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Fronleichnam in MagdeburgFestlicher Gottesdienst und Prozession
Mit einem festlichen Gottesdienst und anschließender Prozession haben hunderte Gläubige am 19. Juni 2025 das Fronleichnamsfest gefeiert - das Fest der leiblichen Gegenwart Jesu in Form von Brot und Wein in der Eucharistie. In ökumenischer Gastfreundschaft fand der katholische Gottesdienst im evangelischen Dom zu Magdeburg statt. Die Predigt von Bischof Feige lesen Sie hier:
Erscheinungsdatum: 20. Juni 2025
Was ist uns heilig?
Predigt zu Fronleichnam 2025 von Bischof Gerhard Feige
(Gen 14,18-20 / 1 Kor 11,23-26 / Lk 9,11b-17)
"Immer wieder treibt mich angesichts der Nachrichten der vergangenen Monate und Wochen und der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen die Frage um: Was ist uns eigentlich noch heilig? Individuelle Menschenrechte und internationales Völkerrecht werden missachtet oder bewusst verletzt; bisherige Bündnisse und Verlässlichkeiten stehen plötzlich zur Disposition; die Gewalt gegenüber Menschen, die in Politik und Gesellschaft Verantwortung übernehmen, nimmt nicht nur in den USA, sondern auch bei uns jährlich zu. Und unserer Erde geht durch unser Verhalten langsam die „Puste aus“, werden die Grenzen des Belastbaren immer weiter überschritten.
Was gilt uns noch als unverfügbar und unantastbar, als ein letztes Woher und Woraufhin des menschlichen Strebens? Was akzeptieren wir noch als ein Tabu, über das nicht diskutiert wird, als ein tiefgründiges und verehrungswürdiges Geheimnis? In früheren Zeiten waren das: Gott, die Götter oder Erscheinungen des Göttlichen, auch die Schöpfung selbst oder der Mensch mit seiner gottgleichen Würde. Heute aber dominiert vielfach ein ökonomisches, zweckrationales und naturwissenschaftlich-technisches Weltbild. Immer mehr ist messbar, berechenbar und funktional geworden – immer weniger aber ehrfurchtgebietend und heilig. Was zählt ist Effizienz, Funktionalität und Nutzen. Man hat den Eindruck, inzwischen in einer fast völlig entzauberten Welt zu leben.
Banalität macht sich breit, vieles scheint egal zu sein, Lächerlichkeiten werden bedeutsam. Oftmals steht – wenn nicht nur Zynismus übrigbleibt – anderes höher im Kurs als das Leben, manches auch mit geradezu grotesken Zügen. So folgerte schon vor Jahren angesichts einer internationalen Wertestudie zu Recht ein Spötter: „Man müsste in Europa das Glück haben, als Auto zur Welt zu kommen.“ Das macht überdeutlich, was manchen heutzutage als letzte Werte gelten.
Gleichzeitig sind viele Menschen aber auch auf der Suche. Nicht wenige leiden an den gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen, fühlen sich überfordert, sind einsam – und hoffen, dass es doch „mehr als alles“ geben möge. Um daraus einen Ausweg zu finden, bedarf es sicher eines wachen Gespürs für Wesentliches und der Fähigkeit, noch staunen zu können. Manchmal träumen wir ja so gern von unserer Kindheit, weil wir inzwischen äußerlich und innerlich müde geworden sind. Die Rätsel der Kindheit sind zerschmolzen, wie der Nebel zerschmilzt an den Flüssen. Wir meinen Bescheid zu wissen, was es mit den Menschen, mit der Natur, mit der ganzen Welt auf sich hat. Dabei kann aber der Blick für die ganze Wirklichkeit und die Freude am Leben verloren gegangen sein. Vielleicht drückt sich in unserer Wehmut manchmal ein ähnliches Verlangen aus, wie es ein Dichter einmal so formuliert hat: „Darum bitte ich euch, gebt ein Geheimnis, sei’s ein einfaches, zaghaftes, kleines, sei es barfüßig, mager, in Fetzen, ein Geheimnis gebt, wenigstens eines!“ Auch erwachsene Menschen leben nicht nur von der Vernunft, haben ihre Träume und Hoffnungen und fühlen sich bestimmten Werten verpflichtet, die ihre Erfahrungen überschreiten. Manchmal bringen uns auch existentielle Erschütterungen durch Liebe oder Hass, Geburt oder Tod, Erkrankung oder Heilung zur Suche nach einem verlässlichen Halt, zu einer tieferen Sicht der Wirklichkeit oder sogar zu einem gläubigen Vertrauen.
Wenn wir heute Fronleichnam feiern, das Hochfest des Leibes und Blutes Christi, ist das ein guter Anlass, sich wieder einmal auf das „mehr als alles“ des Lebens zu besinnen, das, was heilig und sogar unser „Allerheiligstes“ sein kann. Im Zentrum jeder Eucharistiefeier – wie auch heute – bestätigen wir das „Geheimnis unseres Glaubens“ mit den Worten: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Wir erinnern uns dabei nicht nur an Jesus Christus. Wir feiern kein Totengedächtnis. Wir glauben vielmehr, dass er selbst in den Zeichen von Brot und Wein wirklich gegenwärtig ist. „Das ist mein Leib“ – hat er gesagt – „das ist mein Blut. Nehmt und esst – nehmt und trinkt.“ Und das galt nicht nur für damals. Er überbrückt die Zeiten und nimmt uns auch heute gewissermaßen mit in seinen Abendmahlssaal. Er nimmt uns damit auch mit in das Geschehen seines Todes und seiner Auferstehung. Er selbst macht seinen Leib und sein Blut für uns zum Zeichen dafür, was er uns sein will: ein Gott, der ganz und gar auf unserer Seite ist, der sich uns liebevoll zuwendet und uns von Sünde und Tod befreit. Und jedes Mal, wenn wir Jesus Christus unter den Gestalten von Brot und Wein im wahrsten Sinne des Wortes zu uns nehmen, haben wir die Chance, in die Dynamik seines neuen und ewigen Lebens mit einbezogen zu werden. Wir haben die Chance, uns verwandeln zu lassen – so, wie wir sind: mit unseren Zweifeln und Sorgen, mit unserer Trägheit und mit allem, was uns bewegt und beschäftigt.
Und noch etwas gehört ganz wesentlich zu diesem zentralen Geheimnis unseres Glaubens: Wir empfangen Christus nicht nur individuell oder privat; da kommt nicht nur „mein Seelenbräutigam“ zu mir. Wir empfangen ihn vielmehr inmitten der Kirche, um zu werden, was wir sind: Glieder des Leibes Christi. So betont auch schon Paulus in seinem 1. Brief an die Gemeinde in Korinth: „Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (10,16). Durch die Kommunion – so glauben wir – wird diese Einheit der Kirche in Christus auf höchste Weise dargestellt und gefestigt.
Dafür gilt es Dank zu sagen, und das bedeutet wortwörtlich auch Eucharistie. Wir danken dabei Gott für seine Gaben, das Brot des Lebens und den Kelch des Heils, und für den Bund, den er mit den Menschen geschlossen hat. Immer wieder üben wir uns in eine Haltung der Dankbarkeit ein: gegenüber dem Leben in all seinen Dimensionen und der ganzen Schöpfung, gegenüber der Erde als Lebensraum mit seiner schon Millionen von Jahren andauernden Geschichte. Er ermöglicht uns zu existieren, trägt und nährt uns. Dankbar sollten wir auch um alle Bemühungen um Frieden und ein menschenwürdiges und gemeinwohlorientiertes Leben in Freiheit und Gerechtigkeit sein. In dieser Weise aufgeschlossen für die Welt, die uns umgibt, stellt sich vielleicht auch ein Gespür für das Heilige ein, das es in ihr zu wahren und zu schützen gilt.
Dafür tragen wir alle Verantwortung, jeder und jede einzelne. „Schick die Leute weg, damit sie in die umliegenden Dörfer und Gehöfte gehen, dort Unterkunft finden und etwas zu essen bekommen, denn wir sind hier an einem abgelegenen Ort“, raten die Jünger Jesus, als sie am Abend die vielen Menschen sehen. Aber Jesus entlässt sie nicht aus der Verantwortung für die Menschen und die Sorge um deren Bedürfnisse. Und er entzieht sich dem auch selbst nicht. Aus dem Wenigen, was sie haben, schenkt er Fülle. Kein Ort ist zu abgelegen für die Begegnung mit dem Heiligen.
Wenn wir diesen Blick für das Heilige wiedergewinnen, in der Haltung der Dankbarkeit, in dem Bewusstsein dafür, dass wir ein Teil einer langen Geschichte der Menschheit und der Erde sind, und in dem Wissen darum, dass es keinen Ort gibt, der nicht vom Heiligen durchdrungen ist, hat das Folgen für unser Zusammenleben mit allen Menschen als Abbilder Gottes und der ganzen Schöpfung als Zeichen und Trägerin göttlicher Gegenwart. Respekt, Achtsamkeit und Fürsorge sind die dazu angemessene Haltung, und die Eucharistie als Mahl der Gemeinschaft will uns dazu stärken.
Wenn wir Fronleichnam feiern, besinnen wir uns auf unsere Mitte. Wir ziehen aber auch los, um der Welt zu zeigen, welches wunderbare Geheimnis uns erfüllt und bewegt – nicht, um uns zur Schau zu stellen, sondern als Einladung an alle, mit dem Heiligen wieder in Berührung zu kommen. Wenn wir dabei in der Prozession nach draußen gehen, dann tun wir das als eine Kirche, die sich nicht selbst genügt und wartet, dass alle zu ihr kommen, sondern als eine Kirche, die die Begegnung mit den Menschen sucht, auch und gerade hier in unserer Region, auch und gerade in einer Zeit, in der uns gesellschaftlich nichts mehr wirklich heilig zu sein scheint.
„Das Heilige den Heiligen“, so ruft der Priester in der byzantinischen Liturgie den Gläubigen vor der Kommunion zu. Damit ist auf den Punkt gebracht, worum es heute geht: von Gott mit Wesentlichem beschenkt zu werden, um selbst dadurch zur Vollendung zu gelangen. Bedeutsameres kann es nicht geben."
Quelle: Bistum Magdeburg, Pressestelle, presse@bistum-magdeburg.de, 0391-5961134





