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Im Zeichen der Zeitenwende

Vier Jahre nach Münster fand in Stuttgart ein Katholikentag zwischen Kanzler, Krisen und einem Krieg statt. Eine erste Bilanz von Joachim Heinz (KNA)

Das Herz des Katholikentages in Stuttgart schlägt rund um den Schlossplatz. Vor alten Bauten und neuen Konsumtempeln stehen die weißen Pavillons der Kirchentagsmeile. Hilfswerke werben um Spenden, Pfarrsekretärinnen stellen ihren Beruf vor, Kirchenchöre singen. Bunt geht es zu auf der Königstraße, Stuttgarts zentraler Einkaufsmeile. Grell geschminkte Shopping-Queens treffen auf Christenmenschen mit korallenfarbenen Katholikentags-Schals. Vertraute Bilder - einerseits. Andererseits ist vieles anders bei diesem ersten großen Kirchentreffen nach der Corona-Pandemie.

Die Gesamtzahl der Teilnehmer beziffern die Organisatoren auf rund 25.000. Das ist deutlich weniger als noch beim Katholikentag 2018 in Münster, als 80.000 Besucher gezählt wurden. Bei vielen der 1.500 Veranstaltungen bleiben Plätze frei. Das gilt auch für die Auftritte der Spitzenpolitiker, die normalerweise zu den Zugnummern bei Katholiken- oder evangelischen Kirchentagen zählen. Folgen der Pandemie - aber auch einer Entfremdung zwischen Kirche und Gesellschaft, die der Missbrauchsskandal beschleunigt hat. Das Thema war auch diesmal fast omnipräsent.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich gleich zwei Tage Zeit für seinen Besuch beim Katholikentag nimmt, treibt die Sorge vor einem Bedeutungsverlust der Kirchen um. „Unsere Gesellschaft braucht eine starke Kirche, die relevant ist.“ So ähnlich formulieren es auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), seine sozialdemokratische rheinland-pfälzische Amtskollegin Malu Dreyer oder SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert.

Während SPD und Grüne in Stuttgart stark vertreten sind, die Linke zu einem politischen Nachtgebet lädt, machen sich Vertreter von CDU, CSU und FDP rar. Eine Zeitenwende? Vielleicht - wenn dieses Wort nicht seit dem 24. Februar für den Überfall Russlands auf die Ukraine reserviert wäre. Der Krieg ist das Thema bei dem Podium mit Olaf Scholz, der erstmals in seinem Amt als Bundeskanzler einen Katholikentag besucht. Der SPD-Politiker gibt sich staatsmännisch und entschlossen. Bereits Bundespräsident Steinmeier hatte zur Eröffnung des Katholikentages in einer aufrüttelnden Rede vor rund 6.000 Menschen ausgerufen: „Herr Putin, beenden Sie das Leid und die Zerstörung in der Ukraine!“ Beim Kanzler klingt das dann so: „Putin darf mit seinem zynischen, menschenverachtenden Krieg nicht durchkommen.“

Unterdessen formierte sich draußen ein Protestzug von rund 200 Ukrainern. Sie werfen Scholz vor, zu wenig für die Ukraine zu tun, wie Tetyana Lytvyn erklärt, die aus dem umkämpften Charkiw stammt. „Schwere Waffen jetzt! Save Ukraine!“, skandieren die Demonstranten. Drinnen versuchen zwei Störer, Scholz aus dem Konzept zu bringen. Beides lässt erahnen, welche Belastungsproben Politik und Gesellschaft noch bevorstehen. Und trotzdem mobilisiert die groß angekündigte Friedenskundgebung des Katholikentags am Freitagmittag nur rund 1.000 Menschen - zu denen später noch die ukrainischen Demonstranten hinzustoßen. An alle Ukrainer gerichtet sagt die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sichtlich bewegt: „Wir teilen ihre Trauer über die vielen Toten und Verwundeten.“

„leben teilen“ lautete das offizielle Motto dieses Katholikentags. Dazu gehört auch, Verzweiflung und Ängste zu teilen. Ein unbeschwertes und fröhliches Fest des Glaubens, das war im Vorfeld schon klar, konnte das Treffen in Stuttgart angesichts der aktuellen Entwicklungen in Kirche und Politik nicht sein. Stattdessen wurde Stuttgart ein Katholikentag zwischen Bangen und Hoffen, zwischen Hilfe und Hilflosigkeit. Manchem Teilnehmenden dürfte es ähnlich ergangen sein wie Marie-Anna Ellmer. Sie erhoffe sich vom Katholikentag „gemeinsam mit anderen Glaube und Gemeinschaft zu spüren“. Mit der Institution und der kirchlichen Haltung etwa zur Frauenfrage hadere sie hingegen. Kommt es zu Reformen oder nicht? Nicht wenige in der Kirche fragen sich, wohin die Reise geht. Ein bisschen ist das so wie bei der Dauerbaustelle am Stuttgarter Hauptbahnhof. Von dort traten am Sonntag viele auswärtige Besucher des Katholikentags nach dem Abschlussgottesdienst ihre Heimreise an.

 

(Joachim Heinz (KNA); Foto: Sperling)

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