen auch ich, Generalvikar Dr. Bernhard Scholz oder Ordinariatsrat Thomas Kriesel für entsprechende vertrauliche Gespräche bereit. Alle Email-Adressen und Telefonnummern finden Sie auf unserer Homepage.

Neben der Prüfung von Einzelfällen und der Begleitung der betroffenen Frauen und Männer, kommt nun zunehmend die Frage nach den systemischen Faktoren in den Blick, die diese schrecklichen Straftaten ermöglicht, den sachgerechten Umgang mit ihnen behindert und damit das Leid der Betroffenen noch vermehrt haben. Um diese Frage zu klären, hat sich Anfang Oktober des vergangenen Jahres eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Bistum Magdeburg konstituiert. Ihr gehören Herr Wolfgang Stein, Herr Winfried Schubert und Herr Werner Theisen an. Diese drei Mitglieder wurden von Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff vorgeschlagen. Ebenso gehören ihr an Frau Cathrin Kubrat, die vom Katholikenrat unseres Bistums vorgeschlagen wurde, und Frau Eva Kubitza, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Merseburg.

Trotz intensiven Bemühens ist es bisher nicht gelungen, einen Betroffenenbeirat ins Leben zu rufen und zwei Betroffene sexueller Gewalt auf dem Gebiet des Bistums Magdeburg zur Mitarbeit in dieser Kommission zu gewinnen. Eine sinnvolle Aufarbeitung dieser Straftaten ist aber nur mit den konkreten Erfahrungen von Betroffenen sinnvoll. Ohne ihr Erfahrungswissen kann Aufarbeitung nicht gelingen. Deshalb bitte ich Männer und Frauen, die auf dem Gebiet des Bistums Magdeburg sexuelle Gewalt durch Kleriker und andere kirchliche Mitarbeiter erfahren haben und die sich vorstellen können, in der Aufarbeitungskommission mitzuarbeiten, sich zu melden. Sie können sich per Email oder Telefon direkt an die Aufarbeitungskommission wenden (Email: betroffene@aufarbeitung-im-bistum-magdeburg.de; Tel.: 0391 / 99 04 70 45). Ihre Angaben werden selbstverständlich vertraulich behandelt. Notwendige Informationen finden Sie auf der Webseite unseres Bistums unter www.bistum-magdeburg.de/aufarbeitung.

Liebe Schwestern und Brüder, wir können das Geschehene nicht rückgängig machen und das Leiden der Betroffenen nicht wegnehmen, aber wir können Strukturen und Rahmenbedingungen ändern. Bitte unterstützen Sie uns dabei durch ihr Gebet und indem Sie Betroffenen, mit denen Sie ins Gespräch kommen, zuhören und sie auf die Möglichkeiten zur Aufarbeitung dieses Unrechts hinweisen. Achten Sie auch selbst darauf, dass solcher Missbrauch künftig verhindert wird, und schweigen Sie nicht, wenn Sie irgendeinen Verdacht schöpfen!

Mit der Bitte um Gottes Segen

Dr. Gerhard Feige

     Bischof

Alle Informationen finden Sie unter:

 www.bistum-magdeburg.de/aufarbeitung

Telefon der Aufarbeitungskommission:
0391 99 04 70 45

Email der Aufarbeitungskommission:
betroffene@aufarbeitung-im-bistum-magdeburg.de

Aktualisierte Fassung des Briefes von Bischof Dr. Gerhard Feige zum Download vom 23. März 2022 mit aktualisierten Zahlen der Anträge zur Anerkennung des Leids

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