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Menschen, die der Kirche ein Gesicht geben

Ein Tag des Austauschs und der Ermutigung, heute Kirche zu sein und zu leben.

„Für mich war der Tag eine Gelgenheit, neue Ideen kennenzulernen, wie Kirche heute gelebt werden kann“, sagt Hildegard Pusch (66) aus der Pfarrei St. Peter und Paul Dessau. „Ich fand es gut, mehr über die VOLK-Teams (VOLK - Vor Ort lebt Kirche) in der Pfarrei Bad Liebenwerda zu erfahren. Vermutlich wird das doch in so mancher Gemeinde die Zukunft sein. Ich habe mit Interesse gehört, dass dort die Wort-Gottes-Feiern meistens mit Kommunionspendung stattfinden.“ Aufschlussreich fand die ehemalige Lehrerin am Dessauer Liborius-Gymnasium auch die Projekte, die von Kirchenrat Andreas Möller vorgestellt wurden und in der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands erprobt werden.

„Fachtag für Menschen, die Kirche Gesicht geben“ hatten die Verantwortlichen vom Fachbereich Pastoral des Bistums den Tag überschrieben. 900 mögliche Interessierte waren eingeladen worden. 42 Personen, die meisten Hauptamtliche oder ehrenamtlich Engagierte, kamen am 23. Juni ins Dessauer Liborius-Gymnasium, um sich darüber auszutauschen, wie heute Kirche vor Ort gestaltet werden kann, und gemeinsam Ideen zu schmieden. „Wenn wir nur klagen, was in Gesellschaft, Kirche und im eigenen Leben schwierig ist, besteht die Gefahr, nicht mehr das Schöne zu sehen“, nahm Fachbereichs-Leiterin Friederike Maier das Lied „Wo beginnt der Weg zu dir“ auf, das die Teilnehmer zu Beginn gesungen hatten, und ermutigte dazu, zu schauen, wo das Reich Gottes bereits beginnt.

Marktplatz der Ideen und Projekte

Möglichkeit dazu gab es zunächst auf einem „Marktplatz“ unterschiedlicher Projekte und verschiedenen Engagements, die in eigens in der Schulaula aufgestellten Zelten vorgestellt wurden. Bernd Krüger, Pädagogischer Leiter und am katholischen Liborius-Gymnasium mit seinen 650 Schülerinnen und Schülern für die Schulpastoral zuständig, stellte die Schule als einen Ort von Gemeinde vor. Dreimal in der Woche gebe es im Raum der Stille das Angebot einer Oasenzeit, berichtete Krüger. Dazu kämen zwar nur unter zehn Schüler, aber immerhin. Einmal im Monat findet ein Pausengebet statt, an dem  zwischen 20 und auch mal 80 junge Leute teilnehmen. Hinzu kämen die Feier des Nikolaustages als Schulfest, Angebote im Advent, die Tage der Orientierung. Krüger: „Die Schüler werden in Vorbereitung und Durchführung der Angebote immer einbezogen. So spüren sie: Wir sind Kirche – oder die Kirche ist nicht da.“ Wenn dann etwa gemeindliche Strukturen wegbrechen, wüssten die Schüler: „Ich kann es selber tun.“

 Von einer dreimal jährlich stattfindenden Blutspendeaktion in Halberstadt erzählte Kolping-Mitglied Rolf Lange. Die Gemeinde St. Andreas werde dabei von Menschen aus ganz Halberstadt als Begegnungsort erfahren. Das Deutsche Rote Kreuz etwa suche Möglichkeiten für seine Blutspendeaktionen. „Und wir präsentieren uns als Christen, denen das Wohl der Menschen am Herzen liegt“, so Lange. Die  Blutspendeaktion findet in St. Andreas bereits seit 1995 statt.

Von einem aller zwei Jahre stattfindenden Gemeindepilgertag der Pfarrei Sangerhausen berichtete  Gemeindereferentin Angela Degenhardt. Die Gemeinde wandert dann am Sonntagvormittag in das sieben Kilometer entfernte Wallhausen. Am Beginn und unterwegs gibt es geistliche Impulse, und es ergibt sich manches Gespräch mit Menschen, die man sonst nicht trifft, so Degenhardt. Die Kinder werden eigens angesprochen. Einige Familien nehmen teil, die sonst nicht immer zur Kirche kommen. Um 14 Uhr ist dann in Wallhausen Sonntagsmesse. Weitere Beispiele waren etwa Schülertage auf der Huysburg oder „Weihnachten nicht alleine feiern“ in Burg.

Auch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) sucht nach neuen Formen kirchlichen Lebens und hat dafür die Initiative „Erprobungsräume. Kirche anders gestalten“ gestartet. „Um neues auszuprobieren, brauchen Leute Freiräume“, so Kirchenrat Andreas Möller, Referent für Kirchenentwicklung bei der EKM in Erfurt. Was dabei herauskommt, werde sich zeigen. Jedenfalls gelte es, „die Vielfalt von Formen  gegebenenfalls zu ertragen und vielleicht sogar zu fördern“. Denn, so Möller mit Landesbischöfin Ilse Junkermann: „Es braucht die Freiheit, Abschied zu nehmen von den Bildern, wie Gemeinde sein soll, was alles zu ihrem ,Programm‘, zu ihrem Zeugnis und Dienst gehört ... Es braucht … die Freiheit, sich auf den Weg zu machen. Noch gibt es keine festen Bilder, gar fertigen Pläne oder Programme für einen solchen Umbau. Und es ist fraglich, ob es diese überhaupt geben kann. Immer stärker zeigt sich, dass die Menschen vor Ort entscheiden müssen, was der nächste Schritt ist. ...“

Möller berichtete von einer Reihe von im Rahmen der Initiative „Erprobungsräume“ entstandenen Formen, Kirche heute zu leben. So von einem Eisenbahner, der einen nicht genutzten Bahnhof aufmöbeln wollte und schließlich einige sozial schwache Menschen um sich hatte, die etwas von seinem Glauben wissen wollten. Oder von der evangelischen Gemeinde in Gotha-Siebleben. Sie hatte einen Glasbau an ihr Gemeindehaus angebaut. Ein Mann, der häufig dort vorbeikam, beobachtete immer mit Interesse, was darin vorging: Gespräche, Vorträge, gemeinsames Essen. Er wagte aber nie, einmal hineinzugehen. Erst nach sieben Jahren kam er zufällig mit Gemeindemitgliedern in Kontakt, die sich für ihn interessierten. Er ließ sich einladen und gehört nun zur Gemeinde. Die Schwelle war für ihn einfach zu hoch gewesen: Was werden die mit mir da machen?

Gemeinsam kochen lernen, essen und beten

In der evangelischen Gemeinde Nöbdenitz kamen Frauen auf die Idee, in den Gemeinderäumen jungen Leuten das Kochen beizubringen. Inzwischen kommen sogar Schulklassen. Hinterher wird gemeinsam gegessen und auch gebetet. Inzwischen ist dort auch eine Theaterscheune entstanden, wo Kinder Theater spielen. All das wird von den Menschen vor Ort dankbar angenommen. Es kommen sogar einige Leute mehr zum Gottesdienst als früher.

Es braucht also Mut, Neues zu wagen und zuzulassen, so Möller. Wo Leben und Glauben mitein-
ander geteilt werden, ziehe das Menschen an. Es sei gut, wenn neue Formen so entwickelt werden, dass sie auch andernorts nachahmbar sind. Nötig sei, „füreinander sorgen zu lernen, statt andere zu betreuen“. Ehrenamtliche sollten sich vernetzen und in ihrem Tun eine „Alltagsspiritualität“ entwickeln und leben.

Die verschiedenen Weisen, Kirche zu leben, sind zugleich Möglichkeiten, als Kirche Profil zu zeigen. Dabei kommt es nicht selten darauf an, eine „neue Sprache“ zu entwickeln und „trotz ungewisser Zukunft neue Schritte zu wagen“. Bei alledem gelte es geistlich zu leben und sich gegenseitig geistlich zu stärken. Das wurde am Nachmittag des Fachtages in vier Gruppen durchbuchstabiert.

Eine Gruppe ging in ein Einkaufszentrum, um dort 30 Minuten die Menschen mit ihren Gesprächen, ihrer Sprache wahrzunehmen und auch mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Das war ein beeindruckendes Erlebnis“, so Georg Heeg (64) aus Köthen. „Wir haben dort gesessen. Und sehr schnell ergaben sich Gespräche. Und Leute haben ihr Herz ausgeschüttet.“ Es sei erstaunlich, was sich für Kontakte ergeben, wenn man bereit ist, anderen „mit Herz  zuzuhören“, so Heeg.

Einige Teilnehmer tauschten sich im Raum der Stille aus, wie Geistliches Leben aussehen und wie man sich gegenseitig geistlich stärken kann. In einem anderen Kreis wurde deutlich: Um sich als Christen vor Ort bewusst einzubringen, kann es zum Beispiel hilfreich sein, regelmäßig an einem Stammtisch von Akteuren des Ortes teilzunehmen. Aber auch Schwierigkeiten kamen zur Sprache.

Für viele Teilnehmer war der Fachtag eine Bereicherung und so wurde gefragt, wie es weitergehen kann mit den Ideen und Überlegungen und wo sich auch Kooperationsmöglichkeiten mit den evangelischen Projekten ergeben können. So ist geplant, zu den gesammelten Ideen eine erweiterbare Ausstellung für die Bistumswallfahrt und weitere Gelegenheiten vorzubereiten und den Ideenpool auf der Bistums-Homepage zu ergänzen. Und es sollen natürlich neue Formen praktiziert werden, Kirche zu leben.

Mit einem Gebetsgottesdienst „Den Glauben feiern“ fand der Tag des Austauschs und der Ermutigung seinen Abschluss.

Foto und Text von Eckhard Pohl, Tag des Herrn

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