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Diaspora fördert Ökumene und Verantwortung

Katholisch-Theologischer Fakultätentag 2018 in Wittenberg

Zum Abschluss des Katholisch-Theologischen Fakultätentages in Wittenberg predigte der Magdeburger Bischof Dr. Gerhard Feige mit sehr persönlichen Erinnerungen von der Situation in der ostdeutschen Diaspora.  

Die Sommerferien der 5. Klasse verbrachte Feige mit einigen Klassenkameraden bei Familien im Eichsfeld. „Es war eine wunderschöne Zeit: die ländliche Idylle, das menschliche Miteinander, das kirchliche Leben – alle im Dorf außer dem Polizisten waren ja katholisch.“ Dort wurde er auch zum ersten Mal mit dem Begriff „Diaspora“ konfrontiert.  „Und das klang so, als ob ich – was meinem Empfinden durchaus nicht entsprach – aus einem Katastrophengebiet käme. Noch heute halten viele Diaspora-Verhältnisse für ein Missgeschick oder Unglücksfall der Kirchengeschichte, für eine Fehlform des Katholischen, für unnormal, schrecklich, bedauernswert. Bezeichnend dafür ist beispielsweise, wenn ein deutscher Bischof, der einmal in einer Predigt über den Niedergang mancher katholischer Überzeugungen und Ausdrucksformen in seinem sonst sehr üppig ausgestatteten Bistum klagte, das mit der ironischen Bemerkung krönte: „Herzlich willkommen in der Diaspora!“

„Am Anfang des Christentums war dies freilich ganz anders. So richtet sich der erste Petrusbrief z.B. ausdrücklich „an die Auserwählten, die als Fremde… in der Zerstreuung (= Diaspora) leben“ (1,1). Und selbst nach der sogenannten Konstantinischen Wende, infolge derer das Christentum im 4. Jahrhundert zunächst toleriert, dann begünstigt und schließlich zur Staatsreligion erklärt wurde, prägte das antike Heidentum vielerorts noch lange das gesellschaftliche und private Leben. Und auch später – bis in unsere Tage hinein – gehörte und gehört es in vielen Regionen der Welt zum üblichen Schicksal der Christen, als kleinere oder größere Gemeinschaften inmitten anderer Religionen oder Weltanschauungen zu leben.“ Was in ostdeutschen Bistümern schon lange Realität ist, kommt mehr und mehr in traditionell katholischen Regionen an. „Wer Gottes Ruf – und das gilt auch in noch volkskirchlich geprägten Landstrichen – ernst nimmt, wird den anderen fast immer irgendwie fremd und ist in seiner Umgebung nicht mehr ganz zu Hause. Diaspora erscheint somit von Anfang an und heutzutage erst recht als der eigentliche „Normalfall“ von Christentum.“

Dieser Normalfall birgt Risiken, aber auch große Chancen. „Wie schnell können Christen sich dabei der Umgebung anpassen und ihre Identität aufgeben. Viele hatten – das wissen wir aus vergangenen Zeiten zur Genüge – nicht die Kraft und den Mut, lange dem gesellschaftlichen Druck zu widerstehen; sie sind aus der Kirche ausgetreten oder haben sie lautlos verlassen. Wie schnell können Christen sich dabei der Umgebung anpassen und ihre Identität aufgeben. Viele hatten – das wissen wir aus vergangenen Zeiten zur Genüge – nicht die Kraft und den Mut, lange dem gesellschaftlichen Druck zu widerstehen; sie sind aus der Kirche ausgetreten oder haben sie lautlos verlassen.“

„Zugleich hat eine Diasporasituation aber auch ihre Chancen. Herausgefordert durch die Gleichgültigkeit oder die Kritik des gesellschaftlichen Umfeldes, moderne Entwicklungen und das Verhalten der eigenen Kinder und Enkel kann der persönliche Glaube sogar wachsen und reifen, kann Kirche dadurch lebendiger und überzeugender werden. Diese Erfahrung hat  jemand, der aus Berufsgründen in unser Gebiet gezogen ist, einmal folgendermaßen beschrieben: „Mit meinem Wechsel nach Sachsen-Anhalt wechselte auch meine religiöse Perspektive. Zum ersten Mal erkannte ich aus eigener Anschauung, was Diaspora bedeutet und welcher spirituelle Antrieb aus einer religiösen Minderheitensituation erwachsen kann. Dinge, die in einem traditionell katholisch geprägten Umfeld … als selbstverständlich galten, wurden hier aktiv auf den Sitz im Leben hinterfragt. Ich begann, Tradition und Glaube auf ihre spirituelle Kraft hin zu bewerten und auch meine religiösen Gewohnheiten bewusst in Frage zu stellen.“ Zum ersten Mal – so heißt es weiter – hatte ich „das Gefühl von Kirche im wirklichen Sinne; ein Verständnis davon, was es heißt, sich über traditionelle Rollen hinaus und außerhalb tradierter Vorgehensweisen aktiv für Gemeinde und Gemeinschaft einzubringen, Christus hineinzutragen in eine wenig christliche Welt, den Glauben in einem – im besten Fall – uninteressierten Umfeld mit Freude offen zu leben, und Gemeinschaft aus dem Glauben heraus zu erfahren.“

„Theologisch angeregt durch Josef Ratzinger, den späteren Papst Benedikt XVI.“, so Feige weiter, „formuliert die Dresdner Pastoralsynode 1974 in ihrem Beschluss „Glaube heute“ dazu folgendes: „Wenn wir uns als kleine Gemeinde erleben, hilft uns der Glaube an die Bedeutung des EINEN für alle, einzelner für viele, kleiner Gemeinschaften für große Gebiete …“ Die Gemeinden – so heißt es weiter – werden „ihrer Situation erst dann gerecht, wenn sie sich nicht abschließen, sondern in Austausch mit anderen stehen, mit ihnen Mensch und für sie Christ sind. Für unser Selbstverständnis in der Diaspora ist der Begriff Stellvertretung von großer Bedeutung.“

Diaspora sei kein Unglücksfall der Kirchengeschichte und auch keine „Fehlform“ des Katholischen. „In Sendung und Stellvertretung sehen wir unseren Dienst für die Welt. Aus dieser Perspektive heraus können wir auch sagen: „Als schöpferische Minderheit setzen wir in ökumenischem Geist seinen Auftrag um: in unseren Pfarreien, in Gemeinden, Gemeinschaften und Einrichtungen, in Kooperationen mit Partnern in der Gesellschaft. Wir genügen uns dabei nicht selbst, sondern geben missionarisch allen Menschen Anteil an der Hoffnung, die uns in Jesus Christus geschenkt ist“.

Der Katholisch-Theologische Fakultätentag  ist Zusammenschluss und Repräsentationsorgan der Katholisch-Theologischen Fakultäten und Institute in der Bundesrepublik Deutschland. Ziel des KThF ist es, die in ihm zusammengeschlossenen wissenschaftlichen Einrichtungen zu beraten, ihre hochschulpolitischen Aufgaben zu koordinieren und die gemeinsamen Interessen gegenüber Staat und Kirche wahrzunehmen.

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