Essay

Katholisch ist ein wunderbarer Begriff, der auch manchmal missverstanden wird.

„Multikulti“ ist katholisch! 


Es geschah eines Morgens in Jerusalem. Einige Menschen machen eine unglaubliche Erfahrung: Der Geist Gottes erfüllt sie und sie finden die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Ägypter, Griechinnen, Menschen aus Libyen und aus Rom und die, die Jesus aus Nazareth erlebt und von ihm gelernt hatten, machen die Erfahrung, dass es etwas gibt, was alle Menschen aus den verschiedenen Völkern verbindet. Der Evangelist Lukas zeichnet am Anfang der Apostelgeschichte ein Bild mit starker Aussage: Es gibt ein großes Verstehen zwischen den Menschen. Pfingsten wird zum Gegenbild einer Welt, die sich nicht verstehen kann, weil nach einem grandios gescheiterten Turmbau Sprachverwirrung Einzug gehalten hat. Eine Botschaft vom Anfang der Kirche ist: Es gibt zwischen den vielen Menschen eine Verbindung und die Kirche ist dieser Verbindung zu Diensten.

Zum Wesen dieser Kirche gehört ein Bezug zu einer Welt in ihrer ganzen Vielfalt. Und mit dem Attribut katholisch tragen wir diesen Wesenszug auch in unserem Namen. Es ist ein großartiges Wort. Denn es steht für „Weltweite“. Es denkt diese Weite in einem Bezug auf alle Menschen, egal welcher Herkunft sie sind. Katholisch heißt hier Annahme - Annahme, die darin begründet ist, dass Gott sich den Menschen zuwendet, ja, dass Gott selbst zu einem Menschen wird. Zugleich ist katholisch auch ein zutiefst missverstandener Begriff. Gebrauchen wir ihn ja allzu oft als die Bezeichnung einer ganz bestimmten Erscheinungsform des christlichen Bekenntnisses, die römisch-katholisch geprägt an ein christliches Abendland denkt. Doch diese enge Verwendung wird der weiten Bedeutung des Wortes katholisch nicht gerecht.
 

Weltweite

 
Gerade wir Menschen in Mitteldeutschland erleben hier eine Veränderung, weil in unserer Gesellschaft „Weltweite“ eine immer größere Bedeutung gewinnt. Das Projekt Europa führt immer mehr Menschen anderer europäischer Nationen nach Mitteldeutschland, weil sie hier Arbeit suchen und finden. Die Konflikte und Not anderer Kontinente verschlagen Menschen in dieses Land, weil sie Sicherheit oder einfach nur ein glückliches Leben suchen. Bei einem Spaziergang durch die Städte Mitteldeutschlands können wir sehr deutlich wahrnehmen, dass unsere Gesellschaft vielfältiger und  bunter wird.

Aus welchem Grund die Menschen auch immer nach Mitteldeutschland kommen, sie bringen alle ein Stück ihrer Herkunft mit. Sie sind geprägt durch ihre kulturellen, religiösen und aus ihrem Leben gewonnenen Erfahrungen. Diese unterscheiden sich - wohl meistens -  von unserer Erfahrungswelt und in vielem sind sie uns einfach fremd.

Fremdheit jedoch verunsichert und es ist nur allzu menschlich, dass wir dazu neigen, uns lieber in vertrautem Terrain zu bewegen. Sich Fremdheit zu erschließen und die Lebenswelt anderer Menschen in Begegnung vertraut zu machen, ist eine Herausforderung, die manche vielleicht auch überfordert. In unserer Gesellschaft zeigt sich diese Unsicherheit gerade dort, wo Menschen das subjektive Gefühl haben, es gebe zu viele Fremde oder Fremdes in ihrem Umfeld. Ereignisse wie PEGIDA, LEGIDA oder MAGDIDA, wie Tröglitz, Freital und Heidenau sind Ausdruck dieser Empfindungen. Die Anwesenheit von Menschen aus anderen Nationen wird, so ja eine verbale Spitze, als Gefährdung des (christlichen) Abendlandes verstanden. Und – dies ist eine Tragik – es führt bei einigen Mitmenschen zu Ablehnung oder auch Gewalttätigkeiten gegenüber dem Fremden.
 

Wir werden katholischer


Doch unsere Gesellschaft ist vielfältig. Selbst das kleine Bistum Magdeburg spiegelt diese Vielfalt unserer Gesellschaft wider. Unter den gut 85.000 Katholiken leben ca. 7.000 Christ|innen anderer Nationalität. Insgesamt sind mehr als 120 verschiedene Staatsangehörigkeiten vertreten. Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren vermutlich fortsetzen, so dass die Zusammensetzung unserer Kirche internationaler werden wird. Und man kann hinzufügen: katholischer! Wir dürfen uns vor Augen halten, dass die Vielfalt der Menschen in ihren unterschiedlichen Prägungen ein Wesensmerkmal unserer Kirche ist. Eine Vielfalt der Kulturen begleitet das Christentum vom Anfang seiner Geschichte an und es ist der tiefste Ausdruck seiner Katholizität. Als katholisch erweist sich Kirche gerade dort, wo sie in der Lage ist, die Vielfalt der Menschen in Einheit zusammenzuführen. Ein Sinn von Kirche ist es ja, so das Zweite Vatikanische Konzil, der „Einheit des ganzen Menschengeschlechts“ zu dienen. Die Vielfalt der Nationalitäten und Kulturen, die unsere Ortskirche mehr und mehr ausmachen (zumindest im Rahmen einer Statistik), wird zu einem Modell dafür, wie ein Dienst einer katholischen Kirche in und für Mitteldeutschland aussehen könnte. „Multikulti“ ist gewissermaßen katholisch.

Gerade in unserem Wesenszug katholisch liegt eine tiefe Wurzel für ein Engagement für Fremde in unserem Land. Katholisch-sein bedeutet immer auch, unser eigenes Dasein in Beziehung zu anderen zu sehen, selbst wenn wir aus unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Religionen stammen. Die Bezeichnung katholisch, die wir im Namen tragen und die wir persönlich auf unserer Steuerkarte vermerken lassen, lädt uns ein, nein, nimmt uns eigentlich in die Pflicht, mitzuwirken, dass Einheit unter den Menschen wachsen kann. Wachsen gerade auch im Raum der Gesellschaft, deren Teil wir sind.


Gemeinsam lernen


Katholisch-sein bedeutet in diesem Fall eben nicht die Orientierung an einer bestimmten kulturellen Form des (kirchlichen) Lebens, so sehr wir selbst auch dazu neigen. Katholisch-sein bedeutet so gesehen Offenheit für Vielfalt, Verschiedenheit, Unterschiedlichkeit und damit verbunden den Auftrag, den darin liegenden Verbindungen zu dienen. So gesehen kann ein katholischer Weg in den Veränderungen, die wir in unserem Land erleben, vermutlich nur darin liegen, Internationalität willkommen zu heißen und gemeinsam mit Partnern in unserer Gesellschaft den Beziehungen der einzelnen Menschen zu dienen. Es kann bedeuten, sichere Räume und Plätze des Austausches zu schaffen. Es kann bedeuten, bewusst auf Fremde zuzugehen und neugierig zu sein. Es kann bedeuten, Gastfreundschaft zu üben. Es kann bedeuten, gemeinsames Lernen und auch Heimat zu ermöglichen.

Vielleicht ist es so, dass wir, die wir vor allem in unseren Gemeinden unser Christsein leben, die Erfahrung der Jünger vom Anfang der Kirche brauchen: Es gibt ein großes Verstehen zwischen den Menschen. Ein Verstehen, dass – ein wesentlicher Punkt – seinen letzten Grund in Gott selbst hat. Und trotzdem braucht es den Dienst der Jünger, an diesem Geschehen mitzuwirken. Genau hier ist ein Ort, an dem wir, die Jüngerinnen und Jünger der Gegenwart, eingeladen sind, nachzufolgen.

Thomas Pogoda

Fachbereich Pastoral
in Kirche und Gesellschaft
Share
Tweet
+1

Newsletter des Fachbereichs Pastoral in Kirche und Gesellschaft

im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg

(Ausgabe September 2015)
Bild: JOTZO JÜRGEN  / pixelio.de
Newsletter abonnieren