
Caritas-Sonntag in MagdeburgBischof: "Caritas ermöglicht Teilhabe"
Der Zusammenhalt in der Gesellschaft schwindet. Das jedenfalls ist der Eindruck von Bischof Gerhard Feige. Umso wichtiger sei es, diesem Trend etwas entgegenzusetzen, sagte er im zentralen Gottesdienst zum bundesweiten Caritassonntag in Magdeburg.
Erscheinungsdatum: 28. September 2025
Als das „menschenfreundliche Gesicht der Kirche“ hat Bischof Gerhard Feige die Caritas gewürdigt. Mit ihrer Arbeit sorgten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des katholischen Wohlfahrtsverbandes dafür, „dass möglichst viele Menschen in unserer Gesellschaft eine faire Chance auf Teilhabe erhalten“, so Feige beim zentralen Gottesdienst in Magdeburg anlässlich des bundesweit begangenen Caritas-Sonntags am 28. September 2025. Dabei wurde unter anderem Geld für die Arbeit der Caritas gesammelt.
Rolle der Solidarität
Die aktuelle Jahreskampagne des Verbandes steht unter dem Leitwort: „Da kann ja jeder kommen“. Bischof Feige beklagte, dass dieser Satz inzwischen häufig mit dem Zusatz bedacht werde: „aber nicht bei uns“. Er beobachte ein großes Misstrauen gegenüber anderen Menschen, so der Bischof. „Eine ablehnende, abweisende Haltung gegenüber Fremden an den Grenzen Europas, die um Einlass und Schutz bitten, aber auch gegenüber Menschen im eigenen Land, die nach Unterstützung durch Sozialleistungen fragen.“ Die Caritas zeige dagegen, wie wichtig solidarisches Engagement sei.
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes Eva Maria Welskop-Deffaa ergänzte: „In unseren Caritas-Beratungsstellen öffnen wir Türen – für alte und behinderte Menschen, für Menschen, die sich verschuldet haben, für Suchtkranke. Denn Not und Unterstützungbedarf, das könne jeden treffen. In unserer krisengeprägten Zeit weiß niemand, was auf seinem oder ihrem Lebensweg noch wartet.“
Predigt von Bischof Feige
"Da kann ja jeder kommen. Caritas öffnet Türen"
Predigt beim Caritassonntag 2025 in Magdeburg
(Am 6, 1a.4-7 / 1Tim 6, 11-16 / Lk 16, 19-31)
In den Schriften des französischen Jesuiten Michel de Certeau findet sich der Gedanke des „nicht ohne“. „Das Fremde“ – schreibt er – „macht mich aus. Ich bin nicht ohne den anderen.“ Vor dem Hintergrund dieses Gedankens habe ich das Thema der diesjährigen Caritas-Kampagne bedacht und mich gefragt: Wie hören die Men-schen diesen Satz: „Da kann ja jeder kommen“: als offene Einladung, die Türen öffnet, oder doch eher im Sinne von „aber nicht hier bei uns“? Letzteres scheint mir gegenwärtig gesellschaftlich und politisch salonfähig geworden zu sein. Da ist ein großes Misstrauen gegenüber dem und der anderen zu beobachten, eine ablehnende, abweisende Haltung gegenüber Fremden an den Grenzen Europas, die um Einlass und Schutz bitten, aber auch gegenüber Menschen im eigenen Land, die nach Unterstützung durch Sozialleistungen fragen. Dem entsprechend könnte dieses Motto als ein Ausdruck der Ausgrenzung und der Sorge vor Beliebigkeit ver-standen werden. Ließe man nur das kleine Wörtchen „ja“ weg, klänge es schon freundlicher: „Da kann jeder kommen.“
Woran uns Certeau aber eigentlich erinnert: Kein Mensch kann ohne einen anderen Menschen sein. Als Menschen sind wir aufeinander verwiesen, können wir nicht ohne Beziehungen leben, nicht ohne Vertrauen und Zuwendung. Das gilt auch für uns als Kirche. Ohne den anderen und die andere kann Kirche nicht existieren. Kein Glaube ist vollständig ohne das Gegenüber, ohne die Armen, die Fremden, die Suchenden. Als Menschen leben wir in einem ständigen „Aufeinander bezogen sein“.
Damit konfrontieren uns auch die Lesungstexte. In aller Schonungslosigkeit hält der Prophet Amos nicht nur den Menschen seiner Zeit den Spiegel vor, er neigt ihn auch in unserer Richtung: Sorglos und selbstsicher leben die einen, liegen weich gepolstert, brauchen sich nicht um ausreichend Essen zu mühen, stellen ihren Reichtum zur Schau und schwelgen im Luxus, weit über die Bedürfnisse hinaus. In ihrer Selbstbezogenheit kümmern sie die Nöte der anderen nicht. Ihre Welt dreht sich nur um sie selbst; vom Leben und Schicksal der anderen nehmen sie keine Notiz, so, als könnten sie ohne die anderen sein.
Der Versuchung des Lebens ohne die anderen unterliegt auch die Erzählung aus dem Lukasevangelium. Hier die einen, dort die anderen: hier der reiche Mann, in Purpur und Leinen gekleidet, und dort der arme Lazarus, krank, hungrig und von Hunden beleckt. Dabei lebt der reiche Mann, als gäbe es Lazarus nicht, als könne er ohne ihn existieren. Aber, so schreibt es Michel de Certeau, „man kann sich nicht in sich selbst verschließen, ohne das Leben zu verlieren.“ Leben kann nur im „nicht ohne“ gelingen.
Die zahlreichen und vielfältigen Einrichtungen der Caritas haben das längst erkannt und gestalten ihr gesamtes Wirken danach. Mit ihrem Slogan „Not sehen und handeln“ machen sie deutlich: Das Leben der und des anderen geht uns etwas an und hat mit uns zu tun; deren Not berührt uns und bewegt zum Handeln. Dadurch wird täglich an so mancher Stelle der „tiefe, unüberwindliche Abgrund“ überwunden. Menschsein können wir nur gemeinsam, denn unser aller Ursprung ist – wie es im 1. Brief an Timotheus heißt (6,13) – „Gott, von dem alles Leben kommt“. Das ist un-sere christliche Überzeugung. Und Jesus macht in seinem Handeln diese Botschaft konkret: Er speist mit den Sündern, schenkt denen Aufmerksamkeit, die sonst nie-mand sieht, und gibt denen ihre Würde zurück, die sich als aus der Gemeinschaft ausgegrenzt erfahren. Das nachzuahmen, unser Handeln so zu gestalten, dazu sind wir berufen, im ganz persönlichen Tun, aber auch als Gesellschaft insgesamt. Darin leistet die Caritas mit ihren vielfältigen Einrichtungen einen entscheidenden Dienst, öffnet ihre Türen für jede und jeden, der Unterstützung sucht oder helfen möchte, schafft Räume, in denen Menschen gehört, begleitet und gestärkt werden und in denen erfahrbar wird, dass wir nicht ohne die anderen leben können und wollen. Mit ihrer Arbeit sorgen die unzähligen Mitarbeitenden dafür, dass möglichst viele Menschen in unserer Gesellschaft eine faire Chance auf Teilhabe erhalten und leisten damit einen unersetzlichen Beitrag für ein Mehr an Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit – sei es durch die Angebote der Schuldnerberatung, das Enga-gement für Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen oder durch die Unter-stützung in Lebenskrisen, bei Pflegebedürftigkeit und Suchterfahrungen. Die Cari-tas als das menschenfreundliche Gesicht der Kirche wirkt aktiv an einer solidari-schen, gerechten und barmherzigen Gesellschaft mit und kämpft „den guten Kampf des Glaubens“ (1 Tim 6,12) im Sinne eines Ringens für ein menschenwürdigeres Leben. Dabei ist sie zugleich auch für alle Christinnen und Christen Ansporn und Vorbild.
Ihrer Sendung nach darf Kirche keine Festung der Selbstgerechten sein. Eher sollte man sie – wie Papst Franziskus es getan hat – mit einem „Feldlazarett“ vergleichen, einem Ort, zu dem jede und jeder kommen kann und dort auf Menschen trifft, die einfühlsam und tatkräftig zur Hilfe bereit sind. Denn „der andere ist“ – wie Certeau sagt – „die Gestalt, in der Gott mir entgegenkommt.“ Hat Jesus nicht auch gesagt (Mt 25,40): „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“? Deshalb muss die Kirche der Zukunft eine diakonische Kirche sein, eine Kirche, die ihren Auftrag als Dienst versteht und uneigennützig wirkt. Als solche kann sie „nicht ohne die anderen“ sein, aber nicht so, wie wir sie gerne hätten, son-dern so, wie sie sind: mit ihren Erfahrungen und geschichtlichen Prägungen, ihren Lebensweisen und Wertvorstellungen. In den verschiedenen Einrichtungen, Projek-ten und Initiativen der Caritas sollte eine solche Zuwendung zum Ausdruck kommen, aber auch darüber hinaus in all unserem Tun. Diakonisch gesinnt zu sein und zu handeln, ist ja nicht nur eine Aufgabe der institutionalisierten Caritas, sondern betrifft letztlich alle Gläubigen und die ganze Kirche. Gemeint ist damit auch schon, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern erst einmal Möglichkeiten aufzuzeigen und anzubieten, inmitten der Hektik und Unrast des Lebens zu mehr innerer Ruhe zu kommen, und Räume zu eröffnen, die in ihnen etwas zum Klingen bringen können, was sie zutiefst berührt und erfüllt. Außerdem zeigt sich das in der konkreten Lebenshilfe, im vielfältigen Einsatz für die Menschenwürde und das Gemeinwohl, für mehr Gerechtigkeit und Solidarität, Anstand und Toleranz, dementsprechend auch gegen Gleichgültigkeit und jeglichen Extremismus, gegen Hass und Gewalt. Manche Christen engagieren sich darüber hinaus für werdende Mütter und ihre Kinder, für sozial und anderweitig Bedürftige oder Flüchtlinge und Migranten, in der Telefonseelsorge oder in der Hospizarbeit, in der Begleitung einsamer und kranker Mitbürgerinnen und Mitbürger oder in einem einfühlsamen Umgang mit dem Tod und der Trauer. Diakonisch können auch liturgische Feiern und Rituale sein, die Menschen in bestimmten Situationen ihres Lebens oder der Gesellschaft helfen, Halt und Orientierung zu finden.
Schon von Anfang an war die praktisch geübte Nächstenliebe in vielfältiger Form das eigentliche „Markenzeichen“ für uns Christinnen und Christen. Das zeigt sich auch in einer spannenden Begebenheit aus dem 4. Jahrhundert. Als nämlich der römische Kaiser Julian 361 Alleinherrscher wurde, entschloss er sich dazu, das Christentum wieder aus der Öffentlichkeit zurückzudrängen und die alte heidnische Religion zu erneuern. Dazu machte er reichlich Anleihen beim Christentum und richtete eine Hierarchie aus Metropoliten und Priestern ein. Die Priester aber sollten – was ihn einzig und allein am Christentum beeindruckt hatte – die Liebe zu Gott und zum Nächsten pflegen. Die ‚Galiläer’ [also die Christen] – so sagte er – hätten auf diesem Weg ihre Popularität erworben. Man müsse es ihnen gleichtun und sie noch übertreffen.“ Damit ist er jedoch gescheitert, denn die heidnische Religiosität war und blieb individualistisch und formalistisch, dem Kult verhaftet und nicht auf Nächstenliebe und sozial-karitatives Engagement ausgerichtet.
Wahrer Gottesglaube aber drückt sich immer wieder auch im Dienst an jenen aus, die uns oder denen wir zu Nächsten werden. Deren Nöte zu ignorieren, hieße auch Gott zu ignorieren. Dessen bewusst, lasst uns beten:
Lebendiger Gott, öffne unsere Herzen, damit wir das Wehen deines Geistes spüren, öffne unsere Hände, damit wir sie unseren Mitmenschen entgegenstrecken,
öffne unsere Lippen, damit Freude und Wunder des Lebens über sie fließen,
öffne unsere Ohren, damit wir deinen Schmerz in unserem Menschsein hören,
öffne unsere Augen, damit wir Christus im Freund wie im Fremden erkennen,
gib uns deinen Geist ein und berühre unser Leben mit dem Leben Jesu Christi. Amen.
Quelle: kna; Bistum Magdeburg, Pressestelle, presse@bistum-magdeburg.de, 0391-5961134

















