Erfahrungsbericht

Vom Pfarrhaus zur

Gemeinschaftsunterkunft
 

Von Pfarrer Winfried Runge, Haldensleben

 
Im Sommer 2014 klingelte ein Mann bei mir am Pfarrhaus. Er wollte mich in einem wichtigen Anliegen sprechen und warb sehr engagiert dafür, dass sich alle Menschen guten Willens in Haldensleben – und dazu zählen ja auch die Kirchen – für eine gute Willkommenskultur den Flüchtlingen gegenüber einsetzen sollten. Zu dieser Zeit wurde die Gemeinschaftsunterkunft in Haldenslebens eingerichtet. „Diese Menschen, die da kommen, brauchen sicher mehr als eine Unterkunft und Taschengeld, sie brauchen Kontakt, Menschen, die sie begleiten, die ihnen einen Zugang zu unserer Sprache bieten...“ Ich signalisierte meine Bereitschaft: „Sobald es etwas gibt, was man konkret tun kann, sind wir als Kirche selbstverständlich dabei.“ Er wollte nun erst einmal bei den Asylbewerbern vorfühlen und mich dann in mögliche Projekte einbinden. Was für Angebote das aber sein könnten, war für mich zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar. Ich dachte zunächst ganz praktisch: „Als Kirche sind wir da. Und Katholiken, die hier ankommen, werden „ihre“ Kirche ganz sicher auch finden. Und dann sehen wir weiter...“ 
 

"Und dann sehen wir weiter...“


Wenig später kam auch tatsächlich einer in unsere Kirche: Simon aus Eritrea. Unser Diakon, Bernhard Neumann, war auch schnell genug, ihn nach dem Gottesdienst anzusprechen und einzuladen. So entstand der Kontakt zu dem bisher einzigen Katholiken aus der großen Gruppe eritreischer Männer, die inzwischen in Haldensleben angekommen sind. Simon brachte dann auch orthodoxe Freunde mit in den Gottesdienst und so nach und nach entwickelten sich die Kontakte zu ihnen und über sie auch in die Gemeinschaftsunterkunft.
 
Eine neue Qualität in der Arbeit mit den Asylbewerbern brachte der Aufruf unseres Bischofs im April dieses Jahres, die Gemeinden sollten doch schauen, ob sie nicht auch Wohnraum für Asylsuchende bereitstellen könnten. Ich selbst war wenige Wochen zuvor probehalber aus dem Pfarrhaus ausgezogen, um eine Wohngemeinschaft mit dem Ehepaar Neumann zu beginnen und dachte mir: „Wenn das keine Fügung ist?!“ Ich fragte beim Landkreis Börde an, ob es Bedarf an Wohnraum gibt und lud die Verantwortlichen zu einer Besichtigung des Pfarrhauses ein. Das Angebot wurde sofort und dankbar angenommen. Und ganz ohne pastorale Hintergedanken verstand ich, wie hilfreich mein Angebot im Hinblick auf die angespannte gesellschaftliche Lage ist.

Nun galt es, das Haus schnell zu räumen, um es den neuen Mietern übergeben zu können. Einen Großteil des Inventares ließen wir drin – die komplette Küche, einen ausgestatteten Gemeinschaftsraum mit Klavier, einige Sofas und Sessel für die Doppelzimmer. Ich stellte mir das so vor: die Eritreer, die hier einziehen sollen, kommen aus dem gleichen Land und werden sicher vieles gemeinsam tun: kochen, essen, fernsehen, den Garten bewirtschaften, spielen etc.
Und dann kam der Tag des Einzuges und der Begrüßung. Seitens der Gemeinde wollten wir ein kleines Zeichen des Willkommens setzen – ein Frühschoppen nach dem Gottesdienst. Das Ganze wollten wir mit einer Haussegnung verbinden. Kleine Geschenke zum Einzug waren vorbereitet, die Jugend hatte ein Plakat gestaltet. Doch so einfach war das alles nicht. Ein Großteil derer, die nun ins Haus eingezogen waren, gehört einer strengen orthodoxen Glaubensrichtung an, für die das Wort christliche Ökumene ein Fremdwort zu sein scheint. „Wir wollen das nicht. Wir sind orthodox.“ So trat mir der Sprecher dieser Fraktion entgegen und verschwand dann wieder hinter der Haustür. „Au, das hat mich doch jetzt kalt erwischt.“, dachte ich. Wir segneten das Haus trotzdem, zumindest für die, die das wünschten - Simon und seine Freunde. Später kamen dann doch so nach und nach alle aus dem Haus, und es entwickelte sich eine rege Diskussion über die Situation der Asylbewerber, die nun zum Teil schon ein Jahr hier leben und immer noch auf ihre Anhörung warten. In gewisser Weise war es gut, dass es zu diesem Eklat gekommen war, denn so wurden ich und einige Gemeindemitglieder mit der Situation dieser Menschen konfrontiert:
Was es heißt, Wochen, Monate, Jahre warten zu müssen ohne irgendeinen Anhaltspunkt, wie und ob es irgendwann weitergeht. Nicht arbeiten dürfen, keinen regulären Sprachunterricht bekommen, immer der gleiche Tagesablauf - schlafen, essen, telefonieren, fernsehen, einkaufen... „Kein Wunder, wenn man da irgendwann ungeduldig oder zornig wird und irgendwie abdreht.“, dachte ich mir...
 

Au, das hat mich doch jetzt kalt erwischt.


Im Laufe der nächsten Tage zeigte sich zudem, dass meine Vorstellungen vom Gemeinschaftsleben im ehemaligen Pfarrhaus doch etwas an der Realität vorbeigingen. Aus dem gleichen Land zu kommen bedeutet noch lange nicht, dass man seine Situation hier in Deutschland auch gemeinschaftlich gestaltet. Der Ruf nach eigenen Kühlschränken auf den Zimmern wurde laut – denn das, was in der gemeinschaftlichen Küche gelagert wird, scheint allen zu schmecken und nicht nur dem, dem es gehört. Es wäre auch schön, wenn jeder einen eigenen TV-Anschluss im Zimmer hätte, obwohl es doch einen Fernseher im Gemeinschaftsraum gibt. Eine zweite Waschmaschine wäre auch wünschenswert, da offenbar alle immer zur selben Zeit Wäsche waschen wollen. All das sind Dinge, die der zuständige Sozialarbeiter mit den Asylbewerbern sicher klären könnte und müsste. Aber Sozialarbeiter sind dünn gesät und angesichts der momentanen Herausforderungen oft überfordert. Vielleicht eröffnet uns aber gerade dieser Umstand die Chance, als Gemeinde mehr zu tun, als Wohnraum zu vermieten.
 
Ich denke, es braucht im Umgang mit dieser neuen Herausforderung viel Geduld und gute Ideen. Wir alle sind Lernende. Das Thema ist gesetzt, die Menschen sind da. Und egal, ob man Flüchtlinge in eigenen Häusern beherbergt oder sich innerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft um sie kümmert, ihr Schicksal wird uns bewegen, da es nicht bloß einen Lückenfüller für das journalistische Sommerloch darstellt. Mit der Zeit erfahren wir mehr und mehr vom Schicksal derer, die nun unter uns leben. Nach und nach suchen und finden wir Wege, was wir sinnvoller Weise miteinander und füreinander tun können. Auch hier ändern sich ja momentan die Rahmenbedingungen.
Miteinander sprechen, Sprache trainieren – das scheint eine der besten Aktionen zu sein, die wir starten können, sei es im ehrenamtlich organisierten Sprachunterricht oder im Sprachcafé. Leute in kleine Hilfsarbeiten oder Jobs zu vermitteln, auch das scheint angesagt.
Die Gemeinde braucht ebenfalls Zeit und Hilfen, um Wege zu entdecken, wie sie wirklich in Kontakt mit den Fremden kommen kann. Von sich aus bei den „Neuen“ im Pfarrhaus zu klingeln, da tun sich die meisten schwer – zumal eine gemeinsame Sprache fehlt. Aber bei konkreten Projekten stößt man dann doch auf Aufgeschlossenheit, wie bei unserem Gartenprojekt: gemeinsam Gemüse anbauen, das dann hoffentlich auch bald geerntet werden kann. Oder einfach einmal gemeinsam kochen – denn das müssen die Männer aus Eritrea lernen: bei ihnen zu Hause ist das Sache der Frauen... 
 

"... so meine ich doch, dass es richtig war"


Manchmal frage ich mich, ob es richtig war, diesen Schritt zu wagen. Was passiert, wenn die Asylanträge abgelehnt und die jungen Männer abgeschoben werden sollen? Was passiert, wenn irgendwelche ausländerfeindliche Gruppen dieses Haus als Ziel ihrer Attacken entdecken? Was passiert, wenn die Gemeinde keinen richtigen Draht zu diesem Projekt entwickelt?
Auch wenn sich nicht alles so einstellt und entwickelt, wie ich mir das vorgestellt habe, so meine ich doch, dass es richtig war.
Allein schon um des Zeichens willen. 
 
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Newsletter des Fachbereichs Pastoral in Kirche und Gesellschaft

im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg

(Ausgabe September 2015)
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