V. Kranke besuchen

„Ich versuche zu spüren, was braucht der Mensch“ -

Im Gespräch mit Ursula Hennig, ehrenamtliche Krankenhausseelsorgerin, Halle a.d. Saale


Wie kommen Sie dazu, in Ihrer Freizeit Menschen im Krankenhaus zu besuchen?
Nachdem ich in Rente gegangen war, habe ich 11 Jahre lang eine Frau im Altersheim besucht. Sie war geistig noch sehr fit, aber fast blind. Sie konnte also nicht lesen oder fernsehen. Ich bin oft mit ihr im Rollstuhl ins Grüne gefahren, habe ihr Kastanien und Zweige gebracht, die sie ertasten konnte. Wir haben auch viel zusammen gesungen. Sie starb mit 102 Jahren – vielleicht hab ich ja zu diesem hohen Alter auch etwas beigetragen. Danach wollte ich gern weiter aktiv bleiben und habe eine Anzeige in der Zeitung gesehen: „Elisabeth-Krankenhaus sucht Zeitspender“. Ich habe Tuchfühlung aufgenommen und entschied mich, den Kurs als ehrenamtliche Krankenhausseelsorgerin zu machen. Das ist jetzt mehr als zwei Jahre her.

Wie ist der Besuchsdienst im Elisabeth-Krankenhaus organisiert?
Wir Ehrenamtliche sind nach Stationen eingeteilt. Ich besuche die gynäkologische Station. Das ist eine Station, in der man nicht lange liegt, die meisten Patientinnen sind schon nach fünf Tagen wieder raus. Ich bin einmal in der Woche für zwei Stunden dort. Dabei bin ich als Mitarbeiterin des Krankenhauses erkennbar durch mein Schild, auf dem „Besuchsdienst“, „Seelsorge“ und mein Name drauf stehen. Üblicherweise melde ich mich bei der Stationsleitung und manchmal sagen sie mir, „Gehen Sie doch mal bei dieser Patientin vorbei.“. Aber nicht immer kriegen die Schwestern den Seelenzustand der Patientinnen mit. Daher gehe ich einfach los, durch die Zimmer.
 
Wie reagieren die Patientinnen auf Ihren Besuch?
Sie sind oft überrascht, dass es einen Besuchsdienst gibt. Zwar wird das bei der Aufnahme gesagt, aber das ist eine Frage zwischen „Wie hoch ist ihr Blutdruck?“ und „Was ist ihr Gewicht?“, die Frage „Möchten Sie einen Seelsorger?“ Unter Seelsorger können sich viele ja auch nicht wirklich was vorstellen.
Wenn ich in die Zimmer komme,  frage ich meistens einfach, wie es ihnen geht. Da kommen dann Antworten wie „Ich warte auf meine OP.“ oder „Es geht mir gut.“. Manche sagen auch ganz ehrlich, dass sie jetzt lieber fernsehen wollen oder Schlaf nachholen, weil ihre Bettnachbarin in der Nacht geschnarcht hat [lacht]. Kürzlich bin ich einer Frau begegnet, die hatte ihre Diagnose erfahren, aber ihr war nicht viel weiter dazu erzählt worden. Sie hat dann geweint. Ich bin dann einfach eine Zeit lang bei ihr geblieben.
Insgesamt gibt es aber auf meiner Station eher selten schwerwiegende Probleme, da die Patientinnen ja nur kurz liegen. Die wissen dann schon, wie es zuhause weitergeht, wenn sie entlassen werden.
 
Die Patientinnen haben also  Unterstützung durch ihr Umfeld?
Die meisten haben ein soziales Netz, ja. Es gibt aber auch diejenigen, die sich immer selbst genug waren. Bei Ehepaaren erlebe ich das öfters. Wenn dann einer stirbt, ist der andere sehr allein. Sie haben sich kein Umfeld geschaffen, das ihnen helfen könnte. Was ich dann tun kann, ist, ihnen Hinweise auf Hilfsmöglichkeiten zu geben, z.B. dass sie sich an den Sozialdienst wenden können für eine Begleitung nach dem Krankenhaus.
 
Mit welchen Gedanken und Gefühlen gehen Sie nach einem Besuchsdienst aus dem Krankenhaus?
Ich freue mich, wenn mir die Menschen Vertrauen schenken, sich mir gegenüber öffnen. Viele bedanken sich und sagen, dass ich ihnen eine Freude gemacht habe. Manche würde ich gern wieder treffen, aber beim nächsten Mal sind sie schon entlassen.
Wenn eine Begegnung intensiver war, dann kann ich auch mit den hauptamtlichen Krankenhauseelsorgern darüber reden oder in der Supervision. Da tauschen sich die Ehrenamtlichen über ihre Erfahrungen aus.
 
Die 78-jährige Ursula Hennig arbeitete vor ihrer Pensionierung als Stationsschwester in einer Kinderklinik. Nun ist sie Teil des Teams von KrankenhausseelsorgerInnen im katholischen Krankenhaus St. Elisabeth & St. Barbara in Halle. Drei hauptamtliche KrankenhausseelsorgerInnen werden von 40 Ehrenamtlichen beim Besuchsdienst unterstützt.
Sie sind evangelische Christin. Ist das Christ-Sein ein Thema bei Ihrer Arbeit?
Es ist nicht so, dass wir den Patienten laufend Bibeltexte vorlesen. Nein, die Patienten bestimmen das Gespräch! Aber wir haben in unserem Ausbildungskurs natürlich auch mit biblischen Texten gearbeitet. Wir haben uns intensiv mit dem Emmaus-Text beschäftigt – Jesus ging mit den Menschen, ohne erkannt zu werden. Für mich waren die Texte alle sehr bekannt. Aber es gibt auch Kolleginnen, die sind atheistisch aufgewachsen. Eine hat z.B. die Erfahrung gemacht, dass ihre Mutter von einer Nonne hier im Krankenhaus begleitet wurde, das war eine sehr gute Erfahrung für sie. Und die Kollegin möchte nun etwas zurückgeben von dem Guten, was ihrer Mutter geschenkt wurde, in dem sie selbst Kranke besucht.
 
Was würden Sie jemandem sagen, der darüber nachdenkt, sich im ehrenamtlichen Begleitdienst zu engagieren?
Sie können das auch! Das was ich mache, ist nichts Großartiges. Ich tue ja gar nicht so viel, ich sag immer, wir sind das Fußvolk der Hauptamtlichen [lacht].

Sie schenken Ihre Zeit und Ihr Ohr für andere…
Eine Frau hat mal zu mir gesagt, als ich sie fragte, ob ich mich zu ihr setzen kann: "Na, wenn Sie's brauchen..." Da habe ich geantwortet: "Also langweilig ist mir nicht!" [lacht]. Ich will mich einfach noch einbringen.

Miriam Wehle
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Newsletter des Fachbereichs Pastoral in Kirche und Gesellschaft

im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg

(Ausgabe April 2016)
Titelbild: © Photographee.eu / Fotolia;
Ohr und Schiff: © Krankenhaus St. Elisabeth & St. Barbara, Halle
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