map_simpleBistumskarte

Tag des Herrn

Michael Burkner Foto: imago/Ipon Die Identitäre Bewegung (IB) bezeichnet mehrere aktionistische, völkisch orientierte Gruppierungen. Sie gehen von einer geschlossenen, ethnisch homogenen „europäischen Kultur“ aus, deren „Identität“ vor allem von einer „Islamisierung“ bedroht sei. Wissenschaftler und Verfassungsschützer beschreiben Vorstellungen der IB als „Rassismus ohne Rassen“ und ordnen die Gruppen dem Rechtsextremismus zu. Harald Lamprecht ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen und beschäftigt sich schon lange mit Rechtsextremismus in Kirchenbänken. Im Interview erklärt er, wie Gemeinden damit umgehen können. Herr Lamprecht, es gibt verschiedene Gruppierungen, die sich irgendwo am „rechten Rand“ der Gesellschaft befinden. Können Sie diese grob einordnen? Man sieht ein gewisses Spektrum: Es gibt den klassischen Rechtsextremismus, etwa die frühere NPD, die jetzt „Die Heimat“ heißt, oder die Partei „Der Dritte Weg“. Dort finden wir relativ direkte Anknüpfung an den Nationalsozialismus – inhaltlich und im Erscheinungsbild. Davon zu unterscheiden ist die sogenannte „Neue Rechte“, die genau diese Nähe zum Nationalsozialismus zu vermeiden sucht und sich gerne als demokratischer Widerstand positioniert, im Kern aber den gleichen völkischen Nationalismus vertritt. Sie will aber nach außen hin nicht mit diesen Neonationalsozialisten in einen Topf geschmissen werden. Und dann haben wir noch den Rechtspopulismus, der auch einen gewissen Abstand zum Neonationalsozialismus sucht, aber auch ähnliche Themen behandelt. Vor allem die Ausländerfeindlichkeit ist durch das ganze Spektrum ein Kernthema.Die Stellung zum Christentum unterscheidet sich: Der klassische Rechtsextremismus hat mit Christentum nichts zu tun, eher mit dem Neuheidentum. Dort wird ein Kult der Stärke vertreten und das Christentum als „Kulturschwäche“ verachtet. Rechtspopulismus und die „Neue Rechte“ versuchen dagegen, sich ein bürgerliches Image zu geben. Dazu gehört auch das Christentum. Sie benutzen es aber lediglich für ihre eigene europäische Identitätsbildung gegen den Islam. Warum eigenen sich gerade christliche Gemeinden für diese „bürgerliche Fassade“? Es sind drei Themen, mit denen versucht wird, im christlichen Bereich anzudocken. Das erste ist das traditionelle Familienbild, die Ehe zwischen Mann und Frau, und die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Ehen oder des „Gender-Gagas“. Die kirchliche Sexualmoral ist tendenziell auch etwas konservativer gestrickt. Die Polemik verdeckt allerdings, dass es bei „Gender“ wesentlich um Fragen von Gerechtigkeit geht. Wenn man ein anständiger Christ sein will, sollte diese Frage nach Gerechtigkeit nicht egal sein.Das zweite große Thema ist die Islamfeindschaft. Wir haben einen religiös begründeten Gegensatz zwischen unseren Religionen. Es gibt verschiedene Überzeugungen, die sich auch nicht einfach harmonisieren lassen. Wir sind Konkurrenten auf dem Weltanschauungsmarkt. Aber das bedeutet nicht, dass Muslime per se Unmenschen sind. Im rechtsextremen Bereich ist die Islamfeindschaft religiös verbrämter Rassismus. Die mögen die Leute nicht, weil sie von woanders herkommen. Weil ein so offener Rassismus in der Gesellschaft nicht gut ankommt, wird versucht, die Religion und die Kultur darüber zu schieben. Das merkt man daran, dass es am Ende nicht darum geht, ob jemand integriert ist, sondern um die Hautfarbe und das Aussehen.Das dritte Thema ist nicht ganz so stark: die grundsätzliche Frage nach Autorität. Man möchte Autorität und Ordnung und eine strukturierte Welt haben. Da ist man „sozialen Experimenten“ gegenüber skeptisch. Spielt auch Antisemitismus beziehungsweise Antijudaismus eine Rolle? Das ist ein grundsätzliches Problem in der Gesellschaft, aber ich sehe es nicht vordergründig als Thema, mit dem man bei Christen Punkte sammeln will. Die meisten Christen wollen keine Antisemiten sein und Antisemitismus hat in christlichen Kreisen eher eine abstoßende Wirkung. Wie groß ist das Phänomen, dass Rechtsextremismus in Kirchengemeinden in Ostdeutschland Fuß fasst? Das ist gar nicht einfach zu sagen. Grundsätzlich sind wir als Kirchen ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn wir die Wahlergebnisse in Sachsen anschauen, dann müssen wir davon ausgehen, dass auch Kirchenmitglieder dazu beigetragen haben. Das ist ein Problem, mit dem die Kirchen umgehen müssen. Es gibt ein bestimmtes Level an Rassismus auch innerhalb der Gemeinden, selbst wenn es unseren Lehren komplett widerspricht. Kirchen stehen immer vor einem großen Spagat: einerseits mit größtmöglicher Klarheit verkünden, dass sie für eine bedingungslose Zuwendung Gottes zu allen Menschen stehen; andererseits trotzdem auf Menschen zugehen, die in den Dunstkreis anderer Einflüsterungen geraten sind. Unsere Gottesdienste sind immer öffentlich und jeder ist willkommen. Auch der härteste Neonazi darf gern kommen und sich die Predigt anhören. Aber das bedeutet nicht, dass diese Leute auch in Leitungsstrukturen gelassen werden müssen. Harald Lamprecht Der Einfluss der Kirchen ist in der Diaspora begrenzt und Ressourcen schwinden immer mehr. Wie sollten Gemeinden reagieren, wenn sie sich mit rechten Ideologien konfrontiert und überfordert sehen? Die Stimme der Kirchen hat durchaus noch Gewicht in der Gesellschaft. Wir sollten uns nicht kleiner machen, als wir sind. Zur Unterstützung gibt es in Sachsen eine ökumenische AG „Kirche für Demokratie und Menschenrechte“, wo Menschen aus verschiedenen kirchlichen Bereichen engagiert sind. Und das Kulturbüro Sachsen arbeitet mit mobilen Beratungsteams. Im Vorfeld der letzten Wahlen gab es viele kirchliche Aktionen, bei denen gute Materialien entstanden sind. Kann die Ökumene hier ein möglicher Schlüssel sein? Natürlich können wir so Ressourcen bündeln, weil wir in diesen gesellschaftlichen Fragen sehr stark zusammenarbeiten können. Die ökumenische Bewegung kann auch Vorbildcharakter haben, denn es ist erstaunlich, was uns gelungen ist. Wenn wir 60 Jahre zurückgehen, sehen wir, wie schwierig das Verhältnis zwischen den Kirchen gewesen ist und wie unmöglich eine Einigung an vielen Stellen erschien. Das hat sich sehr gewandelt und heute gibt es ein starkes Miteinander an vielen Stellen. Dieses ökumenische Miteinander ist auch eine Herausforderung. Vertrauen sie darauf, dass die Kirchen die vielen inneren Spannungen tragen und nicht daran zerbrechen, wenn ein Miteinander auch über politische Differenzen hinweg angestrebt wird? Ich möchte uns Mut dazu machen, Spannungen zu kanalisieren und dafür zu sorgen, dass sie nicht überhandnehmen. Ich plädiere dafür, einerseits eine gut begründete inhaltliche Position zu haben, andererseits trotzdem eine gewisse Flexibilität und Offenheit im Umgang mit Personen, die das nicht genauso sehen. In der Gesellschaft bewegt sich nur etwas, wenn es welche gibt, die vorangehen, wie bei einer Wanderung. Wenn keiner vorgeht, bleiben alle stehen. Trotzdem muss man schauen, dass die letzten auch mitkommen. Die Kirchen sind eben ein pilgerndes Volk Gottes und müssen sehen, dass sie beieinander bleiben. Wenn manche vorneweg rennen, ohne ganz nach hinten zu gucken, entstehen zwei Wandergruppen, die möglicherweise unterschiedliche Routen nehmen. Kirche und rechte Strömungen
Ruth Weinhold-Heße Andreas Dorn aus Leipzig ist unheilbar krank. Im Tageshospiz der Villa Auguste fand er eine Gemeinschaft, die ihn versteht und einen Ort der Zuversicht. Nun geht er seinen Weg mit viel Gottvertrauen weiter. Andreas Dorn ist durch seine Krankheit das Bibellesen wichtig geworden. Auch im Tageshospiz hat er seine kleine, in Leder gebundene Bibel dabei.Foto: Ruth Weinhold-Heße Andreas Dorn steht in der übergroßen Wohnküche an der Spüle und schält Kartoffeln. In dem großen hellen Raum gibt es neben dem Esstisch mit acht Sitzplätzen auch mehrere Ruhesessel und eine Küchenzeile. Der 62-Jährige packt an, wo er noch kann, wie bei der Vorbereitung zum Mittagessen. Dass ihm nicht immer alles leicht fällt, weil er todkrank ist, weiß hier jeder. Er erntet im Tageshospiz in der Villa Auguste in Leipzig nicht einfach nur Mitleid, sondern Verständnis für seinen Zustand in dieser Lebensphase. Das bestärkt ihn vor allem deshalb, weil es den anderen Gästen genauso geht. Die Themen Krankheit, Tod oder die eigene Beerdigung sind hier kein Tabu, werden aber auch nicht überthematisiert. Man ermutigt sich gegenseitig, das Leben noch so zu genießen wie es geht. Gemeinsame Ausflüge gehören auch dazu. Rettung – obwohl das Leben endlich ist „Ich habe hier Halt gefunden“, erzählt Andreas Dorn, als die Kartoffeln mit Fleischklößen und Gemüse am Mittagstisch verzehrt werden, „und ich kann wieder mit anderen Menschen Mitgefühl haben.“ Im Mai 2024 sei er von seiner Palliativärztin auf das Tageshospiz aufmerksam gemacht worden. Zehn Tage später war er das erste Mal hier. „Das hat mich gerettet“, erklärt Andreas Dorn, der seit acht Jahren mit der Diagnose Krebs lebt. Er spürt am eigenen Leib, dass sein Leben endlich ist. „Es war ein Gottesgeschenk, denn ich hatte schon 30 Kilo abgenommen. Nachdem ich hierher kam, hat sich mein Zustand stabilisiert und die Medikamente haben wieder angeschlagen.“ Was dem Kranken geholfen hat, war neben der Gemeinschaft eine Wochenstruktur mit Angeboten. Er kam wieder aus den eigenen vier Wänden heraus. Seine Frau geht noch arbeiten. „Wenn ich allein zu Hause war, fing das große Grübeln an“, erzählt er, das habe sich gebessert. Zwischen dem gemeinsamen Frühstück und Mittagessen lädt an diesem Vormittag vor rund vier Monaten Jana Stefanek ins Gartenzimmer ein. Im Stuhlkreis sitzen Andreas Dorn und weitere Gäste aus dem Tageshospiz beim Musikangebot. Nach einer kurzen Austauschrunde wird gesungen, jemand verlässt zwischendurch den Stuhlkreis, weil es ihm schlecht geht. Eine noch ziemlich junge Frau wünscht sich „Der Himmel ist blau“ von der Band „Die Ärzte“. Eine ältere Dame wirkt niedergeschlagenen, ihre Stimme macht auch nicht richtig mit. Die Musikpädagogin Jana Stefanik greift das auf: „Dann tun wir jetzt etwas Gutes für die Stimme.“ Sie ermutigt zu einer Stimmmassage, zuerst wird der Brustkorb abgeklopft, sie fordert alle Teilnehmer auf, die Augen zu schließen und das eigene Gesicht zärtlich zu streicheln. Dazu singt Stefanik das „Liebkoselied“ aus dem Kinderhöspiel „Traumzauberbaum“. Das tut allen im Raum sichtlich gut. Stefanik hatte vor vier Jahren selbst einen Herzstillstand, ein Wendepunkt in ihrem Leben. Jetzt will sie Menschen dabei helfen, ihrer Stimme wieder Ausdruck zu geben. Andreas Dorn kam zu Beginn nur wegen des Musikangebots ins Tageshospiz, erzählt er. „Ich habe mich sonst ja nie singen gehört, dadurch bin ich hier erst richtig warm geworden.“ Dass Andreas Dorn das Tageshospiz für sich als Ort entdeckt hat, wo er wieder Zuversicht gefunden hat, reiht sich ein in eine größere Geschichte, die er beim Mittagessen auch noch erzählt: „Ich bin aus der Not meiner Krankheit wieder zurück zu dem Glauben meiner Kindheit gekommen.“ Sein Leben war nicht immer einfach und als die Krebsdiagnose kam, machte er sich auf die Suche nach Halt. „Inzwischen weiß ich, dass ich nicht tiefer fallen kann, als in Gottes Hand“, sagt er. Obwohl er keinen christlichen Hintergrund hat, betete er als Kind und Gott erhörte ihn. Aber lange spielte das keine Rolle in seinem Leben. In den letzten Jahren habe er sich erst mit dem Buddhismus auseinandergesetzt, später Bücher von Anselm Grün gelesen. Dann nahm er an einer Motette in der Leipziger Thomaskirche mitden Thomanern teil. „Als wir gemeinsam das Vater-Unser beteten, merkte ich, da passiert etwas in mir.“ Zuletzt kaufte er sich eine Bibel. Das kleine Buch im Ledereinband nimmt er überall mit hin, auch heute ins Tageshospiz. In der Mittagspause setzt er sich in einen der Ruhesessel und liest darin. „Jetzt ist das Gefühl wieder da: ich weiß Jesus lässt mich nicht im Stich.“ Das sagt er auch später immer wieder am Telefon, obwohl er innerlich aufgewühlt ist: Denn der Nachfolgeantrag fürs Tageshospiz hängt lange in der Schwebe. Irgendwann wird er abgelehnt. Der Krebs ist stabil und zeigt kein Wachstum. Die Medikamente schlagen zwar an, haben aber heftige Nebenwirkungen. Obwohl seine Ärzte ihm attestieren, dass für seinen Krankheitsverlauf der Aufenthalt im Tageshospiz wichtig ist, lehnt die Krankenkasse ab. Der rechtliche Anspruch auf Aufnahme in ein Tageshospiz ist derzeit noch wie für vollstationäre Hospize geregelt, nach sehr strengen Kriterien. Trotzdem ist Andreas Dorn dankbar: „Natürlich tut mir das weh. Aber ich habe viel mitgenommen, gerade auch in meinem Glauben. Und das habe ich ja mit nach Hause gebracht. Die Zeit im Tageshospiz war sehr wertvoll.“ Nun sucht er Alternativen. Seinen Mut und seine Hoffnung lässt er sich nicht nehmen. Tageshospiz der Villa Auguste in Leipzig
Andrea von Fournier Fotos: Andrea von Fournier Die Besucher bestaunten die Funde aus der Zeitkapsel. Der höchste Kirchturm in Bernau wird aufwendig saniert und nicht nur die katholische Pfarrgemeinde nimmt regen Anteil am Fortgang der Arbeiten. Auch die Zeitkapsel wurde gesichert und dabei geöffnet. Ein Gerüst umschließt zurzeit den Kirchturm der Herz-Jesu Kirche in Bernau. Es lässt die Turmspitze im Innern filigran und zerbrechlich wirken. Der Turm der katholischen Kirche ist das höchste Bauwerk und markanter Orientierungspunkt der Stadt am nördlichen Berliner Rand. Deshalb beobachten nicht nur Christen die Fortschritte der Sanierungsarbeiten. Sie wurden nötig, weil der Zahn der Zeit am Turm nagte. 1961 hatte ein Blitzschlag das Kreuz von der Spitze gerissen. Das Dach wurde ausgebessert, aber an der Turmspitze, nun ohne Kreuz, blieb der offene Stiel bis 1973 zur Sanierung zurück. Ein einfacheres Kreuz wurde angebracht. Nach 50 Jahren war ein Sturmschaden der Anstoß, weshalb sich die Gemeinde erneut für Turmarbeiten entschied. Das Gerüst um den 66 Meter hohen Turm – ein anspruchsvolles Bauwerk für sich. Als die Kirche 1907/08 entstand, hatte Initiator Pfarrer Carl Ulitzka unbedingt im Sinn, diese mit einem höheren Turm als die evangelische Kirche auszustatten. Das gelang. Selbst heutzutage forderte es die erfahrene Bernauer Firma heraus, ein Gerüst aus mehr als 13 000 Einzelteilen um den 66 Meter hohen, neugotischen Turm zu installieren. Nicht nur die Lastableitung war heikel, sodass der sechswöchige Aufbau, 1,3 Millionen Euro teuer, von wachsamen Augen der Techniker und Statiker begleitet wurde. Inzwischen arbeiten versierte Thüringer Metallbauer an der Anbringung neuer Kupferbleche, die dichter gelegt werden, damit eine stabilere als die originale Konstruktion entsteht. Jedes Blech hat eine andere Größe und Form und wird einzeln zugeschnitten. Ein großer Moment war die Bergung der Zeitkapsel unterhalb des Turmkreuzes. Sie wurde im Beisein von Gemeinde und Gästen geöffnet: Drei stark bewetterte Metallzylinder verbreiteten die Aura der Vergangenheit und waren nicht nur für Stephan Theilig, Historiker und Pfarrarchivar der Gemeinde, berührender Gruß einer einst lebendigen Gemeinde. Dachklempner der Bauphase 1907/08 meldeten sich zu Wort, Ausgaben der Zeitung „Germania“ kamen ans Licht. In der Kapsel von 1973 befand sich ein Brief von Pfarrer Beier, der heute, 96-jährig, in der Nähe lebt. Er beschrieb die Situation nach dem Krieg, den Zustand der Kirche, die deutsche Teilung und den Abend, als das Kreuz herunterfiel. Zeitdokumente und Münzen waren auch in der Kapsel. Die DDR-„Aluchips“ hatten das halbe Jahrhundert unbeschadet überstanden. Die dritte Kapsel wurde aufgrund des schlechten Zustands nicht geöffnet. Stephan Theilig beschrieb nun, wie ihr Inhalt wochenlang konservatorisch behandelt wurde, weil das Material im Innern feucht geworden und getrocknet nur noch ein dickes Stück war. Dokumente in fünf Lagen, die Pfarrer Beier vor 50 Jahren bereits abgeschrieben und hinterlegt hatte, konnten nur noch als dunkle Papierfetzen geborgen werden. In die neue Zeitkapsel werden fünf Zylinder eingelegt. Die alten Dokumente in wetterfester Faksimile sind dabei, Zeugnisse der heutigen Gemeinde, ein Brief des Historikers. Eine Kapsel durfte die Kommune füllen. Bürgermeister André Stahl (Die Linke), der zu einem Fest Ende Juli unter den Kirchenbesuchern war, freute sich sichtlich darüber: Er hatte eine „Hussitenfest“-Beilage, Liedtext und Grußwort der Stadt mitgebracht, die der Historiker in Seidenpapier gerollt in die Kapsel schob. Der Metallbauer Michael Messerschmidt und ein Mitarbeiter verlöteten sie am Altar vor den Besuchern, die gebannt und still in den Kirchenbänken zusahen. Wenn alles nach Plan läuft, wird der Turm im Oktober fertig und die neue Zeitkapsel oben verstaut sein. Das Kreuz soll in Anlehnung an das originale wieder aufwendiger gestaltet sein. Kirchturmsanierung in Bernau
Ruth Weinhold-Heße Foto: Michael Baudisch Das Propst-Beier-Haus liegt an der Schweriner Straße / Ecke Ermischstraße im Zentrum von Dresden nahe der Kathedrale. Es ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln besser erreichbar als das bisherige Ordinariat. Anfang September wird die Kapelle im neuen Ordinariat geweiht. Denn das Propst-Beier-Haus in Dresden ist fertig. Im Herbst ziehen die Verwaltungsmitarbeiter um. Nötig war der Neubau, weil das bisherige Ordinariat aus DDR-Zeiten nicht mehr sinnvoll saniert werden kann. In der Kapelle des neuen Ordinariats ist das Fenster wie eine Rosette gestaltet, die Arbeit kommt von einem Handwerksbetrieb aus Ottendorf-Okrilla und ist ein Hingucker. Schaut man nach oben, eröffnet der Blick auch da Ungewöhnliches, denn die Decke ist nicht flach. „Die Wölbung der Decke soll an die bergende Hand Gottes erinnern“, sagt Veronika Hilbig, die im Ordinariat den Neubau von Anfang an begleitet hat. Anfang September wird die Kapelle geweiht. Die Mitarbeiter des Ordinariats können sich dann in dieser „Hand Gottes“ geborgen fühlen. Die Kapelle, zentral gelegen im Eingangsbereich des neuen Propst-Beier-Hauses an der Schweriner Straße in Dresden, ist das Herzstück des Gebäudes. Der Gedanke der Kapelle als „Eckstein“ des Hauses war dem Architekten wichtig und prägt das Gebäude auch von außen: auffällig ragt ihr Umriss aus der Fassade heraus. Veronika Hilbig hat in der Abteilung Liegenschaften und Bau für das Ordinariat den Neubau von Anfang an begleitet.Foto: Ruth Weinhold-Heße Klavier und Möbel kommen aus dem bisherigen Ordinariat am Dresdner Käthe-Kollwitz-Ufer. „Es wird soviel weiter genutzt, wie nur geht, einiges wird aufgearbeitet“, erläutert Hilbig und verweist nicht ohne Stolz darauf, dass die Kosten für den Neubau unter der Budgetplanung von 48 Millionen Euro bleiben. „Wir bauen keine Luxus-Büros, aber wollen, dass alles wertig, funktional und nachhaltig ist“, sagt sie. Unterhält man sich mit ihr auf der Baustelle, wird schnell deutlich, wie komplex die Bauplanung ist, wie umfänglich Bauvorschriften und Vorgaben der Stadt: „Wir hatten teilweise 15 bis 20 Baufirmen gleichzeitig auf dem Grundstück.“ Dresden forderte eine höhere Geschosslage in der Innenstadt als ursprünglich gewollt. Arbeitsstättenrichtlinien schreiben die Größe der Büros vor. Neu ist, dass es unter dem Dach – nun endlich – Platz für eine Registratur der Bistums-Akten geben wird. Neben den Büros der Ordinariatsmitarbeiter, die im Herbst umziehen, wird ein Teil des Gebäudes vermietet. Die Trennwände zwischen beiden Einheiten können je nach Bedarf angepasst werden. Zu den vermieteten Flächen gehören neben Gewerbeflächen auch vier Wohnungen. Kritik und Nachfragen gab es natürlich schon, warum sich ein kleines Bistum mit so vielfältigen Aufgaben gerade jetzt ein neues, schickes Verwaltungsgebäude baut. Pressesprecher Michael Baudisch verweist darauf, dass der Bau am Käthe-Kollwitz-Ufer über 40 Jahre alt ist und hohen Sanierungs- und Modernisierungsbedarf aufweist. „In einer Analyse hatten sich Neubau und Umzug als sinnvollste und kostengünstigste Variante erwiesen, verglichen mit Anmietung von Büroflächen oder einem Neubau in Stadtrandlage“, so Baudisch. Eine Erweiterung des Baus am Käthe-Kollwitz-Ufer genehmigt das Bauamt nicht. Inzwischen steht der DDR-Bau sogar unter Denkmalschutz. Baudisch erklärt: „Zwar befindet sich das Gebäude zu 99 Prozent auf einem Kirchengrundstück; der Haupteingang und die einzige Zufahrt jedoch liegen auf städtischem Grund. Wir haben, obwohl wir es 2017 beantragt hatten, bisher nicht einmal Wegerecht erhalten; der Zutritt wird nur geduldet.“ Das liege an der teils abenteuerlichen Handhabung von Grundstücksfragen zu DDR-Zeiten. Die Vorbereitungsarbeiten für den Neubau an der Schweriner Straße begannen im Februar  2022, Grundsteinlegung war später im Jahr am 10. November. Neubau des Ordinariats in Dresden
Christina Innemann Image Mein Familienurlaub war schön. Ich starte ausgeruht in den Arbeitsalltag. Einen Wehrmutstropfen gibt es jedoch. Trotz vieler Koffer, Proviantbeutel und Tüten hat es ein Gegenstand nicht nach Hause geschafft – meine Armbanduhr. Christina InnemannKatholische Polizeiseelsorgerin in Mecklenburg-Vorpommern Ich suche mehrere Tage nach ihr. Im Auto. Im Haus. In den Außentaschen der inzwischen leeren Koffer. Vergeblich. Verzagt rufe ich in dem Freibad an, in dem ich sie zuletzt gesehen habe. Und siehe da: Jemand hat die Uhr gefunden und dort abgegeben. Ich freue mich riesig! Und bin dem ehrlichen Finder sehr dankbar. Denn nun kann ich sie mir zuschicken lassen. Ich muss an die Bibelgeschichte denken mit der Frau, die nach einem Geldstück sucht. Sie braucht lange dafür. Zum Schluss wird ihre Bemühung von Erfolg gekrönt. Voller Freude feiert sie das Auftauchen des Geldstückes mit Freunden. In der Bibel steht diese Suche sinnbildlich für das Bemühen Gottes um jeden Einzelnen. Wer zu Gott findet, über den ist die Freude groß. Mich beschäftigt die Geschichte noch länger: Ich frage mich, wie oft ich überhaupt etwas im Leben suche, das mir wichtig ist. Und wie viel Zeit ich dafür investiere. Sicher, Uhren kann man zum Beispiel nachkaufen. Aber diese Uhr ist mir wichtig, weil ich so eine ähnliche als Studentin mal von meinen Großeltern geschenkt bekam. Seitdem erinnert mich der Blick auf mein Handgelenk an meinen verstorbenen Opa. Es gibt aber auch Dinge, die ich verliere – und nach denen ich nicht sonderlich suche. Weil die Zeit nicht reicht. Oder das Verlorene für mich nicht wichtig genug ist. Wenn es Gegenstände sind, ist das einfacher. Bei Beziehungen, Fähigkeiten oder anderen Dingen ist die Situation schon schwieriger. Dann suche ich manchmal verzweifelt und erfolglos. Wie ist es denn mit Blick auf meine Beziehung zu Gott, überlege ich weiter. Sucht er mich vielleicht auch gerade wie die Frau das Geldstück? Bin ich gefunden worden? Oder gar nicht verloren gegangen? Während ich darüber nachdenke, merke ich, dass ich das auf keinen Fall verlieren möchte: den Draht „nach oben“ Nicht nur, weil ich Seelsorgerin bin. Sondern, weil es mir persönlich viel bedeutet. Anstoß 18/2025
Michael Burkner Foto: Michael Burkner Es wird ein ganz besonderer Tag werden, für Frater Christoph persönlich, aber auch für Neuzelle. Am 22. August legt der Zisterzienser seine ewige Profess ab und bindet sich damit ein Leben lang an die Gemeinschaft. Seine Profess ist die erste in Neuzelle seit 209 Jahren. Er ist Vorreiter und steht zugleich in einer langen Tradition: Frater Christoph, 24 Jahre alt, schlank, kurze Haare, Vollbart. Die lange weiße Tunika und das schwarze Skapulier rascheln um seine Beine, wenn er mit flinken Schritten durch das Pfarrhaus von Neuzelle läuft. Das Ordensgewand verrät ihn als Zisterzienser – noch auf Zeit, bald für immer. Denn Frater Christoph feiert am 22. August seine ewige Profess, bindet sich also ein Leben lang an den Orden und seine Gelübde: Beständigkeit, Gehorsam und klösterlicher Lebenswandel – stabilitas loci, oboedientia, conversatio morum. Damit steht der junge Mann in der Nachfolge Vieler in Neuzelle – von 1268 bis zur Auflösung 1817 fanden hier wohl Hunderte Professfeiern statt – und er ist gleichzeitig ein Vorreiter: Es ist die erste ewige Profess im kleinen Ort nahe der Oder seit der Wiederbesiedlung des Klosters 2018. Von Schwerin über Dresden nach Neuzelle Als Frater Christoph erstmals mit den Mönchen in Neuzelle in Kontakt kam, hieß er Benedikt und war erst 19 Jahre alt. Damals, im Sommer 2020, studierte er Mechatronik in Dresden und stellte sich in der schwierigen Situation der Pandemie immer wieder die Frage nach seiner persönlichen Zukunft. Anbetung und Beichte gaben ihm dabei Halt und die Möglichkeit, „mit der eigenen Schuld und Vergangenheit konfrontiert zu sein“, wie er sich heute erinnert. Im Gespräch mit sich selbst und mit Gott konnte er zurückblicken, auf seine Kindheit und Jugend, die er in Schwerin verbrachte. Trotz seiner katholischen Familie und der katholischen Schule verschwand der Glaube Stück für Stück aus seinem Leben. „Es war die Dynamik meiner Generation, vielen ging es ähnlich“, sagt Frater Christoph und erinnert sich an seine Firmung, bei der die Geschenke und die Aufmerksamkeit für ihn im Mittelpunkt standen. Im Religionsunterricht wurde er „nicht abgeholt“, irgendwann ging er nicht mehr in den Gottesdienst und hörte auf, zu ministrieren. „Ich habe viel Zeit am Computer und im Internet verbracht, das gab wenig Raum für ein Leben in der Gemeinde“, gibt er heute zu. Doch auch als „die innere Distanz zur Kirche groß war“, verschwanden Glaubensfragen nie gänzlich aus seinem Leben. Mit Videos verschiedener christlicher Prediger wurde „das innere Ringen lebendig gehalten“. Auch das benediktinische Klosterleben blieb eine Konstante, weil die Familie die Ostertage stets im Kloster Nütschau in Holstein verbrachte. So war es wohl glücklicher Zufall, vielleicht auch Gottes Fügung, dass Frater Christoph im Sommer 2020 auf der Suche nach seiner eigenen Zukunft ebenfalls zu einer benediktinischen Gemeinschaft, zu den Zisterziensern nach Neuzelle, kam und blieb. Zwischen Heiligenkreuz und Neuzelle Wenn Frater Christoph gefragt wird, warum er ausgerechnet in Neuzelle heimisch wurde, fallen ihm eine Reihe an Gründen ein: „Ich habe hier menschlich und geistig Halt gefunden. Das Zentrum ist das Gebet in der Stiftskirche St. Marien. Stundengebet, heilige Messe, Anbetung und Beichte haben mich sofort angesprochen.“ Auch der Klosterneubau im nahen Treppeln und die damit verbundene Aufbruchsstimmung war ein wichtiger Aspekt. „Das ist wie ein Motor, der mich innerlich bewegt“, erklärt er. Der Weg in den Orden begann mit der sogenannten Kandidatur. „Das ist eine Zeit des Mitlebens. Man lernt Mönchsein, indem man es tut“, findet Frater Christoph. Parallel dazu brach er das Mechatronikstudium ab und begann das Theologiestudium an der Hochschule von Heiligenkreuz, dem Mutterkloster seiner Gemeinschaft, südwestlich von Wien. Die Situation der Pandemie und die damit verbundene Online-Lehre ermöglichte das Studium von Brandenburg aus. Ein Jahr später, mit dem Eintritt in das Noviziat, dem nächsten Schritt der Ordensausbildung, zog Frater Christoph dann doch in den Wienerwald. Gemeinsam mit vier anderen Novizen erlebte er dort ein intensives Jahr der Umstellung, mit neuem Gewand – ganz in Weiß – und neuem Namen. Aus Benedikt wurde 2021 Christoph. Wichtig war in dieser Zeit der enge Kontakt mit den Mitnovizen. „Mit manchen versteht man sich gut, mit manchen kommt man klar, mit manchen tut man sich schwer. Wir waren eine homogene Gruppe von Männern im gleichen Alter, die alle eine große Bereitschaft hatten, etwas auszuprobieren. Das hat geholfen“, blickt Frater Christoph zurück und erinnert sich dabei auch an einige Höhen und Tiefen: „Manchmal kommt man in ein Tal, in dem es dunkel wird, zum Beispiel, wenn der Eifer des Anfangs an seine Grenzen stößt. Aber wer dieses Tal überwindet, erreicht eine umso größere Weite.“ Im Sommer 2022 legte er die zeitliche Profess ab und versprach das Leben nach den Gelübden der Zisterzienser für drei Jahre. Anschließend übernahm er neben dem Studium verschiedene Verantwortungen im Stift Heiligenkreuz, besonders in der Bibliothek und im Garten. Während der Zeit in Österreich war die Verbundenheit mit Neuzelle für Frater Christoph immer prägend. Hier verbrachte er die Semesterferien, die Oster- und die Weihnachtsfeiertage. Er ist dankbar für die Bandbreite an Gemeinschaftsleben, die er im Wechsel der beiden Orte erleben kann: „Stift Heiligenkreuz besteht seit fast 900 Jahren und ist eine große Gemeinschaft. Neuzelle befindet sich gerade in der Neugründung. Hier leben deutlich weniger Brüder, was auch andere Möglichkeiten bietet. Zum Beispiel wird gerade das lateinische Stundengebet überarbeitet und in der Liturgie ausprobiert“, erklärt er. Die nächsten zwei Jahre wird Frater Christoph den Wechsel zwischen dem Studium in Heiligenkreuz und den Ferien in Neuzelle noch beibehalten. Aktuell richtet er seinen Blick aber voll auf die bevorstehende Professfeier. „Ich möchte mir immer wieder bewusst machen, dass die Gelübde kein Selbstzweck sind. Sie sollen mich Jesus Christus näherbringen und das Leben in der Gemeinschaft zur Verherrlichung Gottes ermöglichen“, sagt er. Denn das Zusammenleben empfindet er in der klösterlichen Lebensform als besonders intensiv und hilfreich. Mit der Gemeinschaft als Stütze kann Frater Christoph auf seine ewige Profess zugehen, in der Tradition Vieler vor ihm und als Vorreiter für vielleicht viele, die ihm ins Kloster Neuzelle folgen werden. Ewige Profess bei den Zisterziensern in Neuzelle
tdh Foto: Johanna Marin Dieses Jahr stand die Religiöse Kinderwoche (RKW) unter dem Thema „Herzenssache“ – doch Herzenssache ist sie schon lange. Seit den Anfängen der DDR 1949 gibt es sie in Ostdeutschland – ursprünglich, um katholischen Kindern eine Alternative zu den staatlichen Ferienspielen zu bieten. Und noch immer machen jedes Jahr Tausende Kinder in ihren Pfarreien mit. Glaubensinhalte besprechen, spielen, mit Freunden rumalbern… Welche Erinnerungen bleiben eigentlich hängen, bei den alten und jungen RKW-Kindern?   Endlich nicht das einzige katholische Kind sein Als meine Kollegin mich fragte, wie das denn früher so gewesen sei, bei der RKW, da fiel mir nur eins ein: toll! Es war ein super Gemeinschaftsgefühl. In den 70er Jahren in der DDR, da war man meist das einzige Kind in der Klasse, das katholisch war. Aber dort, zur RKW, da waren wir viele, die ganz selbstverständlich an Gott glaubten und in die Kirche gingen. In Leipzig gab es das Kolpinghaus. In der kleinen Kapelle feierten wir Gottesdienste und in den Unterrichtsräumen hatten wir Religionsunterricht, die Kleinen gingen in die Frohe Herrgottsstunde und auch der Kinderchor probte da. Zur RKW gab es dort morgens eine Katechese und danach wanderten wir alle durch den Auwald nach Connewitz ins Bischof-Petrus-Haus. Schon diese Stunde Fußmarsch war Abenteuer pur. Die Kleineren ärgerten gerne mal die Größeren, denn es gab am Wegesrand jede Menge Kletten. Dort angekommen, aßen wir an langen Tischen Mittagessen und Vesper. Im großen Pfarrgarten wurde gespielt, gelacht und viel gesungen, neue Freundschaften geschlossen, alte vertieft und immer in dem Bewusstsein, ich bin nicht allein mit meinem Glauben. Das waren zwei wunderbare Wochen, die wir gemeinsam verbringen konnten.// Monika Krayl   Mitwachsen und gleichbleiben Ich bin vier Jahre alt, stehe auf einer Bank und blinzle in die Sonne. Hinter mir ein älteres Mädchen, das mir eine dunkle Brille fest auf die Nase drückt. Es ist Sonnenfinsternis, 11. August 1999, und wir sind Besucher der RKW der Pfarrei Sanctissima Eucharistia aus Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf. Dass ich mitkommen darf, ist eine Ausnahme – eigentlich dürfen nur Schulkinder mitfahren. Die Sonnenfinsternis ist meine einzige Erinnerung aus diesem Jahr. Drei Jahre später bin ich sieben. Meine Mutter, eine der Betreuerinnen, steht mit ihrem Handy am Ohr zwischen über 60 Kindern, Rücken an Rücken mit dem damaligen Kaplan. Er hält ebenfalls ein Handy in der Hand und spricht die Stimme Gottes. Beten ist also wie telefonieren, lerne ich damals – wir sehen Gott dabei nicht, aber er hört zu und spricht mit uns. Inzwischen bin ich in der dritten Klasse – das Zimmer teile ich mir mit meiner besten Freundin, Anna, und einem Mädchen, das wir gerade erst kennengelernt haben. Sie heißt auch Anna. Gemeinsam sitzen wir in der Messe, die wir auf unserer RKW seit jeher täglich feiern. Dabei ist es ein Luxus, dass auf jeder Fahrt ein Geistlicher mitkommen kann, wie ich inzwischen weiß. Der Priester hebt die Hostie hoch. Anna die Zweite beugt sich rüber, flüstert: „Jetzt mampft er uns eins vor.“ Von Anna der Ersten und mir erntet sie ein Giggeln, von den Betreuern einen bösen Blick. Noch lange war dieser Satz ein geflügeltes Wort zwischen uns, wenn wir in den normalen Sonntagsmessen nebeneinander saßen. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit allen deinen Kräften und deinen Nächsten so wie dich selbst.“ Auf den RKWs singen wir viel. In welchem Jahr dieses Lied, „Höre Israel“, im Heft stand, weiß ich nicht mehr. Aber wir haben es auch noch Jahre später gesungen. Sechste Klasse, meine letzte RKW als Kind: Wir sind groß geworden und frech. Aber wir passen auch ein bisschen besser auf in den Katechesen, fragen mehr. Wieso gehen einige der Helfer in der Messe nicht zur Kommunion? Fünf Jahre später kenne ich die Antwort selbst, ich bin 17 und fahre zum zweiten Mal als Helferin mit. Weil ich den Gottesdienst damit zugebracht habe, die Kinder links und rechts neben mir ruhig zu halten, habe ich mich nicht aufs Beten konzentriert. Nun bin ich also diejenige, die nicht nach vorn geht, und die neuen Kinder diejenigen, die sich darüber wundern. Als Helferin ist alles ganz anders – und fast noch schöner als früher. Wie damals in den frühen Zweitausendern sitze ich 2025 da und knüpfe Freundschaftsbänder. Nur, dass Kinder neben mir sitzen und lernen wollen, wie es geht. Inzwischen habe ich mehr RKWs als Helfer denn als Kind erlebt. Die Anzahl der Teilnehmer hat sich seither halbiert; es gibt weniger katholische Familien. Laut und wuselig ist es trotzdem. Mit dem Kichern und Quatschen im Gottesdienst kann ich gelassener umgehen. Denn erstaunlicherweise bekommen die Kinder trotzdem unglaublich viel mit. Während der Kommunion beginnt ein Erstklässler neben mir leise zu weinen – er fragt, wieso er keine Hostie bekommen hat. „Jetzt mampft er uns eins vor“ bleibt also auch in der neuen Generation Thema.// Johanna Marin   Sommer = RKW Wenn wir an die Sommerferien denken, denken wir sofort an die RKW. Seit acht Jahren sind wir mittlerweile immer in der ersten Ferienwoche dabei. Es ist eines der lustigsten und besten Erlebnisse des Jahres, immer wieder aufs Neue unvergesslich. Am besten erzählen wir euch von den Sachen, die uns noch am meisten im Kopf geblieben sind: Dazu gehören zum Beispiel die Nachtwanderung und das Geländespiel (Schnitzeljagd) im Wald. Es war immer sehr aufregend und gruselig, am Startpunkt der Nachtwanderung zu stehen. Wir haben nur den dunklen Wald gesehen und die Geräusche der Leute vor uns gehört. Das Geländespiel war immer sehr lustig. In Teams mussten wir mithilfe einer Karte verschiedene Stationen im Wald ablaufen. Am Schluss gab es die Siegerehrung – da waren natürlich alle sehr gespannt, wie sie abgeschnitten haben. Außerdem gab es fast jeden Tag die sogenannten „Kreise“. Das war ein Angebot von verschiedenen Aktivitäten, zwischen denen man wählen konnte. Dazu gehörten der Tischtennis-, Tanz-, Märchen-, Werwolf- und Sportplatzkreis. Wir sind meistens zum Sportplatz und zum Werwolfkreis gegangen. Es war sehr schön und lustig, Volleyball zu spielen, und sehr aufregend, zu sehen, welche Rolle man beim Werwolfkartenspiel bekommt. In unserer Freizeit haben wir außerdem Tischtennis gespielt. Was wir noch gar nicht erwähnt haben, ist, dass alles, was wir bei der RKW machen, mit Gott und dem Glauben zu tun hat. Schließlich steht RKW für „religiöse (!) Kinderwoche“. Es war schön und cool gemacht, wie man den Glauben mit allem verbunden hat. Zum Beispiel gab es jeden Morgen eine Katechese, bei der wir viel Neues erfahren haben, was wir noch nicht wussten. Dieses Jahr war das Thema „Psalmen“. Die Betreuer haben es geschafft, die Katechesen lustig, aber trotzdem noch so zu gestalten, dass wir alle was gelernt haben. Also, zusammenfassend bedeutet uns die RKW sehr viel. Es geht nicht nur um die Spiele und Aktivitäten an sich; man lernt dabei neue Freunde kennen und bildet eine Gemeinschaft. Es ist schade, dass wir nächstes Jahr nicht mehr dabei sein können, weil wir zu alt sind. Aber wir freuen uns schon, dass wir in zwei Jahren selber Betreuer sein dürfen!// Luisa und Martha Erinnerungen an die RKW
Johanna Marin Fotos: Johanna Marin Angelika Pohler (Mitte) und Pater Justinus (Zweiter von rechts) fachsimpeln mit der Initiatorin der Pilgerreise, Maria Faber (rechts), über die Abschrift. Sie ist eine der ersten bekannten Frauenmystikerinnen überhaupt. Heiliggesprochen wurde sie dennoch nie: Mechthild von Magdeburg. Zu ihrem Gedenktag am 15. August blicken wir zurück auf die Pilgerinnenreise des Bistums Magdeburg im Frühjahr. Die Frauen begaben sich auf die Spuren Mechthilds – und anderer starker Frauen. Dabei lernten sie nicht nur das Leben und Vermächtnis der Mystikerin besser kennen, sondern konnten auch das Klosterleben mit neuen Augen betrachten. „Nach der Wende sind dort Träume wahr geworden.“ Barbara Striegel, Mitbegründerin der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, sitzt auf Steinstufen, mehr als ein Dutzend andere Frauen um sie herum. Hinter ihnen türmt sich eine gewaltige Kirche auf. Sie spricht über das Kloster Helfta in Eisleben, ein Zisterzienserinnenkloster, das inzwischen ein beliebter Frauenort im Bistum Magdeburg ist. Dabei befindet sie sich gerade gar nicht in Sachsen-Anhalt und das Kloster hinter ihr ist auch kein Frauenort, sondern das Männerkloster Einsiedeln in der Schweiz. Sie und ihre Wegbegleiterinnen wollen zum zwei Kilometer entfernten Kloster Au, zu Fuß sind sie unterwegs. Denn es gibt jemanden, der das Kloster Helfta mit dem Kloster Au verbindet: Mechthild von Magdeburg. „Mechthild war eine hochpolitische Frau. Sie hat sich mit den Mächtigen angelegt“, sagt Christine Böckmann. Gemeinsam mit Barbara Striegel, Maria Faber, Schwester Sylvia Laumen und der evangelischen Pfarrerin Hanna Manser hat sie die Reise vorbereitet, auf der sie sich heute befinden: die Pilgerinnenreise in die Schweiz, unter dem Motto „Worauf G*tt ihre Hoffnung setzt, das erkühne ich mich“. Mechthild von Magdeburg war Begine, also eine Frau, die ein klosterähnliches Leben führte, ohne einem Orden anzugehören. Sie lebte im 13. Jahrhundert und erfuhr immer wieder mystische Visionen. Dass sie diese niederschrieb, zeugt zum einen bis heute von der Bildung, die Frauen im Hochmittelalter genossen. Zum anderen stellen ihre Niederschriften auch für Germanisten ein wichtiges Zeugnis dar: Ihr Werk ist eines der frühesten deutschsprachigen Schriftstücke, verfasst in Mittelniederdeutsch. Eine Abschrift des „Fließenden Lichts der Gottheit“ von Mechthild von Magdeburg aus dem 14. Jahrhundert. Maß halten – auch in der Sorge Ihre mittelniederdeutsche Schrift ist heute verschwunden, dafür sind Abschriften aus dem 14. Jahrhundert erhalten. „Das fließende Licht der Gottheit“ heißt ihr Werk, in dem sie ihre Visionen und Gedanken niederschrieb. Gebete wechseln sich ab mit Darstellungen der Hölle und des Fegefeuers, sie beschreibt die Vereinigung ihrer Seele mit Christus intim und nahezu erotisch, rügt weltliche und kirchliche Machthaber für ihr Handeln. Mit ihren Aussagen eckte sie damals an – und wurde ins Kloster Helfta versetzt. Dass sie in ihrer Zeit eine kritische Stimme war, fasziniert die Pilgerinnen von heute. „Ihre Texte haben an Aktualität nichts verloren“, sagt etwa Barbara Striegel. „Sie hat in Gott nicht nur den herrschenden Mann gesehen, sondern auch die liebende, zärtliche Frau“, fügt eine Pilgerin hinzu, „das brauchen wir auch heute!“ Maria Faber, die die Pilgerinnenreise initiiert hat, beeindruckt vor allem, dass Mechthild in ihren Texten dazu riet, Maß zu halten. „Eine heilige Aufmerksamkeit sollen wir auf uns selbst haben, hat Mechthild geschrieben. Wohlgemerkt: nicht unsere gesamte Aufmerksamkeit, sondern eine heilige. Da ist Maß angesagt“, sagt Faber und fügt hinzu: „Besonders ihre Aussage ‚Betrübe dich nicht zu sehr‘ hat es mir angetan.“ Sie schmunzelt: „Mechthild erkennt an, dass es in der Welt Grund zur Betrübnis gibt. Aber auch im Betrübtsein sollen wir Maß halten und nicht darin versinken.“ Eine Abschrift des „Fließenden Lichts der Gottheit“ aus dem 14. Jahrhundert war der Anlass, wieso die Pilgerinnen aus dem Bistum Magdeburg, die unterschiedlichen Konfessionen angehören, sich auf den Weg in die Schweiz machten. Denn die Abschrift gehört eigentlich den Benediktinerinnen des Klosters Au. Im Mittelalter wurde es ihnen, damals noch Waldschwestern genannt, geschenkt. Doch so ein altes Buch ist empfindlich und muss besonders behutsam gelagert werden. Deshalb liegt es inzwischen nicht mehr im Kloster Au, sondern in der Stiftsbibliothek des Klosters Einsiedeln. Heute jedoch macht es einen Ausflug und kehrt zurück an seinen ursprünglichen Platz. Als die Frauen zu Fuß das Kloster Au erreichen, eine kleine Wanderung vorbei an grünen Hügeln und Kuhweiden hinter sich, fährt gerade ein Auto vor. Pater Justinus aus dem Kloster Einsiedeln bringt das Manuskript – in einer unscheinbaren grauen Plastikbox. „Das Buch darf nicht zu feucht werden“, erklärt er. Temperaturschwankungen hingegen halte es aus – allerdings nur langsam. Plötzliche Veränderungen seien schädlich. Die weißen Handschuhe, mit denen er das Buch aus der Box hebt und behutsam auf den Altar legt, seien umstritten. Pergament sei so stabil, dass auch gewaschene, trockene Hände ausreichten. Papier sei zwar empfindlicher, doch durch die Handschuhe verliere man die Sensibilität und die Gefahr, das Papier zu beschädigen, steige, sagt er. Dann fängt er an zu lachen: „Schlussendlich benutzt man die Handschuhe vor allem, um die Leute zu beeindrucken.“ Priorin Felizitas (links) und ihre Mitschwestern vom Kloster Au freuen sich, dass das Buch endlich bei ihnen zu Besuch ist. Beeindruckt sind die Pilgerinnen auch – allerdings nicht von den Handschuhen, sondern von der Abschrift und davon, Mechthilds Worten so nahe zu sein. Priorin Felizitas vom Kloster Au und ihre Mitschwestern treten auf das Buch zu. Endlich ist es wieder bei ihnen, wenn auch nur für kurze Zeit. „Fließe, gutes Gotteslicht, in den Ursprung meines Ichs, dass ich mich erkenne. Fließe Gottes Licht“, singen die Pilgerinnen eine Vertonung von Mechthilds erster Vision. Die Frauen reihen sich auf, um nacheinander zu dem Buch zu gehen, die Worte in dieser für uns heute kaum lesbaren Schrift zu entziffern und sich Mechthild näher zu fühlen. Einige verneigen sich, andere schauen. Nachdem alle einmal herangetreten sind, möchte niemand so richtig gehen. Das Buch noch immer auf dem Altar, beugen sich einige der Frauen erneut darüber. Angelika Pohler, eine der Pilgerinnen, ist gelernte Buchbinderin. Mit vorsichtigen Fingern – und selbstverständlich mit weißen Handschuhen – hebt sie das Buch an. „Das wurde mit einer Gänsefeder auf Pergament geschrieben“, erkennt sie. „Schaut nur, wie fein die Schrift ist, obwohl man damals noch nicht mit Stahlfedern geschrieben hat. Und die Pergamentseiten sind ganz fein geschabt!“ Ging mal ein Tintenklecks daneben, war das nicht allzu schlimm, erläutert sie. Die Schreiber ließen die Tinte trocknen und schabten sie ab, wie heute beim Radieren. Nicht nur aus theologischer und sprachwissenschaftlicher Sicht ist das Buch spannend. Es ist auch das einzige Dokument, in dem die heilige Jutta von Sangerhausen erwähnt ist. Eine Einsiedlerin, die mit Mechthild von Magdeburg Kontakt hielt. Beide Frauen widmeten ihr Leben Gott, ohne einem Orden beizutreten. Dafür erleben die Pilgerinnen aus Magdeburg auf ihrer Reise umso mehr Ordensleben. Nachdem sie sich von dem Buch getrennt haben, verabschieden sie sich von den Benediktinerinnen des Klosters Au, um zurück zu ihrer Herberge zu fahren: dem Kloster Fahr in der Nähe von Zürich. Auch dort leben Benediktinerinnen. Zur Ruhe kommen – das ist möglich im Kloster Fahr. Im Kloster – zwischen Gehorsam und Freiheit Priorin Irene Gassmann vom Kloster Fahr begleitet die Frauen, die in die Schweiz gereist sind, wo sie kann. Dabei erzählt sie auch von ihrem Leben im Kloster. Sie haben einen Klostergarten, aus dessen Erträgen sie köstliche Speisen zubereiten, und eine Webwerkstatt, in der sie Paramente, also liturgische Gewänder und Stoffe, herstellen. Die Benediktinerinnen hier haben ihren eigenen Schleier entworfen. „Der sieht so wahnsinnig elegant aus“, schwärmt eine Pilgerin, die selbst zur Congregatio Jesu gehört – einem Frauenorden, in dem die Schwestern zivil tragen. Doch während die Pilgerinnen die Kleidung der Benediktinerinnen bewundern, sagt die Priorin: „Ich könnte auch in Hose und Bluse eine Benediktinerin sein.“ Sie würde sich ein Gewand wünschen, das im Alltag praktischer ist. Andererseits: „Auch bei Frauen wirkt der Schleier als Machtzeichen“, wirft Maria Faber ein und schmunzelt: „Dir, Irene, sind am Bahnhof in Zürich einfach alle gefolgt. Mir haben sie am Tag darauf widersprochen.“ Die Klöster Fahr und Einsiedeln bilden zusammen ein Doppelkloster. Für die Schwestern im Kloster Fahr sei es manchmal ein Wehrmutstropfen, dass den Männern in dieser Konstellation bei den meisten Fragen die letzte Entscheidung obliegt. Gleichzeitig, sagt Priorin Irene Gassmann, sehe sie das gelassener, je älter sie werde. „Wenn ein Kloster weniger als fünf Schwestern oder Brüder hat, wird in Rom entschieden, was mit den Gebäuden passiert“, erzählt sie. „Da wir kein selbstständiges Kloster sind, gilt diese Regelung für uns allerdings nicht. Das gibt uns auch eine gewisse Freiheit.“ Wie viele Klöster kämpfen auch die Benediktinerinnen mit Überalterung. Der Nachwuchs fehlt. Deshalb versuchen sie, neue Wege zu gehen: zum Beispiel mit zwei Frauen, die freiwillig im Kloster mitleben, ohne dem Orden beizutreten. Die Priorin blickt inzwischen entspannt auf ihre immer älter werdenden Mitschwestern: „Mir hilft der Gedanke, dass in der biblischen Heilsgeschichte oft hochbetagte Menschen im Zentrum standen. Und dann kam etwas Neues!“ Vielleicht, so hofft sie, bereiten ihre betagten Schwestern gerade den Boden für Zukünftiges. Die Magdeburger Pilgerinnen schnuppern in dieser Woche ganz intensiv Klosterluft, nehmen am Stundengebet teil und lernen neben den frommen Schwestern im Kloster Au und den engagierten Schwestern im Kloster Fahr auch Schwestern in zivil – etwa aus dem ökumenischen Katharinawerk in Basel – kennen. „Die Schwestern hier haben einen feinen, hintersinnigen Humor, der mich immer zum Mitschmunzeln einlädt“, verrät eine der Pilgerinnen. Eine andere will sich beibehalten, was sie erfahren hat: „Ich habe mein Gästezimmer hier in dieser Woche auch als Klause zum Nachdenken benutzt“, sagt sie, „dieses Gefühl möchte ich mit nach Hause nehmen: dass ich mir auch in meiner Wohnung daheim mit meinem Mann mal Zeit und Raum allein für mich nehme.“ Frauen, die das Leben lieben. Unter dieses Motto haben Priorin Irene Gassmann und ihre Mitschwestern ihr Kloster gestellt. Und mit diesem Gedanken gehen auch die Pilgerinnen wieder zurück in ihren Alltag, gestärkt von den Geschichten all der Frauen – lebendige, schon lange verstorbene und heilige – die sie kennengelernt haben. „Wenn wir starke Frauen sein wollen, fangen wir nicht bei Null an“, sagt Mit-Organisatorin Christine Böckmann, „sondern wir können auf dem aufbauen, was vorher war. Und da können wir uns glücklich schätzen.“ Teilnehmerinnen der Pilgerfahrt des Bistums Magdeburg. Pilgerinnenreise des Bistums Magdeburg auf den Spuren Mechthilds von Magdeburg
Michael Burkner Fotos: Michael Burkner Schwester Maria Zemmer (links) und Schwester Martina Theiner vor dem Bild ihrer Ordensgründerin Hildegard Burjan. Die Schwestern der Ordensgemeinschaft Caritas Socialis verlassen Görlitz. Damit geben sie eine ganz besondere Niederlassung auf: In der Neißestadt lebten sie seit 26 Jahren in der Geburtswohnung der seligen Hildegard Burjan, ihrer Ordensgründerin. Das Wohnzimmer ist bereits etwas kahl, Stück für Stück wird die Erkerwohnung in der Elisabethstraße leergeräumt. Martina Theiner und Maria Zemmer sind Schwestern der Ordensgemeinschaft Caritas Socialis und bereiten sich auf ihren Abschied aus Görlitz vor. Dabei verlassen sie nicht irgendeine Wohnung: In den sich jetzt leerenden Räumen erblickte die inzwischen selige Hildegard Burjan 1883 das Licht der Welt. 36 Jahre später gründete sie in Wien die Gemeinschaft Caritas Socialis. „Zu wissen, dass hier die kleine Hildegard herumlief und spielte, berührt mich schon sehr“, sagt Schwester Martina und Schwester Maria ergänzt lachend: „Wahrscheinlich wurde sie in dem Zimmer geboren, das heute meins ist. Deshalb schlafe ich hier so gut.“ Hildegard Burjan wuchs als Hildegard Freund in einer jüdischen Familie auf, die ersten zwölf Lebensjahre in Görlitz. 1907 heiratete sie den Technikstudenten Alexander Burjan. Zwei Jahre später beschloss sie, ihr Leben ganz Gott und den Menschen zu widmen, nachdem sie eine lebensgefährliche Darm- und Nierenerkrankung überlebt hatte. Sie wurde katholisch und 1919 – inzwischen in Wien ansässig – die erste weibliche christlichsoziale Abgeordnete in der österreichischen Nationalversammlung. Im gleichen Jahr gründete sie die Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis, der sie den Auftrag gab „unter den Menschen tätig zu sein und da einzuspringen, wo die Not am größten ist“, wie Schwester Martina erklärt. 2012 wurde Hildegard Burjan seliggesprochen. Die von ihr gegründete Schwesterngemeinschaft verbreitete sich vor allem im deutschsprachigen Raum und kam 1999 nach Görlitz, in die Geburtswohnung ihrer Gründerin. Zwei Südtirolerinnen helfen in Görlitz Schwester Martina Theiner lebt seit 2002 in der Neißestadt und war lange Seelsorgerin im städtischen Klinikum. „Der Anfang war schon hart“, gibt die gebürtige Südtirolerin zu, die nicht gleich von ihrer neuen Heimat in der ostdeutschen Diaspora begeistert war. „Beim Einkaufen wurde ich mal gefragt, warum ich ausgerechnet hierhergekommen sei, ob es der Liebe wegen sei. Da habe ich gesagt: Ja, der Liebe zu Hildegard Burjan wegen.“ Mit der Zeit fand sie ihren Platz und ihre Rolle darin, Kranke und Sterbende zu begleiten und Gottesdienste zu organisieren. Geprägt wurde diese Arbeit stets von einem Grundsatz Hildegard Burjans: „Frage nicht, ob du zuständig bist. Frage, was du für diesen Menschen tun kannst.“ Schwester Martina betont im Rückblick besonders die Ökumene mit der evangelischen Kirche: „Das war damals ganz neu für mich. Unsere Zusammenarbeit war sehr gut und richtig geschwisterlich.“ 2016 ging sie in den Ruhestand und engagierte sich fortan ehrenamtlich: „Ich war mit den Menschen unterwegs: in der Pfarrei Heilig Kreuz als Kommunionspenderin, bei Besuchsdiensten in verschiedenen Seniorenheimen, beim Malteser-Besucherkreis, im Kirchenchor und in der Telefonseelsorge“, erzählt sie. In der Erkerwohnung im ersten Stock der Elisabethstraße 36 wurde Hildegard Burjan geboren. Seit 1999 leben Schwestern der Caritas Socialis in den Räumen. Schwester Maria Zemmer kam 2016 zur Unterstützung nach Görlitz. „Ich war damals schon Rentnerin. Hier hatte ich die Möglichkeit, noch einmal etwas Neues kennenzulernen. Außerdem hätten wir den Standort sonst damals schon aufgeben müssen“, erklärt sie. Ebenfalls aus Südtirol stammend, war Schwester Maria zuvor Pastoralassistentin in verschiedenen Pfarrgemeinden und Einrichtungen in Österreich. In Görlitz war sie stets „da, wo andere Helfer fehlten“: In der Pfarrei Heilig Kreuz kümmerte sie sich um die Kirchenwäsche und den Blumenschmuck, engagierte sich bei Geburtstagsbesuchen und übernahm Dienste als Küsterin, Lektorin und Kommunionspenderin. Einmal in der Woche half sie ehrenamtlich bei Seniorentreffs im Hildegard-Burjan-Tageszentrum. Die beiden Mitschwestern verbindet dabei mehr als ihre Südtiroler Herkunft. „Wir sind gleichzeitig in das Noviziat, also die Ordensausbildung, eingetreten. Als Schwester Maria damals in Wien ankam, durfte ich sie am Bahnhof abholen“, erinnert sich Schwester Martina. Sie betont, dass für das Leben zu zweit Rücksicht, Respekt und gegenseitiges Vertrauen besonders wichtig seien. Das gemeinsame Gebet und der tägliche Gottesdienst sind ihnen besondere Kraftquellen. „Man kann sich, anders als in großen Gemeinschaften, nicht aus dem Weg gehen“, erklärt Schwester Maria. Zukünftig müssen sie sich auf ein neues Gemeinschaftsleben in ihrem Mutterhaus in Wien einstellen, wo circa 30 Schwestern zusammenleben. „Wir werden kleine Aufgaben finden, die uns Freude machen“, ist Schwester Martina zuversichtlich. Das Erbe von Hildegard Burjan soll Zukunft in Görlitz haben Mehr Gedanken machen sich die beiden gerade um ihre Wohnung, die Geburtswohnung von Hildegard Burjan, die ihnen so wichtig ist. „Wir haben versucht, Nachmieter zu finden, die mit unserer Gemeinschaft verbunden sind. Das hat aber leider nicht funktioniert“, erklärt Schwester Martina. Die Möbel konnten an Freunde weitergegeben werden, auch Familien aus der Ukraine und Syrien freuten sich über neue Einrichtung. Besonders wichtig ist den Schwestern zum Abschied auch, dass die selige Hildegard Burjan in Görlitz nicht vergessen wird. „Wir haben einige Menschen gefunden, die ihr Erbe mit Gottesdiensten, Broschüren und dem Kontakt mit der Schwesterngemeinschaft wachhalten werden“, erklärt Schwester Martina. So soll die Selige lebendiger Teil der Stadtgeschichte bleiben – auch dann, wenn die Schwestern ihre Geburtswohnung bald ganz ausgeräumt und verlassen haben. Caritas Socialis verlassen Görlitz
Angela Degenhardt Image Still verschwebt ein Glitzern. Verträumt folgt der Blick dem Spiel der Bewegung. Faszinierend so ein Mobile. Von einem besonderen Mobile hörte ich auf einem Motivationskurs. An den Bögen wurden Zettelchen befestigt. Angela DegenhardtGemeindereferentin Pastoralregion Burgenlandkreis (Naumburg-Weißenfels-Zeitz) Darauf wurden zuvor notiert: schöne und schwere Erlebnisse, Stärken und Schwächen, was im Alltag so alles beschäftigt. Dann wurde gewichtet: was Kraft und Freude gibt, was runterzieht und müde macht. Alles zusammen sollte dann am Mobile ins Gleichgewicht kommen. Ein komplexes System mit einer fragilen Balance entstand und ein spannendes Bild. Das Leben als Mobile, mit wachsenden Verzweigungen. Wenn ich an einer Stelle etwas anstoße, bewegt sich alles andere mit. Alles findet sozusagen einen neuen Platz im System. Aber es fliegt auch nichts ganz hinaus, wenn es heftigeren Wirbel gibt. Interessant auch, sich als Teil eines Mobiles mit anderen zusammen zu sehen: ich bringe durch kleine Veränderungen bei mir, andere(s) in Bewegung. Nichts im Mobile kann sich nicht bewegen, wenn sich an einer Position etwas ändert. Das macht Mut, etwas zu tun. Ein Mobile kommt aber selbst nach großen Ausschlägen wieder zur Ruhe. Beides bekommt gelassen seinen Platz: etwas bewegen können und zur Ruhe kommen; angestoßen und herausgefordert werden und seinen Platz neu finden. Das Herz ruhig und still werden lassen, weil es im großen Ganzen bei Gott einen Halt hat – wie ein Teil im Mobile. Anstoß 17/2025

Themen und Partnerportale