angeschaut

Neue Geistliche Musik in Bewegung

„Heute war etwas anders“, sagen die einen nach dem Sonntagsgottesdienst, weil ihre Gottesdienstvorsteher die ihnen bekannte Form geändert haben (und sei es nur die Länge der Predigt). „Heute war etwas anders“, sagen andere, weil sie im Gottesdienst etwas Ungewohntes – vielleicht auch aus dem Munde von ungewohnten Menschen – hörten, das ihnen „in ihrer eigenen Sprache durchs Herz ging“ (Apg 2,11 und 37).
Wenn Gottesdienstbesucher so sprechen, haben sie etwas Bewegendes erlebt, standen im Gottesdienst Menschen mit einem Anliegen im Mittelpunkt, das berührte: Kinder oder Kolpingfamilien, Hochzeitspaare oder Trauernde, Firmlinge oder goldene Firmanden.
Oder es musizierte die Dekaband! – und Jung und Alt, Vertrautere und Fernere hatten ihre Lieder freudig mitgesungen.
 
Mit der Gestaltung der Feierlichkeiten zur Bistumsgründung im Oktober 1994 auf dem Domplatz in Magdeburg war diese Band, damals schon 15 Jahre alt, durchgestartet: Sie brachte ein Musical auf die Bühne (Er-Schöpfung), nahm eigene neue geistliche Lieder auf (Zeit wird’s), gründete einen Förderverein für christliche Popularmusik im Bistum (ConTakt Musik e.V.) und bekam für ihre langjährigen umfänglichen Aktivitäten 2004 die Musica-Sacra-Ehrenplakette des Diözesancäcilienverbandes.
 
Und trotzdem: Im Mai dieses Jahres feierte die Band ein großes Abschiedsfest. Gemeinsam setzten ihre Musikerinnen und Musiker nach vierzig Jahren „einen offiziellen Schlusspunkt“, weil die Band „ohne die Rückbindung an die Jugend“ und ohne Nachfrage von Gemeinden „ihrem Ursprungsgedanken nach nicht mehr gebraucht wird“, so hieß es in der Einladung.

 
Das verstörte einige, waren in der Band doch über vierzig Musikerinnen und Musiker (in rund sechs aufeinander folgenden Generationen bzw. Formationen) aktiv gewesen. Und hatte die Band doch sogar schon beim großen St.-Norbert-Jubiläum in Magdeburg 1980 und bei der ersten großen Wallfahrt in der Demokratie im September 1990 musiziert… Die derzeit aktiven Musikerinnen und Musiker der Dekaband aber hatten verstanden, dass auch eine neue Form bei fehlendem Bedarf nicht weiterleben kann.

Denn tatsächlich hat sich seit der Bistumsgründung einiges verändert: Vielen Gottesdienstbesuchern reicht es zwar immer noch aus, nur zuzuhören. Aber es mehren sich diejenigen, die mitsingen und ihrer eigenen Stimme Raum geben wollen. Vielen jüngeren wie älteren Musikerinnen und Musikern in der Kirche reicht es weiterhin, etwas vorzutragen. Aber es gibt auch die, deren Musik Gemeinschaft stiftet, durchs Herz geht, die Seelen anrührt und zum Lobe Gottes erhebt.
So wie es die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums beschrieben hat: „Kirchenmusik – mit dem Wort verbundener Gesang – ist notwendiges Element des Gottesdienstes und dient wie die ganze Liturgie der Ehre Gottes und der Heiligung der Menschen.“ Und: „Des Gottesdienstes vornehmste Form ist die gesungene, an der das Volk tätig teilnimmt.“ (Sacrosanctum Concilium 112-113). Ähnlich formuliert das Dokument "Das Leben feiern" des Pastoralen Zukunftsgesprächs im Bistum Magdeburg die Aufgabe der Kirchenmusik: „Gesang und Instrumental-Musik sprechen Menschen ganzheitlich an und bieten ihnen eine besondere Weise der Beteiligung am Geschehen.“ (Um Gottes und der Menschen willen – den Aufbruch wagen, S. 71).
 
Viele Menschen und ihre geistliche Musikalität haben sich verändert (eine Musikalität, die Max Weber für sich abgelehnt, Jürgen Habermas im Gespräch mit Kardinal Ratzinger 2004 von der Kirche gefordert und Eberhardt Tiefensee für die Kirche erhofft hatte).

Und auch die Dekaband hat sich – trotz ihres rauschenden Abschlussfestes – verwandelt: Ihr Kind, der bistumsweit agierende Förderverein für christliche Popularmusik ConTakt Musik e.V., bringt seit seiner Gründung vor 20 Jahren jährlich eine Bistums-CD mit neuer geistlicher Musik heraus – und begeistert immer neue Menschen mitzuwirken und sich über geistliche Lieder kreativ Gedanken zu machen. Jahr für Jahr bringt der Verein neue junge Erwachsene zusammen, um gemeinsam Gospels, Spirituals und christliche Rocksongs zu singen. Und stärkt alle Personen und Gruppen, die in Gemeinden Neue Geistliche Musik machen wollen. Seit den 2000er-Jahren erarbeitete ConTakt mit mittlerweile weit über einhundert Mitwirkenden die Songs der Jugend zum Dreifaltigkeitssonntag. Damit hat sich das Bistum über seine Grenzen hinaus einen Namen gemacht. ConTakt vergisst vor lauter Engagement immer wieder, seine Jubiläen zu feiern. Der Verein gewinnt immer mehr Mitwirkende. Und lässt so die Dekaband weiterleben…
 
Hatten sich die einen – die Mitglieder der Dekaband – an eine spezifische Zielgruppe und an Kirchengemeinden gebunden, integrieren die anderen nun viele verschiedene Menschen. Hatten die einen eine spezifische Form der Verkündigung entwickelt, sind es die anderen, die aus dieser Form nun etwas Bewegendes machen, das zum Mitdenken und Mittun auffordert. Verstanden sich die einen als Vertreterinnen und Botschafter, haben die anderen – jenseits der Form der Neuen Geistlichen Musik – mittlerweile einen neuen Raum entstehen lassen: Einen Raum der Beteiligten, die nicht nur zuhören, sondern sich auch auszudrücken vermögen.
 
Einen Raum, in dem immer wieder Mitwirkende, Mitverantwortliche und Mitverkünder nachwachsen und zu Vorausgehenden, Verantwortlichen und Verkünderinnen werden. Und bewegen.

 
Dr. Peter-Georg Albrecht
ConTakt e.V. - Verein zur Förderung christlicher Popularmusik feiert seinen 20. Geburtstag. Konzert und CD-Releaseparty am 16.11.19 in Halle.
Peter-Georg Albrecht
ist 1972 in Quedlinburg geboren. Er studierte Soziale Arbeit, promovierte in Politikwissenschaft und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er engagiert sich ehrenamtlich für die Katholische Erwachsenen-bildung und für Neue Geistliche Musik im Bistum Magdeburg.
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MOMENT. Pastoral-Magazin aus dem Bistum Magdeburg.

Herausgeber: Fachbereich Pastoral in Kirche und Gesellschaft
im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg
(Ausgabe August 2019)

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Titelbild "Noten": ©
Andreas Blume;
Bild "Band": © Andreas Blume;
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