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Die Freiheit, Fahrrad zu fahren

Ein Fahrradtraining für geflüchtete Frauen eröffnet neue Möglichkeiten der Teilhabe und Mobilität

Maryam Shahkaramy ist aufgeregt. Seit einer Woche hat sie nicht mehr auf dem Fahrrad gesessen. Sie strahlt, als sie auf dem Verkehrsübungsplatz in Ottersleben endlich wieder losradeln kann. Die Handgriffe sind geübt. Helm auf und erst einmal Reifendruck, Bremse und Licht prüfen. Dann kann es losgehen. Es braucht ein paar Meter, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Nach einigen Runden sitzt Maryam sicher im Sattel und kann mit einer Hand am Lenker sogar stolz winken.

Maryam nimmt, wie ein Dutzend anderer Frauen, an einem Fahrradkurs für Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund teil. Das Projekt wird vom Integrationslotsenprojekt des Malteser Hilfsdienstes, dem Projekt Resonanzboden der Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e. V., den Schülerlotsen und Verkehrshelfern der AQB gGbmH sowie dem Stadtverkehrswacht Magdeburg e. V. organisiert und durchgeführt. "Fahrradfahren ist etwas Alltägliches. Ein Fahrrad fahren zu können, stärkt die Mobilität und somit die Eigenständigkeit und das Selbstbewusstsein“, erklärt Julia Thier vom Integrationslotsenprojekt des Malteser Hilfsdienstes. „Deshalb möchten wir mit dem Projekt so vielen Menschen wie möglich einen Zugang dazu ermöglichen", ergänzt Julia Thier.

Kinder lernen in Deutschland das Fahrradfahren von klein auf und in der Schule. Die meisten der geflüchteten Frauen konnten das in ihren Herkunftsländern jedoch nicht und fangen hier ganz von vorn an. Auch Maryam Shahkaramy kam vor drei Jahren aus dem Iran nach Deutschland. „Im Iran ist es für Frauen verboten zu singen, zur Disco zu gehen oder Fahrrad zu fahren“, erklärt die 56-Jährige. Das Fahrradfahren wollte sie damals schon im Iran lernen. Dort übte sie nachts heimlich.

Hier in Magdeburg möchte sie am liebsten jeden Tag auf den Verkehrsübungsplatz kommen. So geht es auch den anderen Frauen. Der Bedarf ist groß, die Rahmenbedingungen nicht für alle interessierten Frauen günstig. Einige können das Fahrradtraining nicht mitmachen, weil sie vormittags Deutschkurse besuchen oder eine Kinderbetreuung benötigen würden. Hinzu kommt, dass der organisatorische Aufwand recht hoch ist, zu wenige Fahrräder zur Verfügung stehen und der Transport der Räder zum Gelände viel kostet. „Wir möchten den Kurs gern öfter anbieten. Dazu sind jedoch alle Beteiligten des Kooperationsprojektes langfristig auf Fahrrad- und Geldspenden angewiesen“, so Julia Thier. Nach einem Theorieteil zur Straßenverkehrsordnung, folgen nämlich nur drei bis vier Termine, an denen die Frauen auf dem Verkehrsübungsplatz tatsächlich Fahrradfahren können. „Ein ambitioniertes Programm“, gibt Eckhard Jahn von der Stadtverkehrswacht zu. „Wir können in diesem kurzen Zeitraum leider nur Hilfe zur Selbsthilfe geben und die Frauen mit den wichtigsten Regeln und dem Fahrradfahren vertraut machen“, erklärt Eckhard Jahn.

Gerade weil das Rad auch für Kurzstrecken immer attraktiver wird, verdichtet sich der Straßenverkehr und damit auch die Gefahren für ungeübte Verkehrsteilnehmer/innen. Allein in Magdeburg sind ein Drittel der Schwerverletzten in Fahrradunfälle verwickelt“, ergänzt Jörg Kuske von der Stadtverkehrswacht.

Nach zwei Stunden Fahrradtraining sind viele der Frauen erschöpft, aber glücklich. Sie sind sicherer geworden, müssen aber regelmäßig üben, damit sie sicher am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen können. Der nächste Kurs wird voraussichtlich erst im nächsten Frühjahr stattfinden. „Ich möchte mir unbedingt ein Fahrrad kaufen, um zu üben und mich frei bewegen zu können“, strahlt Maryam Shahkaramy noch immer. „Ich bin dankbar für die Freiheiten, die ich jetzt in Deutschland habe. Das Fahrradfahren ist ein Teil davon.“

Der nächste Fahrradkurs für geflüchtete Frauen findet am 26. September von 10-13 Uhr statt. Interessenten melden sich bei der Ehrenamtskoordinatorin im Integrationsdienst / Malteser Stübchen Süd, Malteser Hilfsdienst e.V.; Julia.Thier@malteser.org oder unter Telefon: 0391 990 45074

(sm/Foto: Möhle)

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