Essay

Orts(gebundene) Kirche

Als vor 25 Jahren die Bistümer Erfurt, Görlitz und auch Magdeburg neu gegründet wurden, haben nicht wenige ihre Freude darüber ausgedrückt. Freude – konnte doch katholisches Leben jetzt nicht mehr in einer provisorischen Form von Bischöflichen Ämtern, sondern in richtigen Bistümern Gestalt finden. Freude – weil nach einer langen Zeit in einer unfreien Gesellschaft mit der Wende Glauben ganz in der Öffentlichkeit möglich wurde.

In den Klang der Freude mischten sich auch Töne der Skepsis: Werden diese neuen Bistümer bestehen können? Katholiken fühlten sich an vielen Orten im Osten bereits vor 25 Jahren in der Minderheit – wobei die tatsächliche Kleinheit noch nicht bewusst war. Werden den neuen Bistümern ausreichend Berufungen geschenkt werden, um in einer vitalen Weise Kirche zu sein? Und: Wird eine finanzielle Unabhängigkeit von den Mutterdiözesen möglich sein?

So gesehen gab es mit dem Ende des kirchlichen Provisoriums im Osten Deutschlands eine Alternative zu Neugründungen: in einen alten Status zurückzukehren. Für das Kirchengebiet von Magdeburg hätte dies bedeutet, wieder Teil im Erzbistum Paderborn zu werden.

Im Jahr 2019 nun wird der eine oder die andere die skeptischen Fragen wieder neu stellen. Hinter dem Bistum Magdeburg liegen nun 25 Jahre eigener Entwicklung und eigenen Weges … und eigener Herausforderungen. Sollte das kleine Bistum nicht in einem größeren Ganzen aufgehen? Wäre Kirche so vielleicht besser zu organisieren?

Wenn wir so fragen, dann bleibt die Perspektive vermutlich auf uns beschränkt. Die Frage nach dem Sinn oder der Unangemessenheit eines katholischen Bistums hier in Mitteldeutschland verharrt so ganz in einem inneren Blickwinkel. Sollten wir die Frage nach dem Sinn, dem Grund und dem Ziel nicht auch in eine andere Richtung stellen? Letztlich sind ja das Bistum Magdeburg und die anderen Bistümer Kirche Christi mitten in einem sehr konkreten Landstrich, mitten in einer sehr konkreten Gesellschaft, mitten unter einem sehr konkret bestimmten Kreis von Mitmenschen.

Könnte es uns gut tun, bei der Frage nach dem Sinn, dem Grund und dem Ziel den einen oder anderen Fingerzeig aus unserem Umfeld aufzunehmen, zu befragen und Konsequenzen für ein Kirche-sein in Mitteldeutschland zu ziehen? Mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils gesprochen: die Zeichen der Zeit wahrzunehmen und im Licht des Evangeliums zu deuten (GS 4 bzw. 11). Dies kann uns vielleicht einen Hinweis dafür geben, warum ein Bistum Magdeburg heute nach 25 Jahren sinnvoll und auch auf Zukunft hin seinen Platz, seine Sendung hat.

Im Mai veröffentliche die Band Silbermond mit dem Lied „Mein Osten“ ein Statement, in dem sie eine Stimmungslage beschrieb, die sie in ihrer Heimatstadt ausmachte. In einer völlig religionsfreien Weise klangen einige Zeichen der Zeit an, die Musiker aufnahmen und poetisch verarbeiteten. Die Mitglieder von Silbermond stammen aus Bautzen und Umgebung. Mag der Text auch durch die konkreten Erfahrungen aus der Oberlausitz gespeist sein, so steht er wohl der Sache nach für manche Themen, die uns zwischen Salzwedel und Zeitz, zwischen Wernigerode und Lauchhammer – das sind die Dimensionen unseres Bistums – möglicherweise  bekannt vorkommen.
Video "Mein Osten" von Silbermond
In dem Lied markieren die Songwriter im Blick auf Ihre Heimat manche Spannungen. Ausgehend von den „traurigen Bildern“ aus der Stadt Bautzen kommen Wut und Aushalten zur Sprache:
 
Ich kenn' dich, kenn' dich gut
Mein Osten, mein Osten
Versteh zum Teil auch deine Wut
Mein Osten, mein Osten
Aufgeben, nicht deine Art
Und nicht komplett im Arsch
Mein Osten.

Hier ist die Rede von „Rissen die durch die Familien“ und „durch die Menschen selbst gehen“. Der Song spricht von Problemen, die nicht mit dem „Mittelfinger“ und den „Ideen von 1933“ zu lösen sind. Zugleich:
 
Werden reden müssen, streiten
Um Kompromisse ringen müssen und so weiter.

Immer wieder steht eine Würdigung an die Menschen, die Gegenden, die Orte, aus denen die Songwriter stammen.
 
Ich kenn' dich, kenn' dich gut
Mein Osten, mein Osten
An deiner Schönheit kratzt die Wut
Mein Osten, mein Osten

Meine Wurzeln, mein Revier
Mein Osten, mein Osten
Hab' Bescheidenheit von dir
Mein Osten, ich steh' zu dir
 
Ich vergess' nicht, wo ich herkomm'
Vergess' nicht, wo ich herkomm'
Ich vergess' nicht, wo ich herkomm'
Vergess' nicht
Ich kenn' doch dein' freundlichen Blick
Mein Osten, mein Osten
Ruppig, herzlich, wie du bist
Mein Osten, mein Osten.

 
Am Ende dann – und so empfinden es vermutlich die Musiker aus Bautzen – findet sich ein Wort der Hoffnung. Es geht weiter:
 
Wir kriegen irgendwas hin
Dass deine Ängste nicht gewinnen
Mein Osten.
 
Wenn wir nun nach einer Sendung fragen, die einer Kirche von Magdeburg ihren Sinn verleiht: Sie liegt auch darin, einer Gesellschaft – die gespalten ist – mit kleinen, wohl oft machtlosen Schritten zu helfen, ihren Zusammenhang wiederzufinden und zu bewahren. Spricht doch der Anfang des Konzilstextes über die Kirche „Lumen gentium“ recht schlicht und klar, dass die Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament bzw. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts“ sei (LG 1). Damit legt sich eine Richtung für die Sendung einer Kirche hier im Mitteldeutschland dieser Tage offen. Es scheint darum zu gehen, Menschen zu helfen, jene „Risse“ zu überwinden, von denen das Lied sprach, zu ermöglichen, „Wut“ aussprechen, um sie dann ablegen zu können. Manchmal wird es nötig sein, Einzelnen Mut und Wertschätzung zuzusprechen. Und dann der Blick, dass es weiter geht … damit Menschen hier gut miteinander leben können: Ein Einheitsdienst, der die Alten wie die Neuen zu verbinden weiß.

Und dieser Dienst kann gut gelingen, wenn eine Kirche – deren großer Vorzug ihre Katholizität ist – zur konkreten, ortsgebundenen Kirche, zur Ortskirche wird. Das Allgemeine darf und muss konkret werden. Eine Gemeinschaft von Christen darf nicht der Versuchung erliegen, sich im Allgemeinen zu verlieren. Die Fragen und die Themen liegen buchstäblich vor uns auf der Straße. Sie wollen mit Gottes Hilfe und Auftrag entgegengenommen werden. Solche Konkretisierungen aber müssen wir vermutlich allzu oft erst einüben.

Dieser Bezug einer Kirche auf das Konkrete in einer Region, an einem Ort, in einer Gemeinschaft ist ein guter Grund. Darum ist es heute genauso richtig wie vor 25 Jahren, dass es die konkreten Ortskirchen hier in Mitteldeutschland gibt. Ortskirchen, die kundig sind und ehrlich sagen können:
Ich kenn' dich, kenn' dich gut, mein Osten, mein Osten.

 
Thomas Pogoda
Fachakademiedirektor
Thomas Pogoda
ist 1977 geboren, wuchs in Quedlinburg auf und arbeitet seit 2003 als Gemeindereferent im Bistum Magdeburg. Seit 2016 ist er Direktor der Fachakademie für Gemeindepastoral und hier u.a. Leiter der gemeinsamen Diakonenausbildung der (Erz)Bistümer Berlin, Dresden, Görlitz und Magdeburg. 2018 schloss er ein Promotionsstudium an der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt ab. Die Doktorarbeit im Fach Dogmatik befasst sich mit der Arbeit der Vorbereitungskommission des Zweiten Vatikanischen Konzil.
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MOMENT. Pastoral-Magazin aus dem Bistum Magdeburg.

Herausgeber: Fachbereich Pastoral in Kirche und Gesellschaft
im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg
(Ausgabe August 2019)

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